Thomas HackerFDP - Regierungserklärung zum Europäischen Rat
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir kommen zurück auf den Boden der Tatsachen und zum heutigen Thema.
Nichts hat auf die Länder in unserer Nachbarschaft eine so große Anziehungskraft wie die Aussicht auf einen Platz in der europäischen Familie. Sie bringt Länder dazu, über sich hinauszuwachsen, rechtsstaatliche Normen zu etablieren, Korruption zu bekämpfen und ihre Wirtschaft auf marktwirtschaftliche Beine zu stellen. Der Einsatz der Länder, die dies ernst nehmen, wird belohnt. Die Beitrittsrunden der Vergangenheit zeigen: Die Nachbarschafts- und Erweiterungspolitik ist eines der erfolgreichsten Politikfelder der EU.
Ja, Beitrittsprozesse verlangen den Kandidaten viel ab. Doch sie binden dabei die Länder und die Gesellschaften enger an die EU, Schritt für Schritt. Viele Jahre ist die Erweiterungs- und Nachbarschaftspolitik leider in den Hintergrund gerückt. Die Krisen der Gegenwart, innereuropäische Herausforderungen, die quälenden und im Ergebnis überflüssigen Jahre des Brexits haben dies noch verstärkt. In diese Lücke stießen andere, nämlich autoritäre Staaten, systemische Wettbewerber wie China und Russland, und ihr Geld war willkommen. So traurig es ist: Erst der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat die EU aus ihrer geopolitischen Lethargie befreit, hat der Erweiterungs- und Nachbarschaftspolitik eine neue Dynamik gegeben – endlich, liebe Kolleginnen und Kollegen!
(Dr. Harald Weyel [AfD]: 50 Prozent Bevölkerungsrückgang in der Ukraine!)
Die Ukraine verteidigt nicht nur ihr eigenes Überleben, sondern auch die Sicherheit der Republik Moldau. Schon vor der Invasion haben Präsidentin Maia Sandu und die reformorientierte Regierung bewiesen, dass sie das Land aus den Griffen von Oligarchie und Kleptokratie lösen wollen und können.
Beitrittsverhandlungen sind ein langer, komplexer, technischer Prozess, der beiden Ländern sehr viel abverlangen wird. Als Deutscher Bundestag werden wir den Ländern konstruktiv zur Seite stehen.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir müssen aber auch selbstkritisch sein. In der Europäischen Union wird sich vieles ändern, ändern müssen. Mechanismen und Mehrheiten müssen neu definiert werden und neue Handlungsfähigkeit für die Zukunft aufgebaut werden. Rechtsstaatlichkeit als Grundmaxime darf nicht infrage gestellt werden. Die Entscheidungen über unsere Zukunft müssen demokratisch in Brüssel getroffen werden, auf der Grundlage unserer Verträge und nicht durch einen ungarischen Kuhhandel.
Erlauben Sie mir zum Abschluss eine persönliche Anmerkung. Ich bin gestern Abend aus Kiew zurückgekehrt. Die Sorgen im Land nehmen zu, die Unsicherheit über die zukünftige Unterstützung durch die Partner steigt. Jeden Tag sterben Soldaten, werden Kinder verschleppt. Jede Woche wird die Aufrüstung und Mobilisierung Russlands vorangetrieben. Die Zeit zum Handeln ist jetzt. Versetzen wir die Ukraine finanziell und militärisch in die Lage, entscheidende Erfolge zur Befreiung der besetzten Gebiete zu erzielen, mit allem, was möglich ist!
Zeiten des Krieges sind Zeiten, sich zu entscheiden. Das sollte auch Viktor Orban wissen. Wir haben uns entschieden: für die Freiheit, für die Freiheit der Ukraine. Handeln wir auch so!
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das Wort hat jetzt Christian Petry für die SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7604820 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 143 |
Tagesordnungspunkt | Regierungserklärung zum Europäischen Rat |