Eva Högl - Jahresbericht 2022 der Wehrbeauftragten
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Sehr geehrter Herr Bundesminister Pistorius! Heute diskutieren wir noch mal den Jahresbericht 2022, aber Sie können sich vorstellen, dass wir im Amt der Wehrbeauftragten schon ganz intensiv am Jahresbericht 2023 arbeiten, den ich der Frau Bundestagspräsidentin am 12. März übergeben und Ihnen danach vorstellen werde.
Bei der Vorstellung des Jahresberichts 2022 am 14. März und bei unserer Debatte hier im Plenum am 20. April letzten Jahres habe ich den Wunsch und die Hoffnung geäußert, dass der Jahresbericht Impuls sein möge, Impuls für alle militärisch und politisch Verantwortlichen, an den Problemen zu arbeiten, Lösungen zu finden und Verbesserungen zu erreichen. Wenn ich jetzt die Anmerkungen des Bundesministeriums der Verteidigung lese und die Beratungen und Diskussionen der vergangenen Monate verfolge, dann muss ich feststellen: Es tut sich etwas. Es ist eine ganze Menge passiert.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Das werde ich im Detail selbstverständlich bei der Diskussion über den Jahresbericht 2023 bewerten und würdigen.
Zurück zum Jahr 2022. Meine Damen und Herren, der 24. Februar 2022 war eine Zäsur. Wir alle nennen es nach dem Bundeskanzler mittlerweile die „Zeitenwende“. Man muss bis heute feststellen: Der Krieg in der Ukraine, dieser entsetzliche Angriffskrieg Russlands, hat alles verändert – für unsere Truppe, für unsere Gesellschaft. Er hat das Jahr 2022 bestimmt und geprägt, und das setzt sich bis heute fort.
Für unsere Bundeswehr geht es um eine massive Präsenz an der NATO-Ostflanke. Es geht um die Unterstützung der Ukraine, insbesondere durch die Abgabe von Material und ein enormes vorbildliches und herausragendes Engagement bei der Ausbildung der ukrainischen Kräfte, und es geht immer auch darum, die eigene Einsatzbereitschaft herzustellen. Unsere Soldatinnen und Soldaten wissen ganz genau, dass es ernst werden kann. Sie wissen, wie ernst die Lage ist. Sie haben im vergangenen Jahr und direkt auch 2022 erfahren, dass es schnell gehen muss. Sie sind sich bewusst, dass sie immer einsatzbereit sein müssen. Das gilt für die Bündnis- und Landesverteidigung, aber natürlich auch für die Einsätze in Mali – jetzt beendet, aber damals noch –, im Irak, im Libanon. Deswegen sage ich an dieser Stelle noch einmal ganz ausdrücklich: Meine Damen und Herren, wir können sehr stolz sein auf unsere Soldatinnen und Soldaten.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Sie leisten jeden Tag hochprofessionell, sehr engagiert, sehr pflichtbewusst ihren Dienst. Das erlebe ich immer bei meinen Truppenbesuchen. Dort treffe ich wirklich herausragende Frauen und Männer. Deswegen, liebe Abgeordnete, meine Damen und Herren, brauchen unsere Soldatinnen und Soldaten die allerbesten Rahmenbedingungen für ihren Dienst. Das Ziel muss eine voll einsatzbereite Bundeswehr sein. Ich habe es gerade schon angedeutet: Da hat sich im Jahr 2022 bereits viel verändert. Es ist viel auf den Weg gebracht worden, es hat sich viel verbessert. Aber zur Wahrheit gehört auch: Noch nicht alles ist bei der Truppe angekommen, noch nicht alles ist spürbar, noch nicht alles ist sichtbar. Und zur Wahrheit gehört auch: Es bleibt weiterhin sehr viel zu tun. Wir dürfen gemeinsam nicht nachlassen, die Lage der Bundeswehr fortwährend zu verbessern.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Ich erwähne als Erstes das Material. Das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro ist gut investiertes Geld in die Ausstattung unserer Bundeswehr. Ich habe im Jahresbericht 2022 deutlich kritisiert, dass davon noch nichts bei der Truppe angekommen ist. Jetzt sagt das Ministerium, zwei Drittel dieser Gelder seien gebunden, Verträge mit der Industrie verhandelt, Verträge geschlossen. Wir schauen, wie das weitergeht. Aber ich kann Ihnen berichten: Unsere Soldatinnen und Soldaten warten darauf, dass dieses Geld bei ihnen ankommt und dass sich ihre materielle Ausstattung verbessert.
Was Sie auch schon öfter von mir gehört haben – das sage ich noch einmal –: Ganz, ganz herzliches Dankeschön, dass Sie das hier möglich gemacht haben. Das freut unsere Soldatinnen und Soldaten sehr. Stichwort: persönliche Ausrüstung. Die Kampfbekleidung und die Schutzausrüstung, das kommt an bei der Truppe – 2,4 Milliarden Euro sind dafür bereitgestellt worden –, das erlebe ich überall vor Ort. Wo ich auch bin, wird mir Material präsentiert. Ich diskutiere jetzt ganz oft mit unseren Soldatinnen und Soldaten über fehlende Spinde und fehlende Unterbringungsmöglichkeiten. Aber lieber zu viel Material als zu wenig. Also: Das kommt an.
Aber ich sage an dieser Stelle noch einmal: Eines ist mehr als ein Ärgernis, es ist nicht hinnehmbar. Wir waren vor Weihnachten, Herr Minister, zusammen in Litauen bei unseren Soldatinnen und Soldaten. In den Gesprächsrunden trugen sie wieder vor, dass sie keine Funkgeräte haben und nicht führungsfähig sind. Das muss schleunigst geändert werden.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Das zweite große wichtige Thema ist das Thema Personal. Ich bin sehr dankbar, dass das Thema Personal oben auf der politischen Agenda steht, dass es hohe Aufmerksamkeit genießt – auch hier im Haus –; denn das Allerwichtigste ist, dass wir ausreichend Frauen und Männer bei der Bundeswehr haben; die richtige Person zur richtigen Zeit auf dem richtigen Dienstposten. Deswegen müssen große Anstrengungen unternommen werden beim Thema Personalgewinnung, aber auch bei der Personalentwicklung, Personalbindung. Das ist wichtig. Wir haben heute Morgen im Verteidigungsausschuss über die Vorschläge der Task Force Personal diskutiert. Da muss ich sagen: Es gibt viele gute und richtige Vorschläge. Das alles sind Themen, die bei meinen Truppenbesuchen auch von der Truppe angesprochen werden, von denen ich erfahre. Jetzt wird es darum gehen, diese Vorschläge auch zügig umzusetzen, damit wir ganz schnell eine bessere Lage bekommen.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich darf Ihnen aber auch sagen, wir können noch so viel werben und über Personal diskutieren – was wir alles besser machen müssen –: Das ganz Entscheidende ist, dass die Bundeswehr dann attraktiv ist, wenn unsere Soldatinnen und Soldaten genügend Material haben und eine tipptopp Infrastruktur. Das ist das Allerwichtigste.
Ich komme zum nächsten Thema: Infrastruktur. Die Stuben, die Truppenküchen, die Sportmöglichkeiten, auch WLAN – das muss alles im allerbesten Zustand sein. Das muss modern sein, und das muss sauber und ordentlich sein. Wenn wir landauf, landab in die Kasernen schauen, dann stellen wir fest: Die Kasernen sind – zum Teil, nicht alle, aber zu viele – in einem erbärmlichen Zustand. Es ist nicht akzeptabel, unter welchen Rahmenbedingungen unsere Soldatinnen und Soldaten Dienst leisten. Das ist ganz besonders schlimm – ich habe gerade gestern wieder einen Brief von einem Vater bekommen –, wenn unsere Rekrutinnen und Rekruten in den Kasernen aufschlagen, hochmotiviert ihren Dienst leisten wollen, die Ausbildung beginnen wollen und dann verstopfte Toiletten und verschimmelte Duschen vorfinden. Darüber reden wir, auf diesem Niveau bewegen wir uns. Deswegen muss das ganz, ganz dringend geändert werden. Da besteht wirklich Handlungsbedarf.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Meine Damen und Herren, da müssen alle mithelfen. Das ist eine Aufgabe des Bundes, der Länder mit den Landesbauverwaltungen, das ist eine Aufgabe der zivilen Verantwortlichen und der militärisch Verantwortlichen. Ich hatte bei der Vorstellung des Jahresberichtes 2022 gesagt: Ich wünsche mir für unsere Bundeswehr das Deutschlandtempo. Darum muss es in der nächsten Zeit gehen. Ich finde, das ist ein gutes Stichwort.
Ein weiteres sehr ernstes Thema, was ich auch bereits bei der Vorstellung des Jahresberichtes deutlich hervorgehoben habe, ist das Thema „sexuelle Übergriffe“. Meine Damen und Herren, das ist wirklich ein sehr ernstes Thema. Es berührt unmittelbar die Grundrechte unserer Soldatinnen und Soldaten. Es ist ein Verstoß gegen Kameradschaft. Wenn sich Soldatinnen und Soldaten nicht sicher sein können, dass sie geschützt und sicher Seite an Seite Dienst leisten können, dann gibt es ein Problem. Deswegen darf es bei der Bundeswehr keinen einzigen Fall eines sexuellen Übergriffs geben.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Es beginnt mit einem Witz. Es ist eine Hand, die irgendwo nicht hingehört. Es endet mit Belästigungen und massiven Übergriffen. Deswegen ist es so wichtig, meine Damen und Herren, Soldatinnen und Soldaten zu ermutigen und zu ermuntern, die Dinge zu melden, damit ermittelt werden kann, damit auch bestraft und sanktioniert werden kann. Wir müssen die Opfer ernstnehmen und unterstützen. Es muss viel in Prävention investiert werden. Es muss bei der Bundeswehr ein Klima herrschen, das nichts zulässt; es muss völlig klar sein, dass sexuelle Übergriffe dort nichts zu suchen haben. Da haben die Vorgesetzten die Aufgabe, auch als Vorbilder, darauf zu achten, dass ein solches Klima herrscht. Ich begrüße ganz ausdrücklich die neue Vorschrift. Seit dem 1. September 2023 gibt es eine neue Vorschrift zu sexuellem Fehlverhalten. Meine Damen und Herren, diese Vorschrift wird eine gute Grundlage sein, wird Handlungssicherheit in der Truppe schaffen. Ich wünsche mir, dass sie umgesetzt wird, dass sie eingeübt wird, dass es Schulungen und Workshops dazu gibt, damit wir bei diesem Thema weiterkommen und weniger Fälle haben.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, unsere Truppe – das wissen Sie – ist sehr belastet und gefordert wie nie. Deswegen möchte ich Ihnen auch gerne mitgeben: Es wird in der nächsten Zeit auch darum gehen, unsere Soldatinnen und Soldaten einmal wieder zu entlasten und nicht immer mehr Aufträge der Bundeswehr überzustülpen, wenn ich das einmal so salopp sagen darf. Wir brauchen eine Aufgabenkritik. Die Bundeswehr ächzt unter Bürokratie. Wir brauchen wirklich weniger Bürokratie, einfache schnelle Verfahren, schlanke Strukturen, mehr Verantwortung vor Ort und viel mehr Digitalisierung.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)
Und, meine Damen und Herren, wir müssen die Familien unterstützen. Die Familien, die Angehörigen, die Freunde sind für unsere Soldatinnen und Soldaten sehr wichtig. Deswegen hängt auch die Vereinbarkeit von Familie und Dienst unmittelbar mit der Einsatzbereitschaft zusammen.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Ich bin gleich fertig, Frau Präsidentin. Einen letzten Aspekt noch, und dann kommt noch ein Dankeschön.
Seit dem 24. Februar 2022, meine Damen und Herren, hat sich etwas positiv verändert, was einem ja schwerfällt im Zusammenhang mit diesem entsetzlichen Krieg zu formulieren: Das Interesse der Gesellschaft an unserer Bundeswehr ist deutlich gewachsen. Unserer Gesellschaft ist bewusst, warum wir die Bundeswehr haben, wofür wir sie brauchen und wie wichtig es ist, verteidigungsfähig zu sein. Das ist eine gute Entwicklung, die wir weiterführen und unterstützen müssen.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich schließe, wie angekündigt, mit einem Dank:
Ich danke Ihnen, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete, für Ihr Vertrauen und für den immer guten Austausch, den wir über die Themen haben. Herzlichen Dank dafür!
Ich danke dem Bundesministerium der Verteidigung ganz ausdrücklich dafür, dass Sie den Jahresbericht ernst genommen haben und dass Sie ihn tatsächlich als Impuls gesehen haben für zahlreiche Verbesserungen. Darüber freue ich mich sehr.
Ich danke dem Amt der Wehrbeauftragten, und zwar meinen 65 Kolleginnen und Kollegen, die dort oben sitzen.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Ich danke Ihnen ganz, ganz herzlich für das Engagement und die Empathie, mit der Sie die Anliegen unserer Soldatinnen und Soldaten jeden Tag bearbeiten, und ich danke auch ganz herzlich für die tolle Zusammenarbeit.
Der letzte Dank gilt unseren Soldatinnen und Soldaten für ihren Dienst in schwerer Zeit und dafür, dass sie unseren Frieden, unsere Freiheit, unsere Demokratie, unsere Sicherheit gewährleisten und im Ernstfall auch verteidigen. Herzlichen Dank!
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
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Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 146 |
Tagesordnungspunkt | Jahresbericht 2022 der Wehrbeauftragten |