18.01.2024 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 147 / Zusatzpunkt 5

Gero Clemens HockerFDP - Agrarpolitischer Bericht 2023, Entlastung der Landwirtschaft

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Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Herr Kollege Merz, ich muss sagen: Ich bewundere Ihre Chuzpe, sich hier heute hinzustellen und in Ihrer Rede ausgerechnet auf die Proteste Bezug zu nehmen, die es seitens der Landwirtschaft im Jahre 2019 gegeben hat. Damals waren Sie nicht Mitglied dieses Hohen Hauses; vielleicht haben Sie deswegen ein Zerrbild.

(Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das ist schon länger her!)

Damals ging es um Vorhaben wie das Insektenschutzpaket, die Düngeverordnung und andere Dinge. Seinerzeit sind die Vorlagen, die damals in dieses Parlament eingebracht wurden, quasi eins zu eins umgesetzt worden, ohne dass irgendetwas von dem, was draußen an Kritik artikuliert wurde, Eingang in dieses Gesetzgebungsverfahren gefunden hätte.

(Sylvia Lehmann [SPD]: So ist es!)

Das war damals von einer Arroganz geprägt, die ihresgleichen sucht. Es ist gut und es ist richtig, dass diese Bundesregierung nach diesen Protesten Dialogbereitschaft gezeigt hat und von dem Plan, die grünen Kennzeichen abschaffen zu wollen, Abstand genommen hat. Das zeigt, dass wir dialogbereit sind,

(Zuruf des Abg. Artur Auernhammer [CDU/CSU])

und ist ein wunderbarer Kontrapunkt dazu, wie Sie sich damals verhalten haben.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich habe nach vielen Gesprächen in den letzten Tagen, Wochen und Monaten den Eindruck, dass es bei den Demonstrationen aktuell um viel mehr und auch um andere Themen geht als allein um die Frage des Agrardiesels. Mein Eindruck ist, dass viele Menschen da draußen das Gefühl haben, dass sie morgens aufstehen, zur Arbeit gehen, einen Beitrag leisten, Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zahlen, während andere, die das vielleicht nicht tun, alimentiert werden, und ihre eigene Leistung sich nicht hinreichend lohnt. Ich habe das Gefühl, meine Damen und Herren, dass Politik – schade, dass Herr Merz gerade den Saal verlässt –

(Widerspruch bei der CDU/CSU – Stephan Brandner [AfD]: Herr Özdemir ist auch nicht da! – Steffen Bilger [CDU/CSU]: Wo ist denn der Minister eigentlich?)

über viele Jahre und Jahrzehnte die brennenden Probleme, die unser Land hat und die mit wenig Mühe zu erkennen gewesen sind, vor sich hergeschoben hat, sie nicht mutig gelöst hat und dass die Menschen da draußen auch deswegen jetzt diskutieren und demonstrieren.

In der Infrastrukturpolitik, worunter gerade ländliche Räume in besonderer Weise gelitten haben, wurden wichtige Verkehrsprojekte einfach nicht vorangebracht, weil man Angst vor irgendwelchen Umwelt-NGOs hatte. Für den ländlichen Raum wäre das wichtig gewesen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Warum kürzen Sie dann die GAK?)

Die Bürokratie ist mittlerweile so überbordend geworden, auch in den Jahren Ihrer Regierungszeit, dass der Landwirt häufig Tage im Büro verbringen muss und immer weniger Zeit für seine Tiere hat oder auf dem Acker verbringen kann. Das ist ein großes Problem für landwirtschaftliche Betriebe in Deutschland. Nicht zuletzt haben Sie ganz viel an Reformbedarf liegen gelassen und sind Themen nicht mutig angegangen. Zum Beispiel haben Sie es über Jahre versäumt, eine Zuwanderung in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen anstatt allein in die sozialen Sicherungssysteme. Viele Menschen da draußen haben das Gefühl, dass dieser Staat sich über Jahre nicht um das gekümmert hat, was seine ureigene Aufgabe wäre, sondern sich zu häufig um Orchideenthemen gekümmert hat. Und das geht auch auf Ihr Konto, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Union.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Peggy Schierenbeck [SPD] – Steffen Bilger [CDU/CSU]: Ja, aber jetzt regieren Sie, oder? Und Sie machen alles noch schlimmer! Jeden einzelnen Punkt, den Sie da angesprochen haben!)

Ich sage ganz selbstkritisch: Ich glaube, dass Themen, die aktuell diskutiert werden, wie zum Beispiel Ernährungsräte oder Werbeverbote für Süßigkeiten oder staatliche Ernährungsstrategien, nicht die Themen sind, die Millionen von Menschen in diesem Lande gegenwärtig in erster Linie umtreiben. Sie fragen sich eher, wie man es hinbekommt, dass sie eine tatsächlich funktionierende Infrastruktur, digital und analog, vorfinden und nutzen können, für die sie so viel an Steuern zahlen wie noch nie zuvor in der Geschichte.

(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Sind Sie jetzt für oder gegen das Zuckerwerbeverbot?)

Ich glaube, dass es eine Chance für die Politik ist, nicht nur mit denjenigen in den Dialog zu treten, die da draußen demonstrieren, was weit über die Landwirtschaft hinausgeht, sondern auch die richtigen Schlüsse zu ziehen, nämlich dass sich der Staat vor allem auf seine ureigenen Aufgaben zu konzentrieren hat. Ich warne jeden in diesem Hohen Hause davor, die Demonstrantinnen und Demonstranten in eine bestimmte politische Ecke zu stellen, weil es dann vielleicht einfacher ist, ihre Argumente, die ja durchaus berechtigt sind, einfach wegzuwischen. Ich glaube, dass es eine große Chance ist, wenn diese Demonstrationen zum Anlass genommen werden, zu hinterfragen, was tatsächlich Aufgabe dieses Staates ist und ob die Mittel der Menschen da draußen, der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, nicht effizienter eingesetzt werden können, als es in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten häufig genug der Fall gewesen ist. Das täte unserem Lande gut.

(Stephan Brandner [AfD]: Sie reden ja wie die Opposition!)

So könnte man einen Teil des auf der Straße artikulierten Frustes in konstruktive Bahnen lenken.

Vielen Dank fürs Zuhören.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7605553
Wahlperiode 20
Sitzung 147
Tagesordnungspunkt Agrarpolitischer Bericht 2023, Entlastung der Landwirtschaft
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