Zanda MartensSPD - Wirtschaftsstandort Deutschland
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Parteien! Weil Bürokratie Menschen so unfassbar nervt, Unternehmen reale wirtschaftliche Nachteile bringt und den Wirtschaftsstandort Deutschland gefährdet, beschäftigten wir uns schon wieder mit dem Abbau von bürokratischen Hürden und Hemmnissen. Aber wir müssen auch unbedingt der Frage nachgehen, wie es denn überhaupt dazu kam, dass wir die Bürokratie erst aufgebaut haben.
Die Bürokratie wuchert doch nicht von alleine. Das macht die Politik, der Gesetzgeber. Haben denn unsere Vorgänger/-innen es nicht gemerkt? Offensichtlich nicht. Und das ist kein Wunder, wenn man sich genauer anschaut, wie unsere Gesetze entstehen.
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Genau! In 40 Tagen mittlerweile!)
Wir denken nämlich in Vorschriften, in Regeln, die einzuhalten sind, und nicht in Ergebnissen, die wir erzielen wollen. Aus diesem Grund haben wir den Bürokratieaufbau nicht verhindert, und wir werden auch den Abbau nicht schaffen, solange wir nicht konsequent in Richtung ergebnisorientierten Handelns umdenken.
Den Staat mit einem Unternehmen zu vergleichen, ist meistens falsch. Aber hier passt der Vergleich ausnahmsweise. Der Staat, der Gesetzgeber, also wir, hat die Vorschriften, die einzuhaltenden Regeln im Blick, während jedes gut geführte Unternehmen kunden- und ergebnisorientiert arbeitet.
Genau deshalb helfen uns auch die Forderungen der Union in ihrem Antrag nicht beim notwendigen Bürokratieabbau: hier mal eine Frist kürzen, da einen Schwellenwert senken, einzelne Arbeits- und Verbraucherrechte schleifen, hier mal eine Bescheinigung weglassen, da ein Antragsverfahren digitalisieren. Wir werden das Problem nicht lösen, indem wir einige Vorschriften aus unseren Gesetzen löschen. Denn generell hat jede Vorschrift, mag sie auch noch so bürokratisch sein, schließlich ein Ziel, was damit erreicht werden soll. Das klingt vielleicht merkwürdig angesichts der schieren Masse an Gesetzen und vor dem Hintergrund, dass wir über zu viel Bürokratie klagen, aber es ist so.
Der Gesetzgeber hat überlegt, wie sich der erwünschte Zustand erreichen lässt, und dann hat er eine Vorschrift beschlossen. Dann übergibt die Politik das Ganze an die Verwaltung im Vertrauen darauf, dass diese Vorschrift ein bestimmtes Handeln bewirkt, das am Ende zum erwünschten politischen Ziel führt.
Die Verwaltung selbst denkt und handelt aber auch nicht ergebnisorientiert. Sie gleicht die Realität mit der Vorschrift ab. Vorschrift eingehalten? – Richtig. Gegen Vorschrift verstoßen? – Falsch. Es wird gefragt, ob die Vorschrift eingehalten wurde, und nicht, ob das Ergebnis erreicht ist. Und so sind eben viele Ergebnisse letztlich nicht erreichbar.
Solange wir unsere Gesetze nicht bis zum Ende in Ergebnissen denken, werden wir keinen Bürokratieabbau schaffen. Es kann nicht gelingen; es ist noch nie gelungen, sonst würden wir kein viertes Bürokratieentlastungsgesetz brauchen.
Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen, Kunden – sie denken vom Ergebnis her. Sie interessieren die Hintergründe der Verfahren nicht; so genau wollen sie sich gar nicht damit befassen. Sie interessieren sich nicht für die Abläufe, mit denen sich Behörden herumschlagen, sondern für die Ergebnisse: neuer Wohnort oder ein Gewerbe angemeldet, Wohngeld oder Fördermittel auf dem Konto usw.
Spätestens jetzt, beim vierten Bürokratieentlastungsgesetz, müssen wir unbedingt ergebnisorientiert denken und ganze Verfahren anpacken, statt hier und dort an einigen Vorschriften herumzudoktern. Die Verwaltung, die Menschen, die dort arbeiten, können sich noch so viel Mühe geben: Sie wird niemals bürgernah sein, solange wir die Perspektive der Bürger ignorieren.
Ich hoffe sehr, dass der Entwurf des vierten Bürokratieentlastungsgesetzes, den uns das Bundesjustizministerium noch in diesem Jahr vorlegen will, von diesem ganzheitlichen Denken geprägt ist und nicht nur eine Liste von Vorschriften ist, die gelöscht, gekürzt oder digitalisiert werden sollen. Denn die entscheidende Frage ist: Wollen wir großartige Vorschriften und Regeln haben, oder soll etwas im Ergebnis funktionieren? Der Antrag der Union beantwortet diese Frage nicht ansatzweise und gehört deshalb in die Ablage P.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7604270 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 141 |
Tagesordnungspunkt | Wirtschaftsstandort Deutschland |