Hakan DemirSPD - Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
„Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte …“
Das steht in Artikel 2 des Vertrags über die Europäische Union. Das sind nicht nur Worte, sondern das sind unsere Werte, wonach wir uns alle richten müssen.
Wir sind bei dem Abschluss des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems in diese Richtung unterwegs. Am 18. Dezember 2023 gibt es dazu noch mal einen Trilog. Mir ist aber natürlich bewusst, dass die mehr als elf Gesetzesvorhaben mit mehr als 500 Seiten nicht perfekt sind. Sie sind ein Kompromiss zwischen sehr unterschiedlichen Interessen in der EU.
An der einen oder anderen Stelle versucht unsere Bundesregierung, im Europaparlament noch etwas rauszuholen. Wir wollen zum Beispiel, dass Kinder nicht in ein Grenzverfahren kommen. Wir wollen, dass Menschen nicht in Länder zurückgeführt werden, zu denen sie keine Verbindung haben. Wir haben uns für ein starkes Verbindungselement eingesetzt.
Das, was noch nicht Thema in diesen Verhandlungen ist: Wir brauchen weiterhin eine europäische Seenotrettung, damit das Sterben im Mittelmeer endlich endet. 2 000 Menschen sind dort dieses Jahr schon gestorben, und das ist zu viel.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Norbert Kleinwächter [AfD]: Schaffen Sie die Anreize ab!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Schutz für Menschen, die ihre Heimat verlassen müssen, ist eine gemeinsame Menschheitsaufgabe. Die Vision der rechtsextremen AfD ist eine Abkehr von der europäischen Verantwortung, Teil dieser Menschheitsaufgabe zu sein. Sie würde am liebsten die Augen verschließen, sich abschotten, jede Verantwortung von sich weisen. Das ist aber der falsche Weg.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Wir sollten die Rolle Europas bei dieser Aufgabe nicht über- und nicht unterbewerten. Nicht überbewerten sollten wir die Zahl der Geflüchteten, die in Europa aufgenommen wurden oder nach Europa kommen. Die Hälfte der Menschen, die ihre Heimat verlieren, findet Schutz in anderen Landesteilen des eigenen Landes.
Die AfD fordert, dass Geflüchtete vor allem in Nachbarländern aufgenommen werden sollen – offensichtlich in Unkenntnis der Fakten. Denn bereits jetzt leisten die Nachbarländer – vor allem Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen – den Großteil der Aufnahme. Das ist überall so, ob bei der Flucht aus Syrien, aus Afghanistan oder aus Venezuela.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Stephan Thomae [FDP] – Norbert Kleinwächter [AfD]: Die, die zu uns kommen, sind ja auch keine echten Flüchtlinge! Das sind ja Wirtschaftsmigranten!)
Wir sollten die Rolle der EU aber auch nicht unterbewerten. Die EU ist weltweit Vorreiter für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Die EU ist ein wirtschaftliches Erfolgsmodell,
(Lachen des Abg. Bernd Schattner [AfD] – Norbert Kleinwächter [AfD]: Nicht mehr lange!)
ein historisch beispielloses Projekt des Zusammenhalts zwischen 27 Staaten, die gemeinsam für Freiheit, Demokratie und Menschenwürde einstehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Ljuba fliehen muss, weil russische Bomben auf ihre Stadt fallen, wenn Mamoon fliehen muss, weil der Diktator Assad die demokratische Opposition unterdrückt, Menschen foltern lässt und das Land in einen Bürgerkrieg stürzt, wenn Sara fliehen muss, weil es in ihrem Land als Verbrechen gilt, als Frau ein selbstbestimmtes Leben zu führen und für Menschen in Haft seine Stimme zu erheben, dann haben sie nur eine Chance: das Recht auf Asyl. Und das bieten wir.
(Beifall der Abg. Sylvia Lehmann [SPD])
Ziel der GEAS-Reform muss es daher immer sein, das europäische Asylsystem neu zu ordnen, die Verantwortung auf mehr Schultern zu verteilen und dabei ganz klar zu bleiben, dass Europa zum individuellen Recht auf Asyl steht und jede schutzsuchende Person Zugang zu einem fairen und im Zweifel juristisch anfechtbaren Verfahren hat.
Daher noch einige Worte zu sicheren Drittstaaten: Die AfD will Menschen in Drittstaaten bringen, zu denen diese gar keine Verbindung haben. Mal abgesehen von der menschlichen Dimension: Warum sollten Staaten außerhalb der EU, einem der wohlhabendsten Teile der Welt, ihr deren Verantwortung abnehmen?
Zu Grenzverfahren. Machen Sie sich nicht zu viele Hoffnungen, dass alle Probleme des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems durch Grenzverfahren gelöst werden. Grenzverfahren können in der Theorie ein Ort für schnelle und effiziente Entscheidungen sein. Ich war auf Kos und habe gesehen, dass das nicht immer so sein muss.
Zu der Obergrenzenthematik – das ist klar hier im Inland und auch auf der europäischen Seite –: Was machen Sie eigentlich, wenn eine Person, die ein Recht auf Anerkennung hat, über der Obergrenze zusätzlich dazukommt? Sie bekommt eine Anerkennung als geflüchtete Person. Deshalb funktioniert das Konzept der Obergrenze nicht, wenn wir es ernst meinen mit den Menschenrechten.
(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Sie wollen einfach nicht! Das ist das Problem!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe es am Anfang gesagt – es ist ein schöner Satz –:
„Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte ...“
Zeigen wir, dass wir das auch bei der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems erfüllen, und stellen wir uns gegen die falschen Vorschläge der AfD!
Danke schön.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Detlef Seif das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7605364 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 145 |
Tagesordnungspunkt | Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems |