19.01.2024 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 148 / Tagesordnungspunkt 34

Christian PetrySPD - Eigenmittel für die EU

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „… einen föderalen europäischen Bundesstaat“, so steht es im Koalitionsvertrag. Es ist interpretationsfähig, was man darunter versteht. Deswegen beziehe ich mich zunächst einmal auf die Präambel unseres Grundgesetzes. Dort steht, dass wir Deutschen eingebettet sind in einem friedlichen vereinten Europa. Ich glaube, das ist die Aufgabe der deutschen Politik und damit auch der Politik, wie wir gegenüber Europa stehen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Thomas Hacker [FDP])

Unser Wohlstand basiert auf der Einbindung in Europa, insbesondere der Schaffung des Binnenmarktes. Wir haben einen jährlichen Überschuss – dafür wurden wir auch immer gerügt; das nannte sich makroökonomisches Ungleichgewicht – von etwa 100 Milliarden Euro pro Jahr. Wo sind die denn hingegangen? In die Unternehmen, in die Bevölkerung. Unser Wohlstand basiert darauf.

Wer das für Deutschland nicht glaubt und ablehnt, der soll doch einfach mal schauen: Was ist denn mit den Ländern passiert, die nach uns zu Europa gekommen sind, und was mit denen, die noch nicht dabei sind? Vergleichen wir doch mal Ungarn und Albanien, vergleichen wir doch mal Polen und Moldawien! Dort sind die Entwicklungen völlig anders. Das kann jeder nachlesen. Die Europäische Union bietet mit ihrem Binnenmarkt Wohlstand.

(Peter Boehringer [AfD]: Für die Nehmerländer ist das super!)

Wem nur das schlichte Geld das Motiv ist, dem sei gesagt: Auch die Freiheiten der Menschen sind wichtig, insbesondere die Personenfreiheiten. Es gibt eine freie Arbeitsplatzwahl. Man kann eine Ausbildung machen. Es gibt keine Grenzen. Ich bin alt genug und habe die Grenzen erlebt, viele, die hier sitzen, auch, andere Gott sei Dank nicht mehr. Wir haben während Corona gesehen, was passieren kann, wenn man sie einfach wieder einführt.

(Zuruf von der SPD: Sehr richtig!)

Das sind Errungenschaften.

Das wollen Sie kaputtmachen, selbst mit solchen Anträgen.

(Dr. Harald Weyel [AfD]: Was Sie da alles reininterpretieren!)

Und dann kommt bei Ihnen noch ein bisschen Menschenverachtung dazu, große Menschenverachtung, aber ein bisschen Unwissenheit auch.

(Zuruf von der AfD: Ach Gott!)

Es ist richtig bösartig, was dort läuft. Sie haben kein Gefühl dafür. Sie machen auch offensichtlich gar nichts anderes, als hier solche Anträge zu stellen. Waren Sie mal in einer Kommune? Haben Sie sich mal umgeschaut, was denn Europa dort bedeutet für Sportstätten, für Straßen, für Plätze, für den Arbeitsmarkt, für die Unternehmen, für Bildungseinrichtungen? Das ist gelebtes Europa. Das müssen wir selbstverständlich näherbringen.

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Können wir all das nicht allein bauen?)

Und das wollen Sie kaputtmachen.

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Ist doch Unsinn!)

Das ist mit Ihrem Antrag zur Kürzung der Eigenmittel gemeint.

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Quatsch!)

Es sind nicht nur die Bauern; das haben wir öfter gesagt. – Sie sind die Totengräber, das ist klar. Aber Sie machen auch diese Gesellschaft kaputt.

Erlauben Sie eine Zwischenfrage –

Nein.

– von Herrn Dr. Weyel?

Nein.

(Zuruf von der SPD: Hat auch genug geredet!)

Digitalisierung, Gesundheit, Verteidigung, Klimaschutz sind Aufgaben, die wir nur gemeinsam in Europa lösen können. Das können wir nicht national lösen; das wissen wir. Wir wissen nicht einmal, ob wir es nur in Europa lösen können. Wir brauchen noch viel mehr Partner.

All das steckt hinter dieser Eigenmitteldebatte. Sie sind die Totengräber einer freien, liberalen europäischen Gesellschaft. Nichts anderes ist in Ihrem Antrag festzustellen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Norbert Kleinwächter [AfD]: Es gibt keine europäische Gesellschaft! Es gibt unterschiedliche Gesellschaften innerhalb der Europäischen Union! Es gibt mit Ihrer Politik sogar unterschiedliche Gesellschaften innerhalb Deutschlands!)

Die Eigenmitteldebatte ist eröffnet. Wir haben auch die liberale Meinung gehört; die schätze ich sehr. Ich sehe jetzt Herrn Brinkhaus hier. Wir haben schon sehr oft über eine gemeinsame Bemessungsgrundlage für die Körperschaftsteuer diskutiert. Es gibt den Richtlinienentwurf BEFIT, der eine Harmonisierung auf europäischer Ebene bringen soll, damit ein gleiches Spielfeld herrscht für die Unternehmen. Es gibt die Verrechnungspreisrichtlinie, bei der wir darüber reden müssen, dass dort entsprechende Bewertungen auch stattfinden. Und es gibt die Richtlinie für kleine und mittlere Unternehmen. Jetzt kommt der Unterschied, Herr Brinkhaus: Ich hätte gerne, dass ein Teil davon zur Finanzierung der Europäischen Union genutzt wird. Das ist noch kein eigenes europäisches Steuerrecht, aber es geht in die Richtung. Ich freue mich schon auf die Debatte mit allen Demokraten: Wie schaffen wir es, von den nationalen Beiträgen weg zu einem seriösen dauerhaften Finanzierungsinstrument zu kommen, über die neuen Eigenmittel, über CBAM hinaus? Ein europäisches Steuerrecht könnte das Schlagwort sein.

Wir haben immer gesagt, dass wir internationale Firmen mit nationalem Steuerrecht nur schlecht heranziehen können. Wir kennen alle die Beispiele von Amazon und anderen, die wenig Steuern zahlen. Das lässt sich national nicht bekämpfen, da ist die nationale Steuerpolitik gescheitert. Es ist also auch hier die Aufgabe, Instrumentarien zu finden und diese in ein gutes, kluges Eigenmittelsystem, das uns all diese Errungenschaften der Europäischen Union sichert, einzubinden. Das ist die Aufgabe, dafür wollen wir kämpfen, dafür stehen wir – und nicht für diese bösartigen Anträge, die Sie hier zur Zerstörung der europäischen Gesellschaft stellen.

In diesem Sinne: Lassen Sie uns als Demokraten an der Fortentwicklung arbeiten! Ich wünsche allen ein schönes Wochenende. Glück auf!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Für die FDP-Fraktion ist Konrad Stockmeier nun der letzte Redner in dieser Debatte.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7605895
Wahlperiode 20
Sitzung 148
Tagesordnungspunkt Eigenmittel für die EU
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