Friedrich MerzCDU/CSU - Bundeskanzler und Bundeskanzleramt, Unabhängiger Kontrollrat
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es fällt einigermaßen schwer, nach dieser Gedenkstunde heute Morgen jetzt ganz einfach zur Tagesordnung überzugehen. Vielleicht darf ich damit beginnen, dass ich Ihnen, Frau Präsidentin, aber auch unseren beiden Gästen, die heute Morgen hier gesprochen haben, Eva Szepesi und Marcel Reif, noch einmal sehr herzlich Dank sagen für die bewegenden Worte, die Sie gesprochen haben.
(Beifall im ganzen Hause)
Ich möchte ein weiteres Wort des Dankes hinzufügen: Am Montag der letzten Woche hat der französische Staatspräsident Emmanuel Macron von dieser Stelle aus zu Ehren unseres verstorbenen Kollegen Wolfgang Schäuble eine – ich finde, das darf man auch heute noch einmal sagen – wirklich große Rede gehalten.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei fraktionslosen Abgeordneten)
Emmanuel Macron hat uns Deutschen erneut die Hand sehr weit ausgestreckt. Er hat uns in seiner Rede geradezu aufgefordert, zusammen mit seinem Land, zusammen mit Frankreich, Führungsverantwortung in und für Europa zu übernehmen. Ein Blick auf die aktuelle Lage in der Welt, ein Blick auf die Krisen und die Kriege, mit denen wir nun auch in das Jahr 2024 hineingehen, zeigt uns: Deutschland sollte, ja, Deutschland muss diese ausgestreckte Hand des französischen Staatspräsidenten jetzt ergreifen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Deutschland muss gemeinsam mit Frankreich neue Initiativen erarbeiten, um die Handlungsfähigkeit Europas unter Beweis zu stellen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte uns daran erinnern, dass die letzte große deutsche Initiative für Europa aus dem Jahre 1989 stammt, also heute schon mehr als 35 Jahre alt ist. Im Zuge der Wiedervereinigung unseres Landes legte der damalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher, abgestimmt mit Frankreich, ein währungspolitisches Memorandum vor, aus dem dann gut zehn Jahre später die Währungsunion wurde. Die letzte große industriepolitische Initiative für Europa, die aus Deutschland kam, liegt mittlerweile fast 60 Jahre zurück. Es war im Jahr 1965 die Gründung der Arbeitsgemeinschaft Airbus – so hieß sie damals – zwischen Deutschland und Frankreich, aus der dann, wie wir alle wissen, der größte europäische Luft- und Raumfahrtkonzern wurde.
Ich nenne diese Beispiele, weil sie zeigen: Die Zeit ist mehr als reif für Vorschläge in ähnlicher Dimension und mit vergleichbarer Tragweite – Vorschläge, die vor allem von Deutschland und Frankreich auf den Weg gebracht werden müssen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Zuruf der Abg. Saskia Esken [SPD])
Erlauben Sie mir, dass ich hinzufüge: Das wären auch Vorschläge, die uns Europäer vorbereiten auf einen möglichen Wechsel im Weißen Haus in Washington. Ich will zwei sehr konkrete Beispiele nennen:
Was früher die Währungspolitik war, muss heute im Interesse Europas die Außen- und die Sicherheitspolitik sein. Deutschland und Frankreich müssen enger zusammenarbeiten und auf dem Weg hin zu einer gemeinsamen europäischen Verteidigungspolitik so früh wie möglich andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union miteinbeziehen, nach dem Regierungswechsel in Polen vor allem die neue polnische Regierung. Diese gemeinsame Verteidigungspolitik, meine Damen und Herren, muss von Anfang an die Rüstungspolitik, die Beschaffung und die militärische Unterstützung der Ukraine beinhalten.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Was früher die Luft- und Raumfahrtindustrie war, müssen heute die Unternehmen der Digitalwirtschaft, der Telekommunikation und die Banken sein. Deutschland und Frankreich sollten so bald wie möglich Verabredungen darüber treffen, wie denn in diesen und anderen Sektoren wirklich europäische, weltweit wettbewerbsfähige Unternehmen entstehen könnten. Dazu muss das europäische Kartellrecht geändert werden; denn der sogenannte relevante Markt für diese Unternehmen ist längst nicht mehr allein Europa oder schon gar nicht der einzelne Mitgliedstaat, sondern der globale Markt, auf dem europäische Unternehmen wettbewerbsfähig sein müssen.
Meine Damen und Herren, zu allen diesen strategischen Fragen, zu dieser strategischen Neuausrichtung Europas sollte das Format des Weimarer Dreiecks wiederbelebt werden, am besten mit einer sehr bald ausgesprochenen Einladung der deutschen Bundesregierung nach Weimar, um von dort aus den Weg hin zu einer gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik und auch hin zu einer gemeinsamen europäischen Industriepolitik zu beschreiten.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Deutschland sollte diese Aufgabe aus einer Position der Stärke und der Verantwortung zugleich übernehmen. Voraussetzung dafür ist, dass Deutschland seine Wachstumsschwäche überwindet.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Diese Wachstumsschwäche, meine Damen und Herren, hat ganz überwiegend strukturelle Gründe und hängt zusammen mit Standortbedingungen, die in mehrfacher Hinsicht unzureichend sind. Ich will es auf einen ganz einfachen Nenner bringen: Die Arbeitskosten in Deutschland sind zu hoch. Die Bürokratielasten werden immer drückender. Die Energieversorgung ist zu einseitig auf Wind und Sonne ausgerichtet, und die Steuerlast der Unternehmen ist im internationalen Vergleich ebenfalls zu hoch.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD und des Abg. Robert Farle [fraktionslos])
Spielräume in den öffentlichen Haushalten lassen sich erzielen, wenn Sozialleistungen unseres Landes auf die konzentriert werden, die sie wirklich brauchen, wenn die Lohnzusatzkosten wieder bei 40 Prozent gedeckelt werden und wenn die gesamte Last der Transformation hin zur Klimaneutralität unserer Volkswirtschaft nicht allein über Subventionen aus den staatlichen Haushalten finanziert wird.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Lassen Sie mich das etwas konkreter machen. Wir sollten in Zukunft in der Sozialpolitik wieder stärker unterscheiden zwischen beitragsfinanzierten Lohnersatzleistungen und steuerfinanzierten Sozialleistungen. Lohnersatzleistungen, für die die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Beiträge gezahlt haben, dienen der Überbrückung einer begrenzten Zeit der Arbeitslosigkeit bei gleichzeitigem Erhalt des Lebensstandards. Steuerfinanzierte Sozialleistungen dienen der Gewährung des Existenzminimums und eines Minimums an sozialer Teilhabe. Und nur, wenn zwischen Arbeitseinkommen und Sozialleistungen ein hinreichend großer Abstand besteht,
(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der besteht doch!)
wird die Leistungsbereitschaft der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch hinreichend belohnt, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Deshalb ist das System „Bürgergeld“ das genaue Gegenteil von dem, was wir jetzt brauchen,
(Zurufe von der SPD)
um diese Leistungsbereitschaft unserer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wieder zu fördern.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD)
Und, meine Damen und Herren, dieser Befund wird durch empirische Erhebungen bestätigt.
(Dr. Alice Weidel [AfD]: Ach nein, „empirische Erhebungen“! – Zurufe von der SPD)
So schreibt Renate Köcher in der letzten Woche in ihrer monatlichen Erhebung:
„Wenn die Sozialpolitik … zu einer Annäherung von Unterstützungs- und Erwerbseinkommen führt, verliert sie an Vertrauen und Unterstützung, und zwar besonders in der Mittelschicht und in den schwächeren sozialen Schichten.“
(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, gerade Sie von der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands waren einmal die Partei der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
(Zurufe von der SPD)
Sie sind zu einer Partei der subventionierten Arbeitslosigkeit geworden und sind heute nicht mehr eine Partei der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
(Beifall bei der CDU/CSU – Katja Mast [SPD]: Eine Unverschämtheit! Sie haben dem Bürgergeld zugestimmt! – Zuruf des Abg. Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Wir sehen in unserem Land die gleichen Fehlsteuerungen in einer Energie- und Klimapolitik, die vor allem auf umfangreiche Förderprogramme und auf staatliche Subventionen setzt.
(Zuruf der Abg. Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Der Weg hin zu einer klimaneutralen Volkswirtschaft und zu der dafür benötigten Infrastruktur lässt sich nicht allein über öffentliche Haushalte beschreiten.
(Beifall bei der CDU/CSU – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagt ja auch keiner! Das machen wir ja auch gar nicht!)
Dieses Land – unser Land, meine Damen und Herren! – braucht mutige, aber realistische Ziele.
(Katja Mast [SPD]: Deshalb gibt es ja auch keine Änderungsanträge von Ihnen!)
Unser Land wird den Wettbewerb auf der Welt nur gewinnen, wenn wir aufhören, alle anderen zu belehren und immer wieder einen Sonderweg zu suchen.
(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Dr. Till Steffen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Wir brauchen Wirkungsmechanismen über den Preis wie mit der Bepreisung des Schadstoffausstoßes,
(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben wir doch schon! Wir haben schon einen CO2-Preis!)
und wir brauchen in erheblichem Umfang privates Kapital für den Ausbau der Infrastruktur,
(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das machen wir auch schon!)
insbesondere des benötigten Leitungsnetzes.
Und, meine Damen und Herren, das alles, ob Sie das nun wollen oder nicht, geht nicht ohne einen – –
(Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir doch schon! – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Als wenn Sie erst gestern in die Politik gekommen wären!)
– Die Zwischenrufe zeigen ja, dass ich Sie genau an der Stelle erreiche, wo Sie einfach die größte Schwäche haben in Ihrer gesamten Argumentation.
(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, das alles, was ich hier gerade beschreibe, geht nicht ohne einen tieferen und einen breiteren europäischen Kapitalmarkt. Und auch dazu wird Frankreich zusammen mit uns und anderen ohne Zweifel bereit sein.
Nun werden Sie – ich höre es an Ihren Zwischenrufen – spätestens an dieser Stelle fragen, was diese Themen denn mit Ihrer Koalition und Ihrem heute hier zur Abstimmung gestellten Bundeshaushalt zu tun haben.
(Sönke Rix [SPD]: Das hat niemand zwischengerufen!)
Ich will Ihnen die Antwort geben: Gar nichts. Sie haben gar nichts damit zu tun.
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Till Steffen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Rheinischer Frohsinn!)
Wir sind nämlich, meine Damen und Herren, in allen wesentlichen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik, der Wirtschafts- und Finanzpolitik, der Arbeitsmarktpolitik, der Innen- und Rechtspolitik und nicht zuletzt der Asyl- und Einwanderungspolitik vollkommen anderer Meinung als Sie, und zwar nicht im Detail, sondern im Grundsatz, im Grundsätzlichen.
(Beifall bei der CDU/CSU – Peter Boehringer [AfD]: Deshalb haben Sie auch keinen Antrag gestellt!)
Und das ist ganz einfach der Grund dafür, dass wir darauf verzichtet haben, in den Haushaltsberatungen irgendwelche Änderungsanträge zu stellen.
(Lachen bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Ja, meine Damen und Herren, wir wissen doch, wie das geht: Wir stellen die Anträge,
(Christian Dürr [FDP]: Ja! Wir haben das vier Jahre lang gemacht!)
Sie lehnen alle Anträge ab.
(Zurufe von der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Sie addieren die Summen unserer Anträge und halten uns dann hier im Deutschen Bundestag im Plenum vor, wir hätten noch höhere Ausgaben vorgeschlagen.
(Lachen bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Peter Boehringer [AfD]: Das ist ganz schwach! Das ist Arbeitsverweigerung!)
Das ist doch genau der Wirkungsmechanismus, den wir von Ihnen immer wieder hören. Wenn Sie es so nicht verstehen
(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist unverschämt! – Weitere Zurufe von der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
– nein –, dann will ich es Ihnen etwas salopper sagen: Wenn Sie, meine Damen und Herren, die Jacke unten falsch einknöpfen, dann diskutieren wir nicht mit Ihnen, wie groß denn der Knopf oben im letzten Loch sein sollte. Diese Diskussion führen wir mit Ihnen nicht, ganz einfach.
(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Im Übrigen: Wir haben in den letzten zwei Jahren immer wieder und so gut wie in jeder Sitzungswoche
(Sönke Rix [SPD]: Sie nehmen sich ja nicht einmal selber ernst!)
unsere Vorstellungen und unsere Änderungsanträge hier im Deutschen Bundestag eingebracht.
(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haushaltspolitische Totalverweigerung!)
Sie haben bis zum heutigen Tag ausnahmslos alle abgelehnt.
(Christian Dürr [FDP]: Das habt ihr nie gemacht, oder?)
Damit hier kein Missverständnis entsteht: Das ist Ihr gutes Recht. Sie haben hier zurzeit die Mehrheit. Aber bitte ersparen Sie sich und uns doch in Zukunft Ihre Aufrufe zur Zusammenarbeit. Diese Aufrufe sind nichts anderes als reine politische Rhetorik. Sparen Sie sich und uns die Zeit!
(Beifall bei der CDU/CSU)
Und wenn Sie es noch etwas genauer haben wollen:
(Zurufe der Abg. Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Da, wo wir Sie bitten – wie in der vorletzten Woche geschehen –, doch einmal innezuhalten und die Tragweite Ihrer Entscheidungen noch einmal zu überdenken, machen Sie von Ihrer Mehrheit hier im Haus kaltschnäuzig und rücksichtslos Gebrauch, wie zum Beispiel beim Staatsbürgerschaftsrecht
(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was soll denn das?)
oder, wie wieder in dieser Woche, beim Wahlrecht, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Und den Deutschlandpakt Migration haben wir nicht gekündigt, den haben Sie aufgekündigt.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Die Erfahrungen der letzten zwei Jahre zeigen, dass Sie an einer wirklichen Zusammenarbeit mit uns nicht wirklich und ernsthaft interessiert sind.
(Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben sie doch verboten, die Zusammenarbeit!)
Im Gegenteil: Da, wo wir Ihnen, wie beim „Sondervermögen Bundeswehr“, zugestimmt haben, halten Sie sich anschließend nicht an die mit Ihnen verabredeten Vereinbarungen.
(Beifall bei der CDU/CSU – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Wahnsinn! – Zurufe der Abg. Saskia Esken [SPD] und Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Und deshalb, meine Damen und Herren, sind wir auch sehr zurückhaltend, wenn es um weitere Änderungen des Grundgesetzes geht. Ich stelle Ihnen eine Zustimmung dazu heute grundsätzlich nicht in Aussicht. Und ich schließe eine Zustimmung meiner Fraktion zu einer Aufweichung der Schuldenbremse des Grundgesetzes heute, von dieser Stelle aus, erneut aus.
(Beifall bei der CDU/CSU – Christian Dürr [FDP]: Wir auch! – Saskia Esken [SPD]: Der Rat der Wirtschaftsweisen gilt nicht für die CDU!)
Damit können Sie nicht rechnen. Wir sagen stattdessen unserer Bevölkerung: Die Aufgaben, vor denen wir stehen, lassen sich lösen, auch ohne zusätzliche Abgaben und ohne neue Schulden.
(Peter Boehringer [AfD]: Dann würde man einen Alternativhaushalt auch einbringen! – Zuruf der Abg. Bettina Hagedorn [SPD])
Dazu müssen allerdings die Prioritäten der Staatsausgaben neu geordnet werden.
(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie würden Sie es denn machen? Sagen Sie es doch!)
– Ja, ich tue das von dieser Stelle aus:
(Saskia Esken [SPD]: Zustimmung zum Bürgergeld!)
Noch vor der Sicherung unseres Wohlstands muss die Bewahrung unserer Freiheit gegen alle Angriffe von innen und von außen die absolute Priorität haben. Nur in Freiheit lässt sich der Friede sichern, nur in Freiheit wird die Ukraine überleben, und nur in Freiheit kommt auch der Staat Israel hoffentlich eines Tages wieder zur Ruhe.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Freiheit und vor allem Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit sind auch die Voraussetzungen für den inneren Frieden in unserem Land. Dafür gehen die Menschen in diesen Wochen in vielen Hundert Städten in Deutschland zu Tausenden auf die Straße,
(Beatrix von Storch [AfD]: Milliarden!)
vor allem, um gegen Rechtsradikalismus und Rechtspopulismus zu demonstrieren.
(Peter Boehringer [AfD]: Die Union wollte man da nicht! – Weiterer Zuruf von der AfD)
– Ja, dass Sie dabei nervös werden, kann ich gut verstehen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Wir begrüßen das ausdrücklich. Denn das Treffen der AfD und anderer Rechtsextremisten
(Peter Boehringer [AfD]: Auch der CDU! – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Da war doch auch die CDU dabei! Das gibt es doch nicht!)
in der Villa Adlon in Potsdam hat offenbar doch einer größeren Zahl von Bürgerinnen und Bürgern über den wahren Charakter dieser Partei und ihrer Funktionäre die Augen geöffnet, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Da waren Ihre Leute dabei!)
Das Erstarken und das Anwachsen des Rechtsradikalismus in Deutschland besorgen uns wie viele andere hier im Haus und im Land insgesamt wirklich sehr. Aber wir sollten weniger Zeit mit Abscheu und Empörung verbringen, als vielmehr nach den tieferen Gründen suchen, warum wir in dieser Lage sind.
(Lachen bei Abgeordneten der AfD – Saskia Esken [SPD]: Aha!)
Denn, meine Damen und Herren, die Wählerinnen und Wähler der AfD sind nicht alle rechtsradikal,
(Peter Boehringer [AfD]: Hört! Hört!)
aber sie sind alle ziemlich frustriert.
(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Von der CDU!)
Machen wir ein kurzes Gedankenspiel: Stellen wir uns doch einmal einen kurzen Augenblick vor, wir hätten in Deutschland eine Regierung, die wenigstens – die Ansprüche sind gar nicht so hoch – mittelmäßig gut regieren würde
(Lachen bei Abgeordneten der AfD – Saskia Esken [SPD]: So eine CDU/CSU-Regierung meinen Sie?)
und die im langjährigen Mittel in unserer Bevölkerung halbwegs angesehen und respektiert wäre.
(Zuruf von der AfD: Da ist die CDU schon mal nicht dabei!)
Kann sich irgendjemand hier im Haus vorstellen, dass die AfD unter solchen Umständen innerhalb von zwei Jahren von 10 auf 20 Prozent in Deutschland angewachsen wäre?
(Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch unter Ihrer Regierung!)
Meine Damen und Herren, das glauben vermutlich doch noch nicht einmal Sie von den Ampelfraktionen.
(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Die Lösung des Problems besteht also offensichtlich darin,
(Zurufe von der SPD)
dass Sie die Probleme unseres Landes lösen. Dafür sind Sie gewählt, und dafür sitzen Sie in der Regierung, meine Damen und Herren.
(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Aber von einer Lösung der Probleme in Deutschland sind Sie zu Beginn des Jahres 2024 noch weiter entfernt als zum Ende des Jahres 2023.
(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Leider, leider! – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das sagen ausgerechnet Sie!)
Vor allem: Sie bekommen die Flüchtlingskrise nicht in den Griff.
(Zuruf der Abg. Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Die Umsetzung der Beschlüsse mit den Ministerpräsidenten verläuft zäh und träge. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: die Einführung der Bezahlkarte, meine Damen und Herren, die vor allem an dem systematischen Widerstand von SPD und Grünen in Deutschland scheitert.
(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Da, wo sie eingeführt wurde, nämlich in einigen Landkreisen auf Initiative der dortigen Landräte, sinkt die Zahl der Asylbewerber über Nacht,
(Beatrix von Storch [AfD]: Und wer hat es zuerst ins Gespräch gebracht?)
weil einer der wesentlichen Aufenthaltsgründe, nämlich der Bezug von Bargeld, plötzlich nicht mehr gegeben ist, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Christian Dürr [FDP])
So könnte es in ganz Deutschland gehen, wenn Sie sich an die Verabredungen halten würden, die Sie mit den Ministerpräsidenten des ganzen Landes, mit allen 16 Ministerpräsidenten, geschlossen haben.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang aber zur Klarstellung für unsere Bundestagsfraktion und auch für die beiden sie tragenden Parteien hier noch einmal Folgendes sehr unmissverständlich sagen: Mit uns gibt es keine Rückkehr zum Nationalismus in Europa. Die Europäische Union hat ihre Stärken und ihre Schwächen; aber sie ist vor allem die Grundlage für Freiheit, Frieden und Wohlstand auf unserem Kontinent, gerade in Deutschland. Wir werden nicht zulassen, dass diese Grundlage zerstört wird, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Und: Wir stehen zur transatlantischen Partnerschaft. Putins Russland ist kein Partner für uns, sondern der Feind auch unserer Freiheit.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)
Keiner politischen Gruppierung, die diese fundamentalen Überzeugungen infrage stellt, werden wir unsere Hand reichen. An diesen Überzeugungen endet jeder Kompromiss, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ein letztes Wort zu Ihnen, meine Damen und Herren von der sogenannten Alternative für Deutschland: Sie haben in den letzten Tagen und Wochen Ihr wahres Gesicht gezeigt.
(Lachen bei Abgeordneten der AfD)
Sie machen gezielt und seit langer Zeit geplant gemeinsame Sache mit Rechtsextremisten jedweder Herkunft. Ihre Netzwerke umfassen identitäre Bewegungen
(Enrico Komning [AfD]: Und CDUler! – Zuruf der Abg. Saskia Esken [SPD])
genauso wie sogenannte Reichsbürger, meine Damen und Herren. Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Nationalismus gehen bei Ihnen Hand in Hand,
(Peter Boehringer [AfD]: Was hat das eigentlich in einer Haushaltsrede zu suchen?)
ebenso wie enge Beziehungen zu Russland und ein tiefsitzender antiamerikanischer Komplex. Unsere Botschaft an Sie, die Sie da drüben ganz rechts sitzen, ist klar und eindeutig: Genug ist genug!
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der AfD)
Sie sind nicht die Alternative für Deutschland. Sie wären der endgültige Abstieg für Deutschland, und zwar gar nicht mal nur wirtschaftlich, sondern vor allem moralisch. Und diesem Abstieg, meine Damen und Herren, werden wir uns mit aller Kraft, die uns zur Verfügung steht, entgegenstellen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Das Spiel bei Ihnen geht jetzt zu Ende.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU)
Als Nächster hat das Wort der Bundeskanzler Olaf Scholz.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7606441 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 150 |
Tagesordnungspunkt | Bundeskanzler und Bundeskanzleramt, Unabhängiger Kontrollrat |