Jens TeutrineFDP - Bundesagentur für Arbeit
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer in Deutschland mit Hartz IV aufwuchs, der hatte meistens das gleiche Schicksal wie die Eltern. Armut wird in Deutschland nämlich sehr häufig weitervererbt. Das ist die klare Studienlage. Das liegt am Einkommen, an der Arbeitslosigkeit und an dem Bildungsgrad der Eltern.
(Norbert Kleinwächter [AfD]: Oder am Sozialsystem!)
Wenn die Union jetzt ihr Herz erwärmt für die unter 25-Jährigen und ihre Aufstiegschancen, dann ist die Frage, wieso Sie während Ihrer Regierungszeit nie die Hürden aus dem Weg geräumt haben, die es bei Hartz IV gab.
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)
Ein Beispiel: Wenn junge Menschen unter 25 gesagt haben: „Ich will eine Ausbildung machen, ich möchte mich vor Arbeitslosigkeit schützen, ich möchte mir was hinzuverdienen“, dann durften sie von ihren 800 Euro Ausbildungsvergütung gerade einmal 240 Euro behalten; bei einem Minijob – bei 450 Euro – waren 170 Euro mehr in der Tasche. Da wurde die Leistung von jungen Menschen, die versucht haben, sich anzustrengen, bestraft. Sie haben gerade viel darüber gesprochen, Herr Gröhe, dass sich Arbeit lohnen muss, dass sich Menschen aus dem Leistungsbezug herausarbeiten sollen. Diese jungen Menschen haben unter der Union gelitten, weil Sie diese Regelung nicht angepasst haben.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Es hat diese Ampel gebraucht, um diese Regelung zu ändern.
Sie haben gesagt, die Regierung setze Überschriften, aber handele nicht. Ihr Antrag hat auch eine schöne Überschrift; wir können uns aber auch mal mit dem Inhalt beschäftigen.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Stephan Stracke [CDU/CSU]: Ja, das wäre mal eine Idee! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut! – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welcher Inhalt eigentlich?)
Wenn Sie Christian Lindner Haushaltstrickserei vorwerfen, dann werfe ich Ihnen Zechprellerei vor. Sie gehen nämlich ins Restaurant und sagen, Sie möchten die ganze Karte, obwohl Sie dafür mehr Geld benötigen. Im Antrag steht aber nicht, wer das bezahlen soll. Sie sagen nicht, wo Sie im Bundeshaushalt sparen wollen. Sie sagen nicht, ob die Schuldenbremse dafür aufgeweicht werden soll. Sie sagen nicht, ob Sie die Steuern erhöhen wollen. Sie bestellen im Restaurant die Rechnung, aber jemand anderes soll bezahlen. Was in der Kneipe nicht seriös ist, ist auch im Deutschen Bundestag nicht seriös – auch nicht für eine Oppositionsfraktion.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das ist Ihr politischer Stil, den Sie hier favorisieren. Sie wollen durch Ihre Überschriften bei den Mitarbeitern der Jobcenter, die sich jeden Tag bemühen, junge Menschen zu vermitteln, und bei Arbeitsvermittlern, die das ebenfalls jeden Tag machen, Signale setzen.
Und die AfD behauptet etwas Falsches, wenn sie diese Zahlen zur Arbeitsvermittlung vorträgt; denn die Statistik ist einfach absurd. Wenn jemand zum Jobcenter kommt und sagt: „Ich möchte einen Job als Industriekaufmann“, der Arbeitsvermittler erwidert: „Du hast eine Ausbildung im Bereich Gärtnerei. Willst du nicht etwas in diesem Bereich machen?“, und ihn in Arbeit vermittelt, dann zählt das nicht als Arbeitsvermittlung, weil ein anderer Wunsch angegeben wurde. Allein dadurch verringert sich die Arbeitsvermittlungsquote. Das zeigt, wie absurd die Statistik ist und wie wenig Ahnung Sie von der Arbeit der Jobcenter und der Arbeitsagenturen haben, wenn Sie diese Statistik hier vortragen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die AfD hat präsentiert, dass sie keine Ahnung hat. Die Union hat präsentiert, dass sie eigentlich die Zeche prellen will. Das ist Ihr Stil – im Unterschied zum Stil der Regierung.
(Kai Whittaker [CDU/CSU]: Sie kürzen beim Mittelstand! Das ist Ihre Politik!)
Ich fand den Vorschlag, den der Arbeitsminister unterbreitet hat, nicht gut, weil das ein Bürokratiewahnsinn geworden wäre. Gute Strukturen, die U-25-Jährige unterstützen, wären zerbrochen. Wir hätten viel Zeit durch die Umstellung verloren. Es gab viel Kritik vom Landkreistag, vom Städtetag, von den Experten, von den Sozialverbänden. Aber wissen Sie, was unser Stil ist? Der Arbeitsminister hat seine Fehleinschätzung eingesehen. Er hat sich korrigiert. Er hat gesagt: Der Vorschlag war nicht gut, ich unterbreite eine neue Idee. Ich höre auf die Praxis und auf die Menschen im Jobcenter. – Er ist auf die Kritik eingegangen.
(Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Die Jobcenter sind nicht für diese Lösung! Nein!)
Während Sie Showanträge stellen und die Zeche prellen wollen, arbeiten wir hier und haben wir eine neue Fehlerkultur. Ich finde, auch die Opposition sollte das honorieren.
Ich freue mich auf die weiteren Beratungen.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])
Natalie Pawlik hat nun für die SPD-Fraktion das Wort.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7603211 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 134 |
Tagesordnungspunkt | Bundesagentur für Arbeit |