Thorsten RudolphSPD - Nachtragshaushaltsgesetz 2023, Artikel 115 II GG
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Nacht auf den 15. Juli 2021 kam es in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz zu einer unvorstellbaren Flutkatastrophe mit über 180 Toten und verheerenden Verwüstungen, insbesondere auch im Ahrtal, in unmittelbarer Nachbarschaft zu meinem Wahlkreis in Koblenz.
Am 15. September, genau zwei Monate später, trat das Gesetz zur Errichtung eines Sondervermögens „Aufbauhilfe 2021“ in Kraft, mit dem Bund und Länder bis zu 30 Milliarden Euro für den Wiederaufbau zur Verfügung gestellt haben.
(Christian Haase [CDU/CSU]: Wer hat es geschrieben?)
Es gab seinerzeit mehrere Sondersitzungen des Bundestages und des Bundesrates, um den Flutbetroffenen schnell eine sichere Perspektive für den Wiederaufbau zu geben. Das Gesetz der damaligen Koalition aus CDU/CSU und SPD wurde hier im Bundestag von allen demokratischen Fraktionen getragen. Und ich möchte heute hier ganz ausdrücklich als Erstes sagen: Ich bin sehr dankbar für das schnelle, entschlossene und solidarische Handeln von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts stellt Bund und Länder jetzt vor große Herausforderungen, was sich insbesondere auch an der „Aufbauhilfe 2021“ zeigt. Angesichts des Ausmaßes der Zerstörung war von Anfang an klar, dass der Wiederaufbau Jahre in Anspruch nehmen wird und die Unterstützung über Jahre benötigt werden wird. Genau deshalb haben wir ja 2021 ein solches Sondervermögen mit bis zu 30 Milliarden Euro eingerichtet. Nach dem Urteil geht das nun nicht mehr, weil solche Sondervermögen künftig jedes Jahr neu beschlossen werden müssen.
(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Das ist jetzt Gerichts-Bashing!)
Den Betroffenen in den Flutgebieten aber sage ich an dieser Stelle als Zweites ganz ausdrücklich: Die Vereinbarungen, die wir seinerzeit zwischen Bund und Ländern getroffen und mit der „Aufbauhilfe 2021“ umgesetzt haben, standen durch das Urteil zu keinem Zeitpunkt infrage. Um da ganz klar zu sein: Es steht nicht zur Debatte, ob weiter Hilfe geleistet wird. Offen ist nur die Frage, wie sie im Haushalt abgebildet wird.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Otto Fricke [FDP] – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Genau!)
Hier sind Anpassungen erforderlich. Ich bin froh, dass wir heute mit dem Nachtragshaushalt 2023 und dem Beschluss über die Aussetzung der Schuldenbremse die in diesem Jahr ausgezahlten Gelder rechtlich auch absichern.
(Beifall der Abg. Frauke Heiligenstadt [SPD])
Für 2024 werden wir Mittel in Höhe von 2,7 Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Die Koalition, meine Damen und Herren, steht zu der Vereinbarung, die wir zur langfristigen Unterstützung des Wiederaufbaus hier gemeinsam getroffen haben.
Und lassen Sie mich das als Drittes ganz ausdrücklich sagen: Es ist wichtig, dass wir für die nach der Katastrophe immer wieder zweifelnden Menschen Klarheit und Sicherheit schaffen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Meine Damen und Herren, ich höre immer wieder, dass die jährlich erforderliche Summe für die Flutopfer nicht erheblich und die Aussetzung der Schuldenbremse nicht gerechtfertigt sei. Auch das ist ein Signal – ein falsches Signal, weil die Mittel für die Flutopfer eben nicht nur ein Haushaltsposten unter tausend anderen sind; ein Posten, der jedes Jahr wieder in den Haushaltsberatungen gegen andere Erfordernisse abgewogen werden muss. Und das gilt umso mehr, als auch 2021 allen Beteiligten klar war, dass die jährlich erforderliche Summe im Vergleich zum gesamten Bundeshaushalt verhältnismäßig gering ist. Die CDU/CSU sieht das anders und will den Mitteln für die Flutopfer heute nicht zustimmen.
(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Darum geht es doch gar nicht!)
Das kann man nur zur Kenntnis nehmen. Ich bitte aber, auch zur Kenntnis zu nehmen, was das heißt.
Wir haben heute noch hohe Belastungen aus den multiplen Krisen der letzten Jahre – Corona, Energie, Ukraine, Ahrtal –, die wir jetzt alle im Kernhaushalt finanzieren müssen und die die Summe der erlaubten Neuverschuldung von 0,35 Prozent des BIP weit übersteigen. Das ist kein vernünftiger Umgang, meine Damen und Herren, mit Krisen und Naturkatastrophen.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Paula Piechotta [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Wir werden uns gemeinsam mit der Frage beschäftigen müssen, wie wir vor dem Hintergrund des Urteils mit Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen umgehen und wie wir den Geschädigten Sicherheit geben können.
Deshalb möchte ich als Viertes heute alle Beteiligten bitten, die verfassungsrechtlichen Regelungen daraufhin zu überprüfen, ob sie geeignet sind, diese Sicherheit auch wirklich zu geben. Das sollten wir hier weiter diskutieren.
Meine Damen und Herren, die Menschen im Ahrtal hatten schon früh die Sorge, dass die Herausforderungen des Wiederaufbaus in Vergessenheit geraten könnten, wenn die anfängliche Betroffenheit vorüber ist. Die heute anstehenden Beschlüsse senden ein wichtiges Zeichen anhaltender Solidarität. Sie sind das richtige, sie sind das gute Zeichen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Gemäß § 39 der Geschäftsordnung ist der Einspruch auf die heutige Tagesordnung zu setzen.
Der Bundestag hat über den Einspruch ohne Aussprache zu entscheiden. Die Entscheidung über den Einspruch wird als Zusatzpunkt 12 nach Tagesordnungspunkt 23 – das wird gegen 12.55 Uhr sein – aufgerufen.
Ich komme zurück zum Tagesordnungspunkt 7 und Zusatzpunkt 6, und als Nächstes hat das Wort für die AfD-Fraktion Ulrike Schielke-Ziesing.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7605289 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 145 |
Tagesordnungspunkt | Nachtragshaushaltsgesetz 2023, Artikel 115 II GG |