Michael MüllerSPD - Stabilität und Demokratie im Libanon
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Alle, die den Libanon kennen, wissen: Es ist ein großartiges Land mit tollen, engagierten Menschen, aber völlig runtergewirtschaftet durch Korruption in Wirtschaft und Politik, mit dysfunktionaler Verwaltung, ohne funktionierendes Parteien-, Parlaments- und Regierungssystem. Der Präsident konnte entsprechend bis heute die Arbeit nicht aufnehmen. Die Währung ist durch massive Entwertung in den letzten Jahren so gut wie nichts mehr wert. Hinzu kommt, dass dieses fragile Land, dass der Libanon überproportional viele Geflüchtete aus dem von Bürgerkrieg betroffenen benachbarten Syrien aufgenommen hat, rund 1,5 Millionen Menschen. Auch das ist natürlich nicht einfach zu bewältigen.
Für das Land – Herr Hardt hat das völlig richtig beschrieben – und weit darüber hinaus ist es eine massive Bedrohung, dass es die Hisbollah gibt. Die Hisbollah, so wie sie ist, profitiert von all den Krisen im Libanon. Sie hat einen Staat im Staate geschaffen, eine Parallelstruktur mit einem eigenen Banksystem, um sich und ihre Mitstreiter und Kämpfer zu finanzieren. Sie finanziert tatsächlich auch Sozialleistungen für die Bevölkerung. Damit – man darf sich da nicht wundern – ist zu erklären, warum es bei Wahlen bis zu 40 Prozent für die Hisbollah und deren befreundete Organisationen gibt.
Aber – auch das ist völlig zu Recht erwähnt worden – die Hisbollah ist außen- und sicherheitspolitisch ein Risikofaktor, ausgerüstet vom Iran, hochgerüstet mit allen militärischen Mitteln. Tausende kampferprobte Veteranen stehen der Hisbollah zur Verfügung und 130 000, manche sprechen sogar von bis zu 150 000 Raketen, die in Richtung Israel ausgerichtet sind. Das ist eine massive Bedrohung nicht nur für Israel, sondern für die gesamte Region.
Die Gefahr, die uns alle umtreibt, ist, dass die Hisbollah praktisch eine zweite Front gegen Israel eröffnet und damit die Kräfte Israels in dieser ohnehin schon so fatalen und bedrohlichen Lage zusätzlich bindet, dass es zu einer Eskalationsspirale kommt: Eine schwächer werdende Hamas fordert die Hisbollah heraus, auch aktiv zu werden. Damit ist praktisch der Iran indirekt Kriegspartei. Das hätte sicherlich zur Folge, dass sich, wie auch immer, die USA engagieren würden. Das würde bedeuten, dass nicht nur der Libanon völlig am Ende ist, sondern es auch zu einer wirklich ungeahnten Eskalation in der gesamten Region kommt. So weit, so richtig die Beschreibung der Situation im Antrag der Union.
Und doch sage ich: Der Antrag ist zumindest in dieser Form entbehrlich. Obwohl Sie die Überschrift „… Stabilität und Demokratie im Libanon unterstützen“ gewählt haben, konzentrieren Sie sich in dem Antrag ausschließlich auf das Thema Hisbollah. Sie wissen genau, dass gerade jetzt dort viel passiert durch die Bundesregierung. Ja, 2020/2021 hat es die Verbote gegeben; aber es ist danach eben nichts umgesetzt worden und nichts kontrolliert worden. Das, was dringend nötig war, um in Ihrem Sinne die Hisbollah und ihre Finanzströme auszutrocknen, das passiert genau jetzt durch die entsprechenden Untersuchungen und durch die Aktivitäten der Bundesregierung. Das ist richtig und nötig und muss auch mit aller Härte umgesetzt werden, damit man diese Gefahr im Nahen Osten und weit darüber hinaus so weit es geht irgendwie eindämmen kann.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Aber, meine Damen und Herren, ich will auch sagen, dass zu Stabilität und Demokratie noch mehr gehört: Maßnahmen, die die Bundesregierung zum Glück aufgegriffen hat, eben auch diplomatisches Engagement. Wir müssen doch mäßigend auf alle Beteiligten in der Region einwirken. Wir müssen versuchen, Partnerschaften so weit es geht irgendwie zu nutzen, um zu deeskalieren in dieser angespannten Situation. Deswegen ist es gut, dass der Bundeskanzler, die Außenministerin und andere Regierungsvertreterinnen und -vertreter ständig im Nahen Osten präsent sind, um mit allen möglichen Gesprächspartnern auszuloten, welche Wege man gehen kann, unabhängig von einer weiteren kriegerischen Eskalation.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Ulrich Lechte [FDP])
Meine Damen und Herren, ich will als Drittes und Letztes nennen: Natürlich ist es genauso wichtig, dass wir weiter humanitär dem Libanon helfen. Sie haben völlig recht, Herr Hardt: Nicht der Hisbollah muss man helfen – da muss man hingucken –; aber dem Libanon müssen wir doch helfen. Wirtschaftliche und politische Stabilität muss zurückgewonnen werden, damit die Menschen wieder eine Perspektive im Libanon haben jenseits von Korruption und Terrorismus und Eskalation.
Deswegen ist es gut, dass das BMZ seit 2012 schon so viel unternommen hat. Es hat viele Programme gefördert – ich habe sie mir selbst vor Ort angesehen –, mit denen insbesondere Frauen unterstützt werden, damit sie eine Perspektive bekommen, sich auf dem Arbeitsmarkt weiterqualifizieren zu können. Schulgeld wird für die Kinder bezahlt, um zumindest ein Minimum an Bildung sicherzustellen. 1 Million Menschen wurde Zugang zu sauberem Trinkwasser ermöglicht. Ja, es sind kleine Bausteine in dieser fragilen Krisenregion; aber es sind wichtige Bausteine, die sich die Bundesregierung nicht nur vorgenommen hat, sondern auch tatsächlich ganz konsequent umsetzt.
Insofern sage ich noch einmal: Das Problem ist richtig beschrieben. Wir sollten alle miteinander daran arbeiten, auch auf dieses Problem mit aller Klarheit zu reagieren. Aber vieles von dem, was Sie an Aktivitäten erwarten, wird längst von der Regierung umgesetzt. Daher sage ich zum Antrag: richtig beschrieben und trotzdem entbehrlich.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Nächster Redner ist Matthias Moosdorf für die AfD-Fraktion.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7605233 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 144 |
Tagesordnungspunkt | Stabilität und Demokratie im Libanon |