14.12.2023 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 144 / Tagesordnungspunkt 13

Wolfgang Kubicki - Bericht der Unabhängigen Kommission Antiziganismus

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Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Abgeordnete! Liebe Frau Ministerin Paus! Liebe Frau Ministerin Denstädt! Liebe Frau Kollegin Pawlik! Eine halbe Million Sinti und Roma wurden durch Hitlerdeutschland ermordet. Dem Genozid folgte keine Katharsis. Die Läuterung der Seele blieb aus. Schuld wurde nicht anerkannt, Entschädigung oft verweigert. Stattdessen wurden Ermordete wie Überlebende weiter kriminalisiert. Das ist die Ursünde des Nachkriegsdeutschlands im Umgang mit Sinti und Roma. Die Verächtlichmachung der Menschen, der Soundtrack, der nach Auschwitz führte, er hat nie ganz aufgehört. Deswegen haben Kranzniederlegungen an Gedenktagen etwas Verlogenes. Wir ehren die Toten und entehren am nächsten Tag die Lebenden. Wir achten die Ermordeten und verachten oft genug ihre Enkel und Urenkel.

Die Unabhängige Kommission Antiziganismus hat recht, wenn sie von der Zweiten Verfolgung spricht, die bis heute schlimme Folgen für das Leben von Sinti und Roma hat. Lassen Sie mich ein Beispiel für die Zweite Verfolgung geben: KZ-Überlebende aus Auschwitz, Treblinka, Sobibor kehrten nach dem Krieg in ihre Heimat zurück. In vielen Fällen verweigerten ihnen die Behörden die Ausgabe von Ausweispapieren mit der Begründung, „Z“ könnten ja keine Deutschen sein. Die Nürnberger Rassegesetze lebten im bundesdeutschen Nachkriegsdeutschland an vielen Stellen fort.

Der Schriftsteller William Faulkner hat einmal gesagt: Die Vergangenheit ist nicht tot; sie ist nicht einmal vergangen. – Vor einigen Monaten sprach ich in Köln mit jungen Menschen aus der Community, die mir sagten, sie seien staatenlos, weil ihren Großeltern die Papiere weggenommen wurden. Nein, die Vergangenheit ist nicht tot, für niemanden von uns; aber ganz besonders nicht für Sinti und Roma.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Wir können nicht ernsthaft von einer Vergangenheitsbewältigung sprechen, wenn wir oft genug unfähig sind, unsere Gegenwart zu bewältigen? Ich werde im kommenden Jahr eine Wahrheitskommission berufen. Die Zweite Verfolgung muss aufgearbeitet werden!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Trotz allem bin ich zuversichtlich – aus zwei Gründen. Erstens, weil wir viele Sinti und Roma haben, die sich jeden Tag engagieren und die sich für unser Land einsetzen. Das ist mit Blick auf unsere Geschichte bemerkenswert und verdient unsere Anerkennung.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Einige dieser Menschen sind heute auf der Ehrentribüne anwesend. Ich möchte sie begrüßen und ihnen sagen: Danke, dass Sie durch Ihre Arbeit unser Land zu einem besseren Land machen! Danke.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Zweiter Grund für meinen Optimismus: mein Vertrauen in dieses Land. Ich glaube mit Haut und Haar an dieses Land. Die Unabhängige Kommission Antiziganismus zu beauftragen, erforderte Mut. Die breite Mehrheit unseres Parlaments war und ist bereit, in den Abgrund zu blicken – nicht auf die Gefahr hin, dass der Abgrund zurückblickt, sondern im sicheren Wissen, dass er es tun wird. Das ist für mich Ausdruck einer vorbildlichen Demokratie, und für diesen Weg genießt die Bundesrepublik Deutschland zu Recht hohes Ansehen bei unseren europäischen Partnern. Ich glaube an unser Land und an das Gute, für das es steht.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Dr. Daimagüler. – Nächster Redner ist der fraktionslose Abgeordnete Stefan Seidler vom SSW.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7605133
Wahlperiode 20
Sitzung 144
Tagesordnungspunkt Bericht der Unabhängigen Kommission Antiziganismus
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