Johannes VogelFDP - Aktuelle Stunde: BVerfG-Urteil zum Nachtragshaushalt 2021
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss sagen, dass auch ich die Wortbeiträge derjenigen, die diese Aktuelle Stunde beantragt haben, nämlich die Kolleginnen und Kollegen von der Union, und insbesondere den von Ihnen, geschätzter Kollege Alexander Dobrindt, nur so beurteilen kann, dass Sie die notwendige Ernsthaftigkeit nach diesem wegweisenden Urteil gestern vermissen lassen,
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Ja, natürlich!)
und das gleich in dreierlei Hinsicht:
Erstens: weil die Union jetzt offenkundig die Arbeit im Haushaltsausschuss komplett eingestellt hat. Das ist das Gegenteil dessen, was jetzt angezeigt ist, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Legen Sie einen beratbaren Entwurf vor! –Zuruf der Abg. Dr. Silke Launert [CDU/CSU])
Zweitens: weil die Union sich plötzlich als großer Anwalt der Schuldenbremse aufspielt. Der Finanzminister hat eben zu Recht darauf hingewiesen: Der heutige Vorsitzende des Haushaltsausschusses
(Zuruf des Abg. Dr. Helge Braun [CDU/CSU)
hat noch kurz vor der Bundestagswahl, als er noch Kanzleramtsminister war, zum Schleifen der Schuldenbremse aufgerufen.
(Christian Dürr [FDP]: So ist es!)
Die Frage, wie die Union zur Schuldenbremse steht, hängt ganz offenbar davon ab, wann man sie fragt. Die Schuldenbremse verdient mehr Ernsthaftigkeit, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Dr. Silke Launert [CDU/CSU])
Und drittens: weil es lohnt, sich anzuschauen, wer von diesem Urteil des Verfassungsgerichts genau betroffen ist.
Die letzte Bundesregierung, die Große Koalition unter Führung der Union, hat von den coronabedingten Kreditermächtigungen ein dickes zweistelliges Milliardenpaket in den Klima- und Transformationsfonds übertragen.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der Abg. Dr. Paula Piechotta [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)
Die unionsgeführte Landesregierung in Schleswig-Holstein hatte ein Corona-Notkreditprogramm aufgelegt und finanziert daraus jetzt unter anderem Bildungsinvestitionen; sie hat die Kreditermächtigungen übertragen.
Die unionsgeführte Landesregierung in Nordrhein-Westfalen hat gleich nach dem Regierungswechsel ein milliardenschweres Ukraine-Sondervermögen aufgelegt,
(Christian Dürr [FDP]: Aha!)
und sie finanziert daraus jetzt per Übertragung unter anderem die Förderung der Energieeffizienz in Krankenhäusern.
(Christian Dürr [FDP]: Aha!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich verstehe ja, dass eine Volkspartei ein breites Meinungsspektrum vertreten muss. Aber so viel Dialektik hätte ich nur den Marxisten zugetraut, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Nein, lassen wir doch diese parteipolitische Betrachtung, und schauen wir mit größerer Ernsthaftigkeit auf dieses Urteil.
(Lachen bei der CDU/CSU – Dr. Silke Launert [CDU/CSU]: Keine Demut! Keine Einsicht!)
Schauen wir mit größerer Ernsthaftigkeit auf dieses Urteil. Nach allem, was man hört und was berichtet wird, hat unter anderem der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble in der Fraktionssitzung der Union gestern zu Recht darauf hingewiesen.
(Zuruf von der CDU/CSU: Da waren Sie doch gar nicht dabei!)
Die Schuldenbremse ist ein Gebot der Generationengerechtigkeit.
(Zuruf von der CDU/CSU: Aha!)
Was das Verfassungsgericht gemacht hat, ist: Es schafft jetzt noch mehr Klarheit bei der Auslegung der Schuldenbremse. Diese Klarheit ist gut, liebe Kolleginnen und Kollegen, weil wir uns alle jetzt darauf einstellen können.
(Beifall bei der FDP – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Schauen Sie mal da drüben! Gucken Sie mal da rüber!)
Die Schuldenbremse war eine Wegscheide für Generationengerechtigkeit bei der Einführung in unsere Verfassungsordnung.
(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Für wen reden Sie hier eigentlich?)
Das Verfassungsgericht hat zu Recht in zwei wegweisenden Urteilen – diese Woche und vor einiger Zeit – darauf hingewiesen, dass wir künftigen Generationen sowohl ein stabiles Klima als auch stabile Finanzen schulden. Das ist richtig, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das ist ein Gebot der Nachhaltigkeit,
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)
und dem müssen wir gerecht werden. Deshalb ist jetzt die gesamte Politik auf allen Ebenen – Bund und Länder – gefordert, drei Dinge zu tun.
Erstens: zu priorisieren. Ja, in dem Klima- und Transformationsfonds
(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Na, dann mal los!)
und in Wahrheit auch bei den Staatsausgaben darüber hinaus.
Zweitens: Klimapolitik zu betreiben, die wir betreiben können, weil, lieber Kollege Matthias Miersch, natürlich das wichtigste Instrument beim Klimaschutz doch der dichte Deckel für CO2, der Zertifikatehandel, ist und sein muss und dieser jetzt natürlich noch mehr an Bedeutung gewinnt, liebe Kolleginnen und Kollegen. Seien wir da doch ehrlich.
(Beifall bei der FDP – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Großer Beifall bei der SPD! Wirklich Geisterbeschwörung, was Sie hier machen!)
Und drittens: weil wir uns die Fragen stellen müssen: Wie können wir zum einen dafür sorgen, dass der große Ausgabeposten „soziale Sicherungssysteme“ im Bundeshaushalt in diesem Land dauerhaft stabil finanziert wird? Und zum anderen: Wie können wir uns darum kümmern, dass auch die Einnahmenseite des Haushaltes sich durch gute wirtschaftliche Entwicklung, durch Wirtschaftswachstum in diesem Land positiv entwickelt? Dafür können wir eine ganze Menge tun. Freihandelspolitik ist Wirtschaftspolitik, die kein Geld kostet.
(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Dann machen Sie es doch!)
Gute Rahmenbedingungen für Wirtschaft und Wettbewerbsfähigkeit zu schaffen, ist Wirtschaftspolitik und damit auch gute Haushaltspolitik,
(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Dann machen Sie es!)
wofür wir kein Geld ausgeben müssen, sondern das erwirtschaften die Unternehmen dann in diesem Land. Stimmen Sie gerne morgen dem Wachstumschancengesetz und dem Zukunftsfinanzierungsgesetz zu, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, das diese Koalition einbringt.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Hier legen wir zum Beispiel den Unternehmen in diesem Land weniger bürokratische Fesseln an.
(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Machen Sie es!)
Auch das ist ein Weg, auf den sich diese Koalition begeben hat.
Die Schuldenbremse ist Ausdruck dessen, dass die Bürgerinnen und Bürger sich darauf verlassen können, dass für den Staat gilt, was auch für sie gilt, nämlich dass sie mit dem Geld auskommen, was sie haben.
(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Genau! Sie wollten es umgehen! So geht die Geschichte!)
Dass wir das gestärkt haben, ist eine Chance, wenn wir alle verantwortungsbewusst mit ihr umgehen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Ihr habt es ja nicht gemacht!)
Das Wort hat Dr. Mathias Middelberg für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7603726 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 137 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde: BVerfG-Urteil zum Nachtragshaushalt 2021 |