30.11.2023 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 141 / Zusatzpunkt 6

Franziska KerstenSPD - Nahrungsmittelselbstversorgung in Deutschland und Europa

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war ja jetzt ziemlich emotional. Ich möchte gerne wieder zum Thema Pflanzenschutz und zu den Anträgen von AfD und CDU/CSU zurückkommen.

Wo stehen wir gerade?

(Zuruf von der AfD: Am Abgrund!)

Auf europäischer Ebene war seit Längerem eine grundlegende Neufassung der Pflanzenschutzgesetzgebung in Arbeit. Das Ziel ist die nachhaltige Verwendung von Pflanzenschutzmitteln. Laut Koalitionsvertrag haben wir uns vorgenommen, Alternativen zu chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln und insbesondere den integrierten Pflanzenschutz zu stärken. Pflanzen sollen so geschützt werden, dass möglichst Nebenwirkungen für Umwelt, Gesundheit und Biodiversität vermieden werden. Das passt erst mal zusammen.

Dann haben wir uns den Vorschlag der EU einmal genauer angeschaut. Der Entwurf der Kommission war eine Maximalforderung, die Betroffene sofort verschreckt und auf die Barrikaden gebracht hat. Der Vorschlag ging eindeutig zu weit: zum einen eine unklare Definition der „sensiblen Gebiete“, in denen eine Anwendung von Pflanzenschutzmitteln künftig verboten wäre. Im Extremfall wäre ein Großteil der Natura-2000-Gebiete betroffen gewesen, und es hätte zum Beispiel fast die gesamte Soester Börde betroffen. Zum anderen war beim Ziel, perspektivisch 50 Prozent einzusparen, nicht klar, welche bisherigen Reduktionsleistungen unserer Landwirtschaft hier anerkannt und einbezogen werden. Außerdem fehlten differenzierte Regelungen für Sonderkulturen. – Hier ein Gruß – oh, sie sind schon weg – an die Weinköniginnen und -prinzessinnen! – Es fehlten auch tragfähige Maßnahmen zur Unterstützung der Landwirtschaft.

Ich habe vom BMEL fortwährend eingefordert, sich in den Verhandlungen für differenzierte Regelungen einzusetzen. Leider wurde von der Berichterstatterin Sarah Wiener im Europaparlament nicht nach einem ausgewogenen Kompromiss gesucht. Stattdessen gingen die Forderungen teilweise sogar noch über den Ursprungsentwurf hinaus. Das hatte Konsequenzen: In der Schlussabstimmung hat das Parlament am 22. November diesen Verordnungsentwurf abgelehnt. Eine neue EU-Pflanzenschutzgesetzgebung ist damit vorerst nicht in Sicht.

Manche jubeln jetzt. Aber an ein Weiter-so glauben Sie doch nicht ernsthaft, meine Damen und Herren. Hier wurde die Chance verpasst, eine ausgewogene Regelung zu erreichen und eine langfristige Planungssicherheit für die Landwirtinnen und Landwirte zu schaffen. Es wären ganz neue Modelle möglich gewesen. Die DLG hat zum Beispiel einen Zertifikatehandel vorgeschlagen. Das bedeutet: Der Landwirt hat das Recht, eine bestimmte Menge Pflanzenschutzmittel anzuwenden, und die Landwirte können untereinander entsprechende Zertifikate handeln. Manche müssen vielleicht weniger Pflanzenschutzmittel verwenden, weil sie eine gute ackerbauliche Praxis einsetzen.

Nun noch mal zum Thema Glyphosat. Beim Glyphosat hat die Kommission nach langem Verfahren eine zehnjährige Wiederzulassung unter Auflagen beschlossen. Wir haben heute die EU-Dringlichkeitsverordnung bekommen, und wir müssen uns noch genauer anschauen, was da alles drinsteht. Vom BMEL erwarten wir nun eine rechtssichere Umsetzung dieser Entscheidung im deutschen Recht. Das bedeutet eine zügige Anpassung der Pflanzenschutzmittel-Anwendungsverordnung. Einen kompletten Verzicht auf Glyphosat in allen Bereichen können wir uns nicht leisten. Das haben wir zum Beispiel bei der Deutschen Bahn gesehen; sie hat es versucht, und sie ist noch nicht ganz erfolgreich gewesen. Aber eine weitere Einschränkung ist schon jetzt möglich, betont wiederum die DLG. Außerdem brauchen wir vielversprechende Alternativen und kein Ausweichen auf eine häufigere Anwendung von vielleicht noch toxischeren anderen Pflanzenschutzmitteln.

Fakt ist: Unannehmbare Auswirkungen von Pflanzenschutzmitteln auf Umwelt, Gesundheit und Biodiversität müssen vermieden werden. Aber die Voraussetzung für Ernährungssicherheit sind gesunde Pflanzenbestände. Ein Gleichgewicht zwischen Gesundheitsschutz, Umweltschutz und Landwirtschaft ist möglich. Wir setzen uns für einen fairen Kompromiss ein, der allen Beteiligten gerecht wird und die landwirtschaftlichen Betriebe nicht alleinlässt.

In Ihren Anträgen ist leider kein Fortschritt und keine Innovation zu erkennen. Herr Stegemann ist leider schon weg. Ich kann da nichts erkennen, was auf eine Weiterentwicklung der Landwirtschaft gerichtet ist. Der Blick in die Länder zeigt, dass so etwas durchaus möglich ist; ich nenne als Beispiel den Niedersächsischen Weg. Daran können wir anknüpfen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Kersten. – Ich kann Ihnen helfen: Die Weinköniginnen sind in JKH E 703 zu einer Open-Door-Weinverkostung.

(Artur Auernhammer [CDU/CSU], an die Abg. Dr. Franziska Kersten [SPD] gewandt: Du kannst mit mir dahingehen!)

Haben das jetzt alle gehört? – Ja, wunderbar.

Letzter Redner dieser Debatte ist der Kollege Frank Rinck, AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7604453
Wahlperiode 20
Sitzung 141
Tagesordnungspunkt Nahrungsmittelselbstversorgung in Deutschland und Europa
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta