31.01.2024 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 150 / Einzelplan 04

Olaf Scholz - Bundeskanzler und Bundeskanzleramt, Unabhängiger Kontrollrat

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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Eva Szepesi hat es uns eben gesagt: Wer schweigt, macht sich mitschuldig.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Stefan Seidler [fraktionslos] – Zuruf von der AfD)

Die Gedenkveranstaltung hat uns alle nachdrücklich beeindruckt. Aber sie hat uns auch einen Auftrag mitgegeben: dass wir jetzt nicht schweigen, wenn in diesem Land Konferenzen stattfinden in Landhäusern, wo darüber beraten wird, wie ein Teil der Bevölkerung aus diesem Land herausgebracht werden kann,

(Enrico Komning [AfD]: Sie meinen das CDU-Geheimtreffen?)

„Remigration“ als Stichwort – das erinnert an die dunkelsten Zeiten der deutschen Geschichte.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und bei fraktionslosen Abgeordneten)

Und das ist nicht nur ein Wort, wie einige verharmlosend versuchen, sich das zurechtzulegen, was dort von ihnen selber diskutiert und gesagt und von ihren Mitarbeitern mit geplant wird. Wir wissen, dass es in Landtagen jetzt von der AfD beantragt wird.

(Dr. Alice Weidel [AfD]: Was? Abschiebungen? Recht und Gesetz ist das!)

Deshalb bin ich sehr froh darüber, dass so viele Bürgerinnen und Bürger, über alle Parteigrenzen hinweg, auch solche, die sich überhaupt nicht parteipolitisch verorten, gemeinsam auf Deutschlands Straßen zu Kundgebungen zusammenkommen und für die Demokratie, für unser Grundgesetz und gegen das Vergessen demonstrieren.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das ist mir an dieser Stelle auch ganz wichtig, weil mir immer wieder und viel zu oft Bürgerinnen und Bürger unseres Landes, Staatsangehörige, Frauen und Männer, die seit Jahrzehnten hier leben, deren Kinder hier groß geworden sind, erzählen, dass sie Angst haben und sich fragen, ob sie gemeint sind, ob sie jetzt das Land verlassen müssen. Und deshalb, finde ich, braucht es an dieser Stelle auch ein ganz klares Bekenntnis von uns allen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir stehen vor diesen Bürgerinnen und Bürgern. Sie müssen sich nicht fürchten. Die Demokratie beschützt uns, wie Eva Szepesi es heute gesagt hat.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Stefan Seidler [fraktionslos])

Ich glaube, dass es deshalb auch wichtig ist, dass wir anständig sind im Umgang miteinander.

(Lachen bei der AfD)

– Lachen Sie über sich selber? Anstand ist ja jetzt nicht das Kernkompetenzanliegen der AfD.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es geht doch auch darum, dass wir klarmachen, worum es hier geht: um rechtsextreme Ansichten, die wir nicht akzeptieren können. Deshalb, finde ich, ist es immer – immer, Herr Merz – ein kleines Karo, wenn in dieser Situation dann jeweils auf den anderen gezeigt wird, was die Verantwortung dafür betrifft. Wir müssen als Demokraten zusammenstehen.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Thorsten Frei [CDU/CSU]: So einfach ist es nicht! – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Wahnsinn! So einfach kann man es sich nicht machen!)

Und es wird der großen Herausforderung nicht gerecht, vor der wir stehen, wenn der rechte Populismus in den USA so viel Unterstützung bekommt, wenn, wie wir gesehen haben, er Großbritannien in ein ökonomisches Unglück gestürzt hat mit dem Brexit und wenn, wie wir sehr klar sehen, so viele Regierungen in Europa, die von Rechtspopulisten getragen werden, manchmal auch dabei sind. Wir haben in Deutschland eine Aufgabe vor unserer Geschichte. Wir wollen als Demokratinnen und Demokraten zeigen, dass wir diesen Trend stoppen, und zwar gemeinsam.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Zur Demokratie gehört gute Politik und Opposition! Das unterscheidet sie von der Diktatur!)

Es ist ja alles gesagt. Das, finde ich, gehört doch zur Wahrheit dazu. Es ist alles gesagt. Man soll alle wörtlich nehmen, auch die AfD. Sie meint, was man ihr unterstellt, und zwar das Schlimme. Und das ist, glaube ich, wirklich die Wahrheit,

(Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])

mit der wir uns auseinandersetzen müssen. Plötzlich fällt so ein Wort wie „Dexit“. Das wäre die größte Wohlstandsvernichtung, die Europa und Deutschland passieren könnte.

(Zuruf des Abg. Hannes Gnauck [AfD])

Unser Land hat wie kein anderes profitiert von der Europäischen Union und der Zusammenarbeit dort.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und bei fraktionslosen Abgeordneten)

Deshalb, Herr Merz, kann ich Ihnen versichern: Emmanuel Macron und ich sind verabredet,

(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

sehr, sehr sorgfältig zu besprechen, wie wir im Einzelnen reagieren auf die möglichen politischen Entwicklungen in der Welt, die auf uns zukommen. Für alle muss klar sein: Wenn die Welt noch schwieriger wird, zum Beispiel auch durch ein Wahlergebnis, das in den USA möglich ist,

(Peter Boehringer [AfD]: Wahlen sind schwierig! Demokratie ist schwierig! Schon klar!)

dann muss die Europäische Union umso stärker werden. Frankreich und Deutschland müssen diese Aufgabe wahrnehmen, dass das auch tatsächlich möglich wird.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Natürlich zählt dazu, dass wir immer im Blick haben, dass Europa das stärkste nationale Interesse ist, das wir haben. Das hat viele, viele Konsequenzen. Aber zu denen zählt auch, dass es manchmal nicht gut ist, die Politik eine Zeit lang nicht so sorgfältig verfolgt zu haben, und wenn Beispiele dafür, wo irgendwie noch was war, sehr, sehr lange zurückliegen.

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Wer vergisst denn immer alles?)

Aber ich finde, dass es doch eine gute Zusammenarbeit war, die ich auch mit Frau Merkel hatte, als wir mit der französischen Regierung gemeinsam dafür gesorgt haben, dass es möglich wurde, auf die Coronakrise mit einem europäischen Wiederaufbaufonds zu reagieren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Die letzte große europäische Initiative liegt nicht lange zurück. Nur Ihre Beteiligung an diesen politischen Geschehnissen, die liegt lange zurück.

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Oah! Das ist jetzt kleinkariert, eines Bundeskanzlers nicht würdig!)

Ich finde, man muss dann auch einmal stolz sein auf das, was die eigene Regierungschefin zustande gebracht hat.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Christian Dürr [FDP])

Es war richtig, was wir dort gemacht haben. Herr Merz, vergessen Sie es nicht! Reden Sie nicht darüber hinweg! Es war eine CDU-Kanzlerin, mit der uns das gemeinsam gelungen ist.

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Es waren also doch 16 gute Jahre! – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Das ist echt kleines Karo!)

Im Übrigen sind wir dabei, all das aufzuarbeiten, was in diesem Land liegen geblieben ist, und es ist sehr viel liegen geblieben. Über viele Jahre, über sehr, sehr viele Jahre sind die entscheidenden Weichen nicht gestellt worden,

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Sie waren doch die ganze Zeit dabei!)

damit Deutschland eine industrielle Zukunft haben kann.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Sie waren doch dabei die ganze Zeit! Ich war nicht dabei! Sie waren dabei! – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Die letzten 25 Jahre waren Sie dabei!)

Deshalb, Herr Merz, war Ihre Frage berechtigt: Was hat eigentlich diese Rede von Ihnen mit dem gegenwärtigen Haushalt

(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Was hat denn Ihre Rede mit dem Haushalt zu tun?)

und der gegenwärtigen Lage zu tun? Nichts! Da haben Sie recht.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Aber die Frage muss man erweitern: Was hat eigentlich Ihr politisches Programm mit der Zukunft Deutschlands zu tun? Nichts!

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Lachen des Abg. Friedrich Merz [CDU/CSU])

Das ist die Antwort, die wir darauf geben müssen.

Nachdem Sie wirklich im Untergrundkampf und intensiv dafür gesorgt haben, dass es keinen Ausbau der Netze in Deutschland gibt, nachdem Sie als CDU/CSU Verantwortung dafür haben, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien nicht vorangekommen ist,

(Dr. Matthias Miersch [SPD]: So ist es! – Steffen Bilger [CDU/CSU]: Blödsinn!)

nachdem Sie nichts geschafft haben für den Aufbau einer Wasserstoffindustrie und -infrastruktur für Deutschland,

(Dr. Matthias Miersch [SPD]: Genau so ist es!)

nachdem Sie es nicht hingekriegt haben, dass Investitionen in der Stahlindustrie, in der Halbleiterindustrie, in den Batteriefabriken in Deutschland stattfinden, finden alle diese Dinge jetzt statt. Zwei Jahre Ampel haben Tempo gemacht, wo Tempo notwendig war.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Wahnsinn!)

Wenn wir genau hingehört haben bei dem, was Sie gesagt haben, dann wissen wir jetzt: Sie haben ja gar nichts gelernt. All die Wachstumsbremsen, die Sie für Deutschland gezogen haben, die wollen Sie wieder ziehen. Das haben Sie hier angekündigt. Wie kann man so die Zukunft Deutschlands verspielen wollen, wie Sie es tun? Ökonomischer Sachverstand null! Das ist die Wahrheit. Keine Perspektive für Deutschland, keine industrielle Perspektive, keine Perspektive für die Arbeitsplätze!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Ich will gerne ergänzen. Sie reden an all dem, was notwendig ist, damit das so klappt, vorbei und auch an dem, was in Wirklichkeit über Deutschland zu berichten ist.

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Rezession! Schon mal gehört?)

Zu dieser Wirklichkeit gehört in der Tat, dass wir zu kämpfen haben mit weltweiter Wachstumsschwäche,

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Schlusslicht Deutschland!)

dass wir zu kämpfen haben mit den Wachstumsbremsen der Vergangenheit, die wir gelöst haben,

(Zuruf des Abg. Jens Spahn [CDU/CSU])

dass wir aber auch verzeichnen können: Deutschland hat den höchsten Beschäftigungsstand in unserer Geschichte, den wir jemals verzeichnet haben. Noch nie waren so viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erwerbstätig.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Wenn sich die Unternehmen in diesem Land vor etwas fürchten, dann ist es nicht, wie vor 20 Jahren, Arbeitslosigkeit, sondern dann ist es

(Jens Spahn [CDU/CSU]: … die Ampel!)

Arbeitskräftemangel. Das ist die Herausforderung der Zukunft,

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

und diese Regierung hat die Weichen dafür gestellt, dass wir etwas dagegen tun können: mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz und mit dem neuen Staatsangehörigkeitsrecht. All das ist eine Perspektive für die Zukunft Deutschlands.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Sie haben 4 Millionen Menschen, die arbeiten könnten und nicht arbeiten in diesem Land!)

Darum haben wir dafür gesorgt, dass sich Arbeit in Deutschland endlich wieder lohnt:

(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Eben nicht! Eben nicht! Eben nicht! – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der AfD)

mit einem Mindestlohn,

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

den Sie immer wieder bekämpfen. Denn: Wenn Sie davon reden, dass Arbeit sich lohnen muss, schließen Sie die 10, 20, 30, 40 Prozent unserer arbeitenden Bevölkerung, die viel zu wenig verdienen, nie mit ein. Wir brauchen bessere Löhne. Der Mindestlohn war genau der Weg, das auf einen guten Kurs zu bringen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Gleiche gilt für die Frage der Einkommensverhältnisse derjenigen, die wenig verdienen.

(Zuruf der Abg. Dorothee Bär [CDU/CSU])

Wir haben das gemacht mit den Dingen, die eine Erleichterung sind für diejenigen, die etwas weniger als 2 000 Euro verdienen: bei den Sozialversicherungsbeiträgen, mit dem Wohngeld für Erwerbstätige und für Rentnerinnen und Rentner, mit der Kindergelderhöhung und dem Kinderzuschlag – lauter Maßnahmen, die das Einkommen von Erwerbstätigen, die leider zu geringe Löhne haben, verbessern. Wir sind stolz auf diese gemeinsame Leistung.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wir haben – auch das gehört dazu – mehrfach Steuern gesenkt für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, für Erwerbstätige, die selbstständig sind und nicht so große Einkommen haben. Wir haben Steuern gesenkt und die arbeitende Mitte dieses Landes entlastet. Ich sage Ihnen hier: Diesen Kurs werden wir auch weiter verfolgen.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Es ist aber gegen die Zukunftsperspektive der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, all derjenigen, die sich jeden Tag anstrengen, wenn man ihnen dann mitteilt: Das Allerwichtigste, was wir in Deutschland machen wollen – trotz stabiler Rentenfinanzen, die wir gegenwärtig verzeichnen können –, ist die Anhebung des Renteneintrittsalters, ergänzt noch durch schöne, laute Reden über den „Freizeitpark Deutschland“, den wir angeblich bei der großen Beschäftigungszahl heute haben.

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Sie sind irgendwie in einer anderen Zeit gerade unterwegs!)

Ich finde, diese Verunsicherung der Lebensperspektive von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die Sie verbreiten, ist nicht in Ordnung. Und ich finde, dass es eine Beleidigung von fleißigen Bürgerinnen und Bürgern ist, wenn man sagt, sie würden in einem Freizeitpark leben.

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Wer sagt das denn? – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Es ist ja gerade nicht so!)

Das ist nicht in Ordnung.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das war von Helmut Kohl! Das ist eine Generalsekretärsrede, die Sie da gerade halten!)

Was soll die altväterliche Beschimpfung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die ihren Alltag zu organisieren haben,

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Sie leben in Ihrer eigenen Welt!)

mit den Worten: „Alle müssen mal mehr arbeiten“? Sie arbeiten ganz schön viel. Ich finde, solche Belehrungen haben die Fleißigen dieses Landes nicht verdient, auch vom Oppositionsführer nicht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Jens Spahn [CDU/CSU]: Ich sage nur: 13 Prozent!)

Meine Damen und Herren, natürlich ist es wichtig, dass wir uns den Herausforderungen stellen, die wir haben.

(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Ah!)

Eine davon ist – das ist angesprochen worden –

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Der Generalsekretär der SPD!)

die irreguläre Migration. Da haben wir sehr viele, sehr weitreichende Entscheidungen getroffen,

(Widerspruch bei der AfD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

übrigens im größten Einvernehmen mit den 16 Ländern. Dreimal haben wir uns mit ihnen im letzten Jahr getroffen

(Enrico Komning [AfD]: Oh!)

und haben alle Fragen abgearbeitet und dreimal gemeinsame Beschlüsse dazu gefasst

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Aber nicht umgesetzt!)

wie etwa zu einem endgültigen Finanzierungsmechanismus bei aufsteigenden und absteigenden Zahlen. Wir haben ganz konkrete Maßnahmen vereinbart, die der Bund umsetzen muss,

(Enrico Komning [AfD]: Die sind ja immer noch alle hier!)

und er hat sie mit den Gesetzen, die wir jetzt im Januar beschlossen haben, alle geliefert und auf den Weg gebracht.

(Zurufe von der CDU/CSU: Falsch!)

Wir arbeiten daran, dass es auch den Ländern gelingt, die Dinge voranzubringen, die sie übernommen haben: kürzere Asylverfahren, schnellere Digitalisierung der Ausländerbehörden usw.

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Das machen sie!)

Aber wenn es so ist, dass ganz ohne Ihr Zutun

(Bettina Hagedorn [SPD]: Ja!)

die Länder mit dem Bund vereinbaren, dass wir eine Bezahlkarte für Asylbewerber einführen,

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Dafür machen Sie doch gar nichts! – Zuruf des Abg. Enrico Komning [AfD])

wenn jetzt die Ausschreibung läuft und der Oppositionsführer offenbar nicht mal Zeitung liest und daraus berichten kann, dass das der Fall und längst auf dem Weg ist, dann ist irgendwas nicht richtig im Lande der Opposition.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Aber ohne Ihre Beteiligung! Wenn was passiert, dann machen es die Länder!)

Ganz offenbar lesen Sie nicht nur wenig Zeitung, sondern reden auch nicht mit den CDU-Ministerpräsidenten. Die hätten Ihnen das bei einem Bier mal nebenbei so sagen können.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Peinlich! – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Wahnsinn, Wahnsinn, Wahnsinn! – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Da entgleist aber jemand!)

Das wäre eine gute Sache gewesen.

Übrigens: Mit dem intensivierten Schutz unserer Außengrenzen, mit den Dingen, die wir auf den Weg gebracht haben, gehen die Zahlen jetzt auch zurück, was die irreguläre Migration betrifft. Die Maßnahmen, über die ich eben geredet habe, sind ja alle jetzt erst beschlossen worden und werden gerade umgesetzt; die kommen ja noch zu dem dazu, was jetzt in der Realität in nächster Zeit wirken wird.

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Das werden wir sehen!)

Dazu zählt aus meiner Sicht übrigens auch der Jobturbo, mit dem wir dafür Sorge tragen, dass die ukrainischen Flüchtlinge, nachdem sie die ganzen Sprachkurse gemacht haben,

(Zuruf des Abg. Jens Spahn [CDU/CSU])

jetzt auch aktiv in den Arbeitsmarkt vermittelt werden – mit wachsendem Erfolg. Ich finde, es ist übrigens auch kein Beitrag zur Solidarität mit der Ukraine, wenn der Oppositionsführer den hier Schutz suchenden Ukrainerinnen und Ukrainern mitteilt: Dass wir ihnen so entgegengekommen sind, war wohl ein Fehler. – Das haben Sie gemacht, Herr Merz. Das haben Sie gemacht.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Das sagen Ihre Ministerpräsidenten, und zwar völlig zu Recht!)

Aber ich will gerne einen Satz hinzufügen. Ich habe ja bei dem einen großen Thema – ich will gleich noch darauf zurückkommen – „Tempo, Tempo in Deutschland“ versucht, einen Deutschlandpakt zustande zu bringen und sie dazu zu bringen, mitzumachen, was Sie irgendwie nicht richtig hingekriegt haben.

(Beifall der Abg. Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Lachen bei der CDU/CSU – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Wer will hier regieren?)

Aber es ist so, dass Sie sich ja dann kurzzeitig auf ein Teilthema konzentriert hatten: Migration. Wir hatten darüber auch gute Gespräche; jedenfalls erinnere ich mich an kein schlechtes.

(Lachen bei der CDU/CSU – Jens Spahn [CDU/CSU]: Immerhin! – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Ah, er erinnert sich! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Wir hatten eines, das sehr sorgfältig war. Und in diesem Gespräch habe ich Ihnen erläutert, dass es über viele Fragen, die ganz wichtig sind, quasi schon eine Verständigung mit den Chefs der Senats- und Staatskanzleien gibt und dass wir am folgenden Montag – wir trafen uns Freitag – das wohl mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten vereinbaren werden. Sie hatten überhaupt nichts dagegen einzuwenden, weil wir nämlich gesagt haben: Darüber hinaus können wir ja noch was machen.

Und was erlebt die erstaunte Öffentlichkeit? Kaum ist diese Einigung mit den Ministerpräsidenten beschlossen,

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: … stellen sich Grüne und SPD dagegen! – Zuruf des Abg. Steffen Bilger [CDU/CSU])

erklärt der Oppositionsführer: Ja, dann war es das wohl mit der Zusammenarbeit in der Migration. – So eine Hasenfüßigkeit, mit der Sie vor der eigenen Verantwortung davonlaufen, habe ich noch nicht erlebt, Herr Merz. So viel Feigheit vor der eigenen Courage habe ich noch nie gesehen.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Ich rätsele bis heute, warum Sie davongelaufen sind. Ich glaube, es lag daran, dass Sie das schöne Thema nicht loswerden wollten.

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: So ein Quatsch! So ein Blödsinn! – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Wahnsinn!)

Wir können alles geliefert haben, alles kann ordentlich gemacht sein, damit wir das gemeinsam mit den Ländern und den Kommunen in Deutschland in den Griff kriegen, was die irreguläre Migration und ihr Management betrifft, aber dann könnten Sie ja nicht mehr sagen: Alles läuft schief. – Darum sind Sie weggelaufen. Das ist der Grund, warum Sie für einen Kompromiss nicht mehr weiter zur Verfügung stehen.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Die Zahlen entscheiden! Die Zahlen, Herr Bundeskanzler!)

Überhaupt sind Sie da ein ganz Besonderer: Sie teilen jeden Tag gegen die Bundesregierung aus – das ist Ihr Recht –, schwer unter der Gürtellinie – das ist auch Ihr Recht –,

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Hä? – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Wo denn? – Dorothee Bär [CDU/CSU]: „Schwer unter der Gürtellinie“? O mein Gott! Wirklich! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

aber wenn Sie dann mal kritisiert werden, dann sind Sie eine Mimose.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Ich finde: Wer boxt, der sollte kein Glaskinn haben. Aber Sie haben ein ganz schönes Glaskinn, Herr Merz.

(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Völlig von der Rolle! – Jens Spahn [CDU/CSU]: Spricht da der Kanzler? Oder wer spricht da? Blamabel!)

Meine Damen und Herren, wir haben eine große Herausforderung angesichts des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine. Der wird ja auch heute Abend in Brüssel, nach den Trauerfeierlichkeiten für Jacques Delors, und morgen eine große Rolle spielen. Wir müssen die Ukraine unterstützen in ihrem Freiheitskampf, um den es in der Tat geht. Und es ist notwendig, dass wir in der Unterstützung der Ukraine nicht nachlassen.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Das ist unsere Verpflichtung für den Frieden in Europa und für die Sicherheit in Europa.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Es ist übrigens Erstaunliches, was die Ukrainerinnen und Ukrainer geleistet haben. Vergessen wir nicht, wie viel von ihrem Territorium von Russland schon erobert wurde und wie viel sie auch wieder zurückerobert haben. Vergessen wir nicht, mit welcher Beharrlichkeit sie sich dem unglaublichen Ansturm russischer Truppen widersetzt haben, bei dem der russische Präsident den Verlust eigener Soldaten nicht scheut – in Größenordnungen, die man kaum auszusprechen vermag – und bei dem er sich nicht scheut, Material einzusetzen und alles zerstören zu lassen, um das Ziel, das er hat, tatsächlich zu erreichen, nämlich einen Teil oder die ganze Ukraine zu erobern. Er hat damit das infrage gestellt, was Willy Brandt und Helmut Schmidt auf den Weg gebracht haben mit der KSZE, der heutigen OSZE, mit der Friedens- und Sicherheitsordnung in Europa, deren Grundsatz lautet: Mit Gewalt dürfen keine Grenzen in Europa mehr verschoben werden. – Das muss unser Prinzip sein.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

In der ganzen Welt hat es sich rumgesprochen – bald auch in Deutschland –: Wir sind nach den USA der größte Unterstützer der Ukraine, auch was militärische Unterstützung mit Waffen betrifft. Und wir sind es mit dem Haushalt, über den wir hier beraten, und den Plänen für dieses Jahr. Nach allem, was wir wissen können, leistet Deutschland mehr als die Hälfte dessen, was in diesem Jahr in Europa für den Widerstand der Ukraine geleistet werden wird. Und deshalb sage ich hier an dieser Stelle: Es ist mir ganz wichtig, dass wir eine breitere europäische Unterstützung hinbekommen. Es kann nicht alleine an Deutschland hängen. Um noch einmal Helmut Schmidt zu zitieren: Wir sind nur eine Mittelmacht. – Wenn wir diejenigen wären, die das überwiegend machen müssen, dann wäre es nicht genug für die Ukraine. Wir wollen, dass mehr Länder sich aktiv an der Unterstützung der Ukraine beteiligen, auch mit Waffenlieferungen, auch mit dem, was sie dort finanzieren.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Ich sage das bewusst nicht, um andere vorzuführen.

(Peter Boehringer [AfD]: Märchenstunde hier!)

Deshalb haben wir das auch nicht getan; wir haben Einzelne öffentlich nicht angesprochen. Denn wir wollen ja das Gegenteil. Wir wollen ja, dass alle sagen: Okay, wir strengen uns noch einmal an. – Das, hoffe ich, wird auch das Ergebnis der Beratungen sein, die wir heute und morgen beginnen, aber sicherlich in dieser Frage nicht abschließen werden. Nur das will ich hier gerne versichern: Wir werden unseren großen Beitrag für dieses Jahr leisten, und wir werden alles dafür tun, dass der gemeinsame Beitrag Europas so groß ist, dass die Ukraine darauf bauen kann, und dass Putin nicht damit rechnen kann, dass unsere Unterstützung irgendwann nachlässt. Das darf er nicht denken.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Ja, es ist so: Der hofft auf die amerikanischen Präsidentschaftswahlen, der hofft auf das Ermüden in Europa. Wir wissen, wie schwierig das ist, wenn wir in die USA gucken: Es ist dem amerikanischen Präsidenten immer noch nicht gelungen, eine Zustimmung im Kongress für seine Haushaltsmittel zu bekommen, die er für die Unterstützung der Ukraine dieses Jahr benötigt. Ich bin ganz zuversichtlich, dass er das schaffen wird. Und wir werden alle unseren Beitrag leisten, mitzuhelfen, zu überzeugen, dass es eine gemeinsame Sache für uns, die Freunde der Freiheit, der Demokratie und des Rechtsstaats, ist, die Ukraine nicht alleinzulassen. Aber man stelle sich einmal kurz vor, das gelingt nicht. Dann wäre Deutschland – Stand jetzt – der größte Unterstützer der Ukraine, was Waffenlieferungen betrifft, weltweit.

(Dr. Alice Weidel [AfD]: Tja! – Beatrix von Storch [AfD]: Und dann?)

Liebe Freundinnen und Freunde, das ist etwas, bei dem wir international alles dafür tun müssen, dass dieser Zustand nicht eintritt.

(Beatrix von Storch [AfD]: Wenn die Wahlen nicht so ausgehen, wie Sie wollen!)

Denn es wäre Hybris, wenn wir glaubten, dass wir alleine es richten können. So ist es nicht. Wir brauchen Gemeinsamkeit und Solidarität.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Übrigens gilt das auch für die anderen Beschlüsse, die jetzt in Europa notwendig sind. Den europäischen Haushalt wollen wir jetzt endlich beschließen. In dem ist eine Haushaltshilfe für die Ukraine von 12 Milliarden Euro pro Jahr für die nächsten Jahre vorgesehen. Es geht also um sehr viel Unterstützung, die notwendig ist.

(Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])

Es geht um ein Zusammenstehen Europas in diesen Zeiten.

Das will ich zum Schluss im Hinblick auf unser gemeinsames Europa sagen: Ja, wir brauchen eine gemeinsame Anstrengung, dass Europa vorankommt. Vielleicht für den einen oder anderen überraschend, habe ich auf einem SPD-Parteitag gesagt:

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Da sind Sie jetzt aber nicht!)

Wir brauchen unbedingt die Banken- und Kapitalmarktunion, damit das vorangeht. Deshalb müssen wir aus dem, was wir schon geschafft haben, eine weitere Initiative entfalten. Die Mindestbesteuerung, die wir in Europa etabliert haben, könnte doch auch der Maßstab für eine einheitliche, gemeinsame Basiskörperschaftsteuer sein, damit die Banken europaweit unter fairen Bedingungen Wettbewerb machen können. Das wäre ein echter Fortschritt für Europa.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir brauchen ihn dringend; denn tatsächlich ist ein Teil des besseren Wirtschaftswachstums der USA zurückzuführen auf ihre Banken und Kapitalmärkte, die mehr in der Lage sind, das Wachstum der Wirtschaft ohne öffentliche Subventionen zu begleiten

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

und in Start-ups und wachsende Unternehmen groß zu investieren, manchmal in welche, die jahrelang trotz Milliardenbewertung keine Gewinne machen. Das ist etwas, was in Europa in gleicher Weise nicht vorkommt. Deshalb ist es unsere gemeinsame Aufgabe, dass wir dieses Hindernis für Wachstum und Wohlstand in Europa beseitigen.

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Wer ist denn an der Regierung?)

Die Tatsache, dass es dieses Jahr so viel um Europa gehen muss, ist vielleicht ein Anlass, daran und an allen anderen notwendigen Reformen für ein starkes, souveränes Europa in einer globalisierten Welt zu arbeiten.

Schönen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Als Nächste hat das Wort für die AfD-Fraktion Dr. Alice Weidel.

(Beifall bei der AfD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7606442
Wahlperiode 20
Sitzung 150
Tagesordnungspunkt Bundeskanzler und Bundeskanzleramt, Unabhängiger Kontrollrat
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