16.11.2023 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 137 / Tagesordnungspunkt 17

Falko DroßmannSPD - Gleichstellungsfortentwicklungsgesetz Militärpersonal

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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Anfang der 2000er-Jahre, als ich junger Einheitsführer in der deutschen Luftwaffe war, begab es sich, dass Frauen zur Bundeswehr zugelassen wurden.

(Zuruf des Abg. Markus Grübel [CDU/CSU])

Damals sind wir als junge Einheitsführer auf einen Lehrgang geschickt worden, der sich „Ernstfall Frau“ nannte.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir sind also Hunderte von Kilometern durch die Republik gefahren, um uns in Schaukästen Folgendes anzuschauen: eine Damenbinde mit dem Schild „Damenbinde“, einen Tampon mit dem Schild „Tampon“. Das war von einer so ausdrücklichen Qualität, dass der gesamte Lehrgang zwei Tage später wieder abgereist ist, weil wir gesagt haben: Da haben wir wirklich Besseres zu tun.

Was war also Anfang der 2000er-Jahre passiert?

(Henning Otte [CDU/CSU]: So alt sind Sie schon?)

Was hat die Bundeswehr so erschüttert, dass sie einen „Ernstfall Frau“ ausgerufen hat?

Das Ganze fing 1975 an, als Ärztinnen das erste Mal der Zugang zur Bundeswehr gewährt wurde. Es ging 1991 mit der Öffnung der Mannschafts- und Unteroffizierslaufbahn nur im Sanitäts- und Militärmusikdienst weiter – natürlich mit einer Ausnahme von der Wehrpflicht. 2004, nachdem sich eine Frau eingeklagt hatte, gab es dann endlich durch den Bundesverteidigungsminister Peter Struck das erste Gesetz zur Gleichstellung von Soldatinnen und Soldaten und dann 2013 die erste inhaltliche Überarbeitung dieses Soldatinnen- und Soldatengleichstellungsgesetzes.

In den letzten zehn Jahren allerdings haben wir als Parlament keine grundlegenden strukturellen Entscheidungen getroffen, um die Gleichstellung in den Streitkräften zu verbessern. Das wollen wir heute ändern. Wir wollen das aus intrinsischer Motivation ändern, weil wir der Überzeugung sind, dass – meine Erfahrung ist es – Frauen mindestens so leistungsfähig und so leistungswillig sind, wie männliche Soldaten das sind,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

und darüber hinaus wir bei der Bundeswehr einen Frauenanteil von ungefähr 13 Prozent haben, beim deutschen Heer sogar nur von 8 Prozent. Da ist, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, deutlich Luft nach oben.

(Beifall der Abg. Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Nils Gründer [FDP])

Was verbessert also dieser eher technisch klingende Gesetzentwurf? Er stärkt die Rechte, die Einbindung und Zusammenarbeit der militärischen Gleichstellungsbeauftragten mit der Leitung der Dienststellen. Er stärkt die Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Familie, Carearbeit und militärischem Dienst, und er erhöht auch die Sensibilität der militärischen Vorgesetzten für das Thema Gleichstellung.

Die Gleichstellungsbeauftragten haben nun eine Einspruchsmöglichkeit, die unter gewissen Voraussetzungen eine aufschiebende Wirkung entfaltet, wenn diese Gleichstellungsbeauftragten der Meinung sind, dass die Entscheidung der Leitung der Dienststelle gegen Regelungen der Gleichstellung verstößt. Das unterstreicht noch einmal die Bedeutung der Gleichstellungsbeauftragten. Darüber hinaus gab es selbst in großen und größten Verbänden nur eine Gleichstellungsbeauftragte. Das wird geändert, indem nun durch Wahl bis zu drei Stellvertreterinnen bestellt werden können.

Wir kommen zu einer gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern in Führungspositionen, zum Beispiel durch die Erstattung von Kosten für die Betreuung von Kindern oder von pflegebedürftigen Familienangehörigen. Es ist doch immer noch so, dass die meiste unbezahlte Carearbeit in diesem Land von Frauen geleistet wird. Deshalb ist es nur richtig, dass das Bundesverteidigungsministerium diese Arbeit jetzt unterstützt, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Denn in keiner Beurteilung und in keiner Leistungsbeschreibung darf die Übernahme von Carearbeit negativ ausgelegt werden.

Wir werden die Gleichstellung nun als Instrument der Personalführung nutzen – weg vom Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr hin zu einer Dezentralisierung jeder Dienststelle, weil auch jede Dienststelle der Streitkräfte anders geartet ist. Eine Universität der Bundeswehr funktioniert anders als ein Panzergrenadierbataillon. Deshalb ist es wichtig, dass wir das dezentralisieren.

Die Gleichstellung hängt natürlich aber auch von den Verhältnissen vor Ort ab und kann nur begrenzt vorgeschrieben werden. Deshalb ist mein Appell an alle Kommandeurinnen und Kommandeure, an die Chefs: Leben Sie den Geist dieses Gesetzes auch im Alltag, und steigern Sie so unsere Verteidigungsfähigkeit! Denn Entscheidungen im Sinne der Gleichberechtigung sind immer bessere Entscheidungen.

Ansonsten enthält dieses Gesetz noch weitere Regelungen, die drohen ein bisschen unter den Tisch zu fallen. Es steht ja nicht ganz vollständig an der Medienwand; es geht hier noch um weitere gesetzliche Regelungen, wie zum Beispiel eine Änderung des Unterhaltssicherungsgesetzes. Wir werden dafür sorgen, dass Reservedienstleistende für außerordentliches Engagement nun auch die volle Prämie erhalten und nicht nur 70 Prozent, wie es vorher war.

Wir werden das Beamten- und das Soldatenversorgungsgesetz ändern, nämlich durch eine Aufhebung der Hinzuverdienstgrenze nach § 14a des Beamtenversorgungsgesetzes und nach § 26a des Soldatenversorgungsgesetzes. Die Meinung der Verteidigungspolitikerinnen und -politiker der SPD-Fraktion ist dabei klar: Wir fordern und wir arbeiten an einer Abschaffung aller Hinzuverdienstgrenzen für Soldatinnen und Soldaten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Kerstin Vieregge [CDU/CSU] und Nils Gründer [FDP])

Denn den Luxus, auf Fachkräfte zu verzichten, die übrigens bei einem Hinzuverdienst auch Steuern zahlen, können wir uns nicht leisten. Menschen, die in den Streitkräften mit 55 pensioniert werden, zu sagen: „Ihr dürft nicht mehr nebenher arbeiten“, ist vollkommener Unsinn und geht an der Realität in unserem Land vorbei.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Zum Schluss. Dieses Gesetz wird auch zur Attraktivität des Dienstes beitragen. Wer weiß, dass seine Familie zu Hause versorgt ist, kann auch ohne Sorge und damit besseren Dienst leisten. Dadurch steigert dieses Gesetz unsere Verteidigungsfähigkeit ganz real und trägt seinen Teil zur Zeitenwende bei.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Die nächste Rednerin ist Kerstin Vieregge für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7603763
Wahlperiode 20
Sitzung 137
Tagesordnungspunkt Gleichstellungsfortentwicklungsgesetz Militärpersonal
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