Helge LindhSPD - Halbzeit der Wahlperiode
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass Deutschland es mit der Union nicht besser kann, steht jedenfalls fest; das haben Herr Spahn – ich sage nur: Open-House-Verfahren für Masken – und gestern auch Herr Merz mit seiner Rede bewiesen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Herr Merz, Ihre Auftritte sind eine Kombination aus Mackerpose – so hat es der Kanzler genannt – und – so möchte ich ergänzen – Kraftmeierei, Holterdiepolter und Oberlehrertum. Friedrich Merz’ Auftritte passen perfekt zu dem, was mittlerweile Standard im Deutschrap ist.
(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Zur Sache! – Matthias Hauer [CDU/CSU]: Sie könnten Ihre Politik erklären!)
Die Zeile lautet: „Ich mache Krach wie gewohnt.“ Mit „Krach machen“ macht man aber keine Politik.
(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der AfD – Stephan Brandner [AfD]: Den großen Krach machen Sie doch!)
Sie fordern zum Beispiel in Ihrem Antrag Asylverfahren in Drittstaaten als Regelmodell.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Matthias Hauer [CDU/CSU]: Sehr gut!)
Aber wie wollen Sie das erreichen? Soll Herr Merz die Regierungschefs nur einmal ernst angucken? Im Unterschied zu dieser Koalition bleiben Sie die Antwort über das Wie schuldig.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Mechthilde Wittmann [CDU/CSU]: Antrag lesen!)
Sie haben gestern auch gesagt, der MPK-Beschluss müsse Punkt für Punkt und mit Kommata umgesetzt werden. Direkt nach dem MPK-Beschluss hieß es, er sei ungenügend, schlecht und nicht zu gebrauchen. Das schöne alte deutsche Wort in Ihrem leitkulturellen Sinne dafür heißt: Heuchelei. Es ist Heuchelei und Doppelzüngigkeit. Was wollen Sie denn nun genau? In Ihrem Wüst-regierten Bundesland wird schriftlich verkündet: Aufenthaltssichernde humanitäre Maßnahmen sollen so im Sinne des Bleiberechts ausgeschöpft werden, damit gut integrierte Geduldete bleiben können.
(Stephan Brandner [AfD]: Drehen Sie doch einmal etwas runter!)
In Ihrem Antrag steht: Abschaffung des Chancen-Aufenthaltsrechts und Abbau der Bleiberechtsmöglichkeiten. Was wollen Sie? Oder wollen Sie auf beiden Seiten Stimmen abschöpfen? Das ist mein Verdacht. Sie wollen einerseits die Merkel-Wähler nicht verlieren und andererseits Härte markieren. Auch das nenne ich „Doppelzüngigkeit und Heuchelei“.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Sie brauchen nicht so zu schreien! Sie werden schon ganz rot im Gesicht! Ihre Wähler werden immer weniger!)
Ich sage als einer, der die Protest- und Revolutionsbewegung im Iran aufmerksam verfolgt und wahrnimmt, dass sich Abgeordnete aus der Union wie Herr Röttgen und andere deutlich und mahnend in Position bringen und richtigerweise fordern, dass Deutschland sich noch deutlicher vom Iran distanzieren müsse, dass sie recht haben. Dann lese ich aber in diesem Antrag – und dabei fallen mir fast die Augen aus dem Gesicht –, dass es ein Rücknahmeabkommen für Geflüchtete aus dem Iran geben soll. Mit wem wollen Sie das verhandeln? Sie wollen das doch nicht mit der Opposition verhandeln, sondern mit dem Mullah-Regime. Das nenne ich „Heuchelei“:
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
einerseits so aufzutreten, so zu reden und andererseits ein Rücknahmeabkommen mit dem Iran zu fordern.
Ich stelle ernsthaft fest, dass Ihre Moral offensichtlich eine Obergrenze hat. Und diese Obergrenze der Moral beginnt da, wo es um Flüchtlinge geht, wo es um Migration geht, und da, wo Sie meinen damit punkten zu können. Ihr Ethos – und das ist der Unterschied zwischen uns, endlich haben wir klare Unterschiede zwischen Union und SPD und zwischen Union und Ampel – hat ein Verfallsdatum. Unsere Werte haben aber kein Verfallsdatum.
Ich habe auch in den Entwurf des neuen Grundsatzprogramms der Union geschaut. Darin steht – bitte alle zuhören –: „Muslime, die unsere Werte teilen, gehören zu Deutschland“. Das klingt harmlos. Dieser Satz ist aber eine Unverschämtheit.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Matthias Hauer [CDU/CSU]: Das ist eine Selbstverständlichkeit!)
Dieser Satz ist ein Schlag ins Gesicht von Millionen Musliminnen und Muslimen, die in diesem Land aufgewachsen sind. Denn dieser Satz bedeutet, dass sie nicht selbstverständlich Teil von Deutschland sind, sondern sich erst mal beweisen müssen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Schreiben Sie denn auch hinein: „Christen, die unsere Werte teilen, gehören zu Deutschland, Agnostiker und Atheisten, die unsere Werte teilen, gehören zu Deutschland“? Nein, das schreiben Sie nicht hinein. Das ist genau der Rückfall in diese neue, altentdeckte Leitkultur, die Sie predigen.
Wir wollen aber nicht, dass Sie dieses Land, ein offenes Land, mit Ihrer Leitkultur konfrontieren; denn dann wird eines Realität: Dann haben wir hier echt eine Leitkultur, die viele –
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist bereits vorbei.
– aber als Leidkultur – mit „d“ – empfinden.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Ebenfalls für die SPD-Fraktion hat das Wort Dr. Ralf Stegner.
(Beifall bei der SPD – Bernd Schattner [AfD]: Der nächste Hetzer! – Stephan Brandner [AfD]: Ein roter Hetzer nach dem anderen!)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7605011 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 144 |
Tagesordnungspunkt | Halbzeit der Wahlperiode |