Derya Türk-NachbaurSPD - Private Seenotrettung
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen und andere! Wir haben das beste Grundgesetz der Welt. Und genau deshalb bin ich bekennende Grundgesetz-Ultra; ich bin so was wie grundgesetzverliebt.
Es hat einen Grund, dass nach dem dunkelsten und abscheulichsten Kapitel unserer Geschichte, das für den einen oder anderen in den rechten Reihen nur ein „Vogelschiss“ war, Artikel 1, die erste Regel unseres Grundgesetzes, so lautet, wie er lautet – Kollege Lechte hat es auch gesagt –:
„(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
(2) Das deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.“
(Zurufe von der AfD)
Das deutsche Grundgesetz unterscheidet eben nicht nach Hautfarbe, Herkunft oder Religion. Kein Gesetz darf etwas erlauben, was im Grundgesetz verboten ist.
(Zuruf von der CDU/CSU: Aber Sie müssen früher ansetzen! – Zuruf von der AfD: Das ist aber keine Anspruchsgrundlage!)
Deshalb – eigentlich sollten Sie es schon längst gemerkt haben – wird hier in diesem Bundestag auch niemals ein Antrag wie der Ihre mit solch menschenverachtendem Wortlaut die Zustimmung von Demokratinnen und Demokraten erhalten.
(Beifall bei der SPD – Zuruf von der AfD: Lauer Applaus aus den eigenen Reihen!)
Das Leid von Menschen in Not als „Geschäftsmodell“, wie Sie es ausdrücken, haben nicht Seenotretter, sondern Verbrecher für sich entdeckt, allen voran Ihre Freunde Assad, Putin und Lukaschenko, die das Leid der Menschen als Teil einer hybriden Kriegsführung verstehen und auch noch für zusätzliche Migration an Land sorgen.
(Zuruf des Abg. Stephan Brandner [AfD])
Das Fatale ist: Die Rechnung dieser Despoten geht leider auf. Ihr Antrag beweist das. Nutzen Sie doch bitte Ihre guten Kontakte, und sorgen Sie dafür, dass Menschen nicht mehr vor gewalttätigen Angriffen fliehen müssen!
(Stephan Brandner [AfD]: So ein Quatsch!)
Nutzen Sie die Zeit zur Lektüre von Studien, die mit Daten und Fakten wiederholt belegt haben, dass es keinen Pull-Effekt durch Seenotrettung gibt!
(Stephan Brandner [AfD]: Machen Sie das doch mal!)
Die Rettungsaktionen führen laut Forschenden eben nicht dazu – wir haben es heute mehrfach gehört –, dass mehr Menschen über das Mittelmeer kommen. Wenn Menschen auf dem Mittelmeer nicht gerettet werden, gibt es nicht weniger Migration, sondern es gibt mehr Tote. Auch das wurde heute mehrfach betont, und das ist eigentlich ziemlich einfach.
(Stephan Brandner [AfD]: Dadurch wird es auch nicht wahrer!)
Wissen Sie was? Ich finde es ziemlich beschämend, dass wir hier darüber sprechen müssen, ob wir uns an das Völkerrecht halten oder nicht, ob wir Menschen vor dem Ertrinken retten oder es vielleicht doch lieber lassen. Klar ist: Wer Schiffbrüchige auf hoher See antrifft, muss diese Menschen retten. Seit Jahresbeginn – das wurde auch mehrfach betont – sind Tausende von Flüchtlingen und Migranten mit Booten nach Italien, Spanien, Griechenland, Malta und Zypern gekommen. Diese Länder haben die sogenannte Seenotrettung nicht. Und was ist passiert? Ist die Migration dadurch zurückgegangen? Nein. Es gab einfach nur mehr Tote. Die erschreckenden Zahlen haben wir auch schon gehört: Weit mehr als 2 000 Menschen sind dieses Jahr elendiglich im Mittelmeer ertrunken.
(Zuruf von der AfD: Ja, aufgrund Ihrer Politik!)
Menschen vor dem Ertrinken zu retten, ist nicht nur ein Gebot der christlichen Nächstenliebe und des Völkerrechts, sondern auch ein Akt der Menschlichkeit. Dass man das hier immer wiederholen muss, finde ich auch beschämend.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Stephan Brandner [AfD]: Warum tun Sie es dann?)
Deshalb stehe ich politisch voll und ganz hinter unseren Seenotretterinnen und -rettern aus der Zivilgesellschaft. Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen,
(Stephan Brandner [AfD]: Ärzt/-innen!)
Sea-Watch, Sea-Eye, SOS Humanity, Mission Lifeline und viele, viele mehr retten Leben. Vielen Dank dafür!
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Solange es keine koordinierte europäische Seenotrettung gibt: Sehen wir zu, dass wir als Ampel unser Versprechen aus dem Koa-Vertrag erfüllen und auf Initiative eines selbstbewussten Parlaments, –
Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss.
– auf die ich sehr stolz bin, die zivile Seenot weiter stützen.
Das Bekenntnis zu Artikel 1 – –
(Stephan Brandner [AfD]: Seenot oder Seenotrettung? – Zuruf des Abg. Martin Hess [AfD])
Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss, bitte.
Ich komme zum Ende.
Ja, bitte.
Diesen Antrag, meine Damen und Herren von der AfD, sollten Sie nicht in den Bundestag, sondern lieber ins Möbelhaus bringen. Da werden noch unterste Schubladen gesucht.
Danke.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Zurufe der Abg. Petr Bystron [AfD] und Martin Hess [AfD])
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7602292 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 131 |
Tagesordnungspunkt | Private Seenotrettung |