10.11.2023 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 135 / Tagesordnungspunkt 29

Nina ScheerSPD - Änderung des Atomgesetzes

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon ein Armutszeugnis, dass Sie vonseiten der AfD immer und immer wieder versuchen, an einer Technologie festzuhalten, von der Sie – die Zahlen sprechen ja Bände – genau wissen, dass es eine teure Energie ist und dass sie sich in der Welt nicht durchgesetzt hat, auch wenn das die Lobbyisten natürlich immer gerne versuchen glauben zu machen.

(Jan Ralf Nolte [AfD]: Deswegen haben die anderen Länder auch alle so hohe Strompreise!)

Und dann suggerieren Sie auch noch, dass diese Technologie hier in Deutschland, obwohl wir gerade in einem massiven Hochlauf der erneuerbaren Energien sind,

(Lachen bei Abgeordneten der AfD)

die günstigste Form der Energiegewinnung sei und dass man mit der Atomenergie ein Mehr an Sicherheit gewinnen oder eine Kostensenkung erreichen könnte.

(Jan Ralf Nolte [AfD]: Deswegen wollen die Unternehmen auch alle hier nach Deutschland! Weil es hier so günstig ist!)

Das Gegenteil ist der Fall, und die Zahlen sprechen hier Bände.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Frau Kollegin Scheer, möchten Sie eine Zwischenfrage aus der AfD zulassen?

Okay.

Bitte schön.

Vielen Dank, werte Kollegin, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie haben gerade gesagt, dass Kernenergie sich in der Welt nicht durchgesetzt hätte. Gerade habe ich noch mal bei Statista bezüglich der im Moment betriebenen und geplanten Reaktoren reingeschaut. Da stehen zum Beispiel die Vereinigten Staaten mit 93 Reaktoren, die sie im Moment betreiben; 25 sind geplant. China beispielsweise betreibt 55 Reaktoren, plant 45 neue. Dann kommt Indien dazu usw. usf.

Also: Davon zu sprechen, dass sich Kernenergie nicht durchsetzt, zumindest in den Industriestaaten, finde ich zumindest abenteuerlich. Wenn Sie mich mal aufklären könnten, wie Sie anhand bzw. entgegen diesen Zahlen letztendlich zu dieser Aussage kommen!

Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nichts leichter als das!)

Sehr gerne kläre ich Sie auf, Herr Hilse.

(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es wird nur nichts helfen!)

Sie picken immer solche Zahlen heraus, die sich nach viel anhören, aber im Gesamtkontext betrachtet etwas Minimales darstellen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der AfD: Das sind Fakten!)

Nur 10 Prozent der Stromgewinnung weltweit stammt aus Atomenergie. Nur 10 Prozent! Auf nur eine Handvoll Staaten weltweit entfallen drei Viertel der Atomenergienutzung; eine Handvoll der Staaten weltweit veranschlagt also drei Viertel der Atomstromgewinnung für sich. Fünf Sechstel der UNO-Staaten verwenden keine Atomenergie.

(Karsten Hilse [AfD]: Das sind ja alles Entwicklungsländer!)

Es sind also nur 10 Prozent des Stromes weltweit Atomstrom. Nur 10 Prozent!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Götz Frömming [AfD]: 90 Prozent der Industriestaaten!)

Ich möchte auch noch einmal daran erinnern – ich weiß nicht, ob Sie die 56 Atomkraftwerke in Frankreich auch genannt haben –: Sie wissen ja, die Hälfte von denen stand zum Beispiel letztes Jahr im Sommer still.

(Dr. Rainer Kraft [AfD]: Jetzt nicht mehr!)

Sie können ja nicht wissen, wann die Dürren kommen. Sie leugnen ja inzwischen nicht mehr den Klimawandel, sondern nur noch den menschengemachten Klimawandel.

(Stephan Brandner [AfD]: Immer schon!)

Aber davon können sich die Menschen auch nichts kaufen. Der Klimawandel ist da; das erkennen Sie inzwischen ja auch an. Und wenn der Klimawandel zuschlägt, dann stehen auch die Atomkraftwerke still. Und dann kann eben auch kein Atomstrom mehr produziert werden, weil die Atomkraftwerke nicht dürreresistent sind. Es ist einfach eine Fata Morgana, dass mit Atomenergie angeblich sichere Energie gewährleistet wäre.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Frau Kollegin Scheer, es gibt noch einen Wunsch nach einer Zwischenfrage aus der Fraktion Die Linke. Diese würde ich noch gestatten. Alle anderen Zwischenfragen lasse ich nicht mehr zu. Danach fahren wir in der Debatte fort. Herr Lenkert möchte noch etwas fragen. Wollen Sie das noch zulassen?

Weil Sie es sind, Herr Lenkert. Ansonsten will ich meinen Kollegen natürlich nicht den Feierabend verderben.

Genau. Bitte.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Vielen Dank, Frau Kollegin, dass Sie die Frage zulassen. – Stimmen Sie mir zu, dass weltweit seit 2000 keine zusätzlichen Atomkraftwerke in Betrieb gegangen sind, sondern dass jede neue Inbetriebnahme irgendwo mit der Stilllegung eines anderen gegengerechnet werden müsste? Stimmen Sie mir zu in der Aussage, dass die durchschnittlichen Planungs- und Bauzeiten eines Atomkraftwerkes 20 Jahre und länger betragen?

(Karsten Hilse [AfD]: Das stimmt schon lange nicht mehr!)

Und ist Ihnen bekannt, dass zum Beispiel Flamanville in Frankreich mit Kosten von 3 Milliarden Euro und einer Fertigstellung vor vielen Jahren geplant wurde – Baubeginn war 2007 – und dass inzwischen mit einer Inbetriebnahme vielleicht 2025 und Kosten von über 22 Milliarden Euro gerechnet wird? Stimmen Sie mir also zu, dass Atomkraft wirklich keine Perspektive ist und vor allem keine kurzfristige?

Und vielleicht als Letztes zur Preiswertigkeit: Wie bewerten Sie eigentlich, dass Hinkley Point C in Großbritannien eine garantierte Vergütung von 12,5 Cent je Kilowattstunde plus jährlichen Inflationsausgleich plus Zusicherung für 35 Jahre plus 30 Prozent Investitionszulage –

Herr Lenkert.

– und plus garantierter Abnahme des Atommülls kriegt?

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Frau Kollegin, das geht ja wahrscheinlich ganz schnell mit Ja oder Nein.

(Heiterkeit des Abg. Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Bernhard Herrmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sag Ja, Nina! Einfach Ja sagen! Er hat vollkommen recht!)

Ich stimme Ihnen in allen Punkten zu. In der Tat: Auch gerade das Hinkley-Point-C-Förderprogramm zeigt, dass die Atomenergie, um laufen zu können, mit einem fast doppelt bis dreifach so großen Paket ausgestattet werden musste, als man das bei der Förderung von erneuerbaren Energien braucht. Sie haben alle Zahlen genannt, die in diesem Kontext unbedingt noch zu erwähnen gewesen waren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich möchte noch mal auf die Frage der Versicherbarkeit zurückkommen; auch das ist ja hier angesprochen worden. Wenn unterstellt wird, dass Atomenergie bezahlbar sei, dann muss man einfach noch mal in Erinnerung rufen – in Deutschland haben wir das ja nun hinter uns –: Weltweit gibt es keine Atomenergienutzung, die nicht zugleich durch staatlich festgesetzte Versicherungshöchstgrenzen ermöglicht worden wäre. Diese Versicherungshöchstgrenzen gab es auch im deutschen Atomgesetz; bei uns war es eine Versicherungshöchstgrenze von 2,5 Milliarden Euro. Darüber hinausgehende Kosten hätte die Gesellschaft, die Gesamtgesellschaft – –

(Dr. Klaus Wiener [CDU/CSU]: Jede Sachversicherung hat eine Höchstgrenze! – Gegenruf des Abg. Bernhard Herrmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber der Schaden ist größer, Herr Wiener!)

– Das stimmt doch überhaupt nicht.

(Dr. Klaus Wiener [CDU/CSU]: Natürlich! Gucken Sie doch mal in Ihre Kfz-Versicherung! Da haben Sie auch eine! – Gegenruf des Abg. Bernhard Herrmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie vergleichen ein AKW mit einem Kfz? Echt jetzt? Das ist ja der Hohn!)

– Was haben Sie denn für eine Kfz-Versicherung? Die möchte ich gerne mal sehen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Klaus Wiener [CDU/CSU]: Ach!)

Das stimmt einfach nicht, was Sie behaupten.

(Dr. Klaus Wiener [CDU/CSU]: Es gibt immer Höchstgrenzen!)

– Nein,

(Dr. Klaus Wiener [CDU/CSU]: Ja!)

es gibt keine Höchstgrenzen per se.

(Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Natürlich! – Dr. Klaus Wiener [CDU/CSU]: Natürlich! Also wirklich! Das sagen Sie hier seit Monaten! Natürlich gibt es Höchstgrenzen! – Gegenruf des Abg. Bernhard Herrmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mehr als ein Hohn! Ein Auto mit einem AKW zu vergleichen! Also, billiger geht’s nicht mehr! Unglaublich!)

Aber warum gibt es denn diese Höchstgrenze bei der Atomenergie? Darauf kommt es doch an. Es gibt sie, weil es sonst keine Versicherbarkeit gegeben hätte. Das ist doch der Punkt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Das sagt etwas über die wahren Kosten der Atomenergie aus. Diese Kosten sind ja durch die Versicherungshöchstgrenze nicht beseitigt, sondern diese Kosten werden von der Allgemeinheit getragen.

(Zuruf des Abg. Dr. Harald Weyel [AfD])

Ich erwähne das hier, weil Sie immer und immer wieder der Allgemeinheit diesen Quatsch erzählen, dass Atomenergie billig sei. Das stimmt eben nicht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Dr. Klaus Wiener [CDU/CSU]: – Doch! Bei den Grenzkosten ist es billig! Beim Weiterbetrieb ist es billig! – Bernhard Herrmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Hohn!)

Es sind Kosten, die von der Allgemeinheit zu tragen sind, und sie werden hinter Versicherungshöchstgrenzen versteckt. Sie werden auf die nachfolgenden Generationen verlagert, und das spiegelt sich auch bei den Versicherungshöchstgrenzen wider sowie bei den Endlagerkosten,

(Bernhard Herrmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)

die wir auch haben und die bis heute nicht bezifferbar sind.

Wir haben zwar ein Entsorgungsfondsgesetz geschaffen, wir haben einen Entsorgungsfonds von 24 Milliarden Euro geschaffen; aber wir wissen nicht, ob das reichen wird.

(Karsten Hilse [AfD]: Fragen Sie doch die Finnen! Die haben ein Endlager! Fragen Sie einfach mal! Die können das beziffern!)

Das Geld ist super angelegt. Das haben wir in Deutschland toll geregelt, auch mit Nachhaltigkeitsvorschriften; das ist weltweit mitnichten der Fall. Es ist weltweit auch mitnichten der Fall, dass schon Endlagermöglichkeiten geschaffen worden wären. Deswegen ist auch das ein Kostenrisiko, das auf die nachfolgenden Generationen verlagert wird.

Ich mache hier einen Punkt, sehr geehrte Frau Präsidentin, vor Ende meiner Redezeit.

(Peter Beyer [CDU/CSU]: Wow!)

Ich hoffe, dass dieses Thema zum letzten Mal den Deutschen Bundestag beschäftigt hat. Es ist wirklich verschenkte Zeit. Kommen Sie endlich auf den Pfad, die erneuerbaren Energien zu stärken!

(Peter Beyer [CDU/CSU]: Jetzt redet sie ja doch weiter! Sie redet und redet!)

Denn das hilft den Menschen, das sorgt für günstigen Strom.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Götz Frömming [AfD]: Das ist doch eine Sackgasse!)

Das Wort hat Alexander Engelhard für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7603433
Wahlperiode 20
Sitzung 135
Tagesordnungspunkt Änderung des Atomgesetzes
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