Thorsten FreiCDU/CSU - Bundeskanzler und Bundeskanzleramt, Unabhängiger Kontrollrat
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin ziemlich sicher: Wenn man später einmal auf die Kanzlerschaft von Olaf Scholz schauen wird, dann wird diese Krise um den Nachtragshaushalt 2023 und den Bundeshaushalt 2024 eine Zäsur sein – eine Zäsur deshalb, weil in diesem Moment viele Menschen den Glauben daran verloren haben, dass dieser Bundeskanzler die Probleme und ihre Lösungen vom Ende her denkt.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. November des letzten Jahres ist in der Debatte angesprochen worden. Das war kein unvermeidliches Naturereignis, das da über diese Koalition und unser Land hinweggerollt ist, sondern dieses Urteil des Bundesverfassungsgerichts war durchaus erwartbar. Es gab diese verfassungsrechtlichen Zweifel. Sie sind von vielen geäußert worden, vor allen Dingen auch vom Bundesrechnungshof. Aber der Bundeskanzler war derjenige, der seine Politik durchgezogen hat – wider jegliche Ratschläge – und der am Ende das Land in die Situation gebracht hat, in der wir heute sind.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Wenn man sich dann mal die Folgen anschaut, dann sieht man auch – das konnte man in den letzten zwei Monaten sehr schön sehen –, dass diese Bundesregierung auf dieses Urteil überhaupt nicht vorbereitet war, überhaupt nicht.
(Otto Fricke [FDP]: Und die Landesregierungen?)
Es gab keinen Plan B. Sie haben lange gebraucht, bis Sie sich einigermaßen sortiert haben. Und als sich dann – am 13. Dezember war es, glaube ich – die Koalitionsspitzen zu einem Grundsatzbeschluss zusammengesetzt haben, da hat es nur wenige Stunden gedauert – ich glaube, keine 24 –, bis sich zunächst einmal der Minister aus dem Kabinett, der fachlich zuständig ist, davon distanziert hat, dann drei stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD, dann einer der Verhandlungsführer, der Vorsitzende der FDP. Was man an dieser Stelle sehen kann, ist, dass die Autorität des Bundeskanzlers schmilzt wie Eis in der Sonne.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ich sage das deshalb, weil man angesichts der gewaltigen Herausforderungen, die sich ja nicht nur in diesem Haushalt abbilden, sondern die sich in unserem Land jeden Tag zeigen, eigentlich einen Bundeskanzler mit Autorität bräuchte, der in der Lage ist, das Land zu führen und damit auch schwierige und kritische Entscheidungen durchzusetzen. Ich will das mal anhand von drei großen Themen beleuchten:
Erstens: die Außen- und Sicherheitspolitik. Da sind die Gefahren, die uns drohen, und die Frage, wie wir uns in die Lage versetzen, uns gegen diese Gefahren von außen zu schützen. Auf diese Herausforderungen, vor denen wir stehen, gibt dieser Bundeshaushalt keine Antworten, ganz im Gegenteil. Es gab so einen Moment, drei Tage nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, als der Bundeskanzler hier an diesem Pult seine Rede zur „Zeitenwende“ gehalten hat, da konnte man den Eindruck bekommen, dieser Bundeskanzler hat die Situation begriffen und ist bereit, die richtigen Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. Er hat hier an diesem Pult gesagt, dass ab jetzt 2 Prozent der Wirtschaftsleistung unseres Landes für die Bundeswehr zur Verfügung stehen würden.
Er hat gesagt, dass es darüber hinaus ein schuldenfinanziertes Sondervermögen in der Größenordnung von 100 Milliarden Euro geben soll, um große Waffensysteme zu beschaffen. Heute muss man sagen: Der Bundeskanzler hat sein Versprechen gebrochen. Das sieht man daran, dass wir hier über einen Verteidigungsetat diskutieren, der sich gegenüber den Vorjahren überhaupt nicht verändert hat,
(Dr. Sebastian Schäfer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 2,1 Prozent, Herr Kollege! 2,1 Prozent!)
der bei 50 Milliarden Euro stehen geblieben ist, der im Grunde genommen nur durch die Zuflüsse aus dem Sondervermögen
(Dr. Wiebke Esdar [SPD]: Ist doch gut!)
die Ziele einigermaßen erreichen kann. Wenn nach der Grundgesetzänderung keine großen Waffensysteme beschafft wurden und auch nicht beschafft werden, sondern einfachste Ausrüstungsgegenstände für die Bundeswehr, dann zeigt das: Er hat nicht nur sein Versprechen gebrochen, sondern er wird den Herausforderungen, vor denen wir stehen, überhaupt nicht gerecht.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Nun kann man sagen: Das mit dem Geld ist so eine Sache. – Dann frage ich mich angesichts seiner dahinschmelzenden Autorität aber, wie die anderen großen Probleme bewältigt werden sollen. Wir schaffen es derzeit nicht, die Personalstärke der Bundeswehr um 20 000 Personen auf 203 000 Soldatinnen und Soldaten anwachsen zu lassen. Wir diskutieren darüber, dass wir die Wehrpflicht wieder aktivieren müssten. Wir diskutieren darüber, dass erstmals Ausländer Wehrdienst/Dienst in der Bundeswehr leisten sollen. Das sind gewaltige Entscheidungen, die langfristige Konzeptionen revidieren würden, und dafür bräuchte es einen Bundeskanzler mit Autorität, um das tatsächlich bewerkstelligen zu können.
Zur Wirtschaftspolitik. Ich muss wirklich eine Anleihe bei Dietmar Bartsch nehmen, der die Lage so analysiert hat, wie sie ist. Dem Bundeskanzler – wenn er da wäre – müsste man zurufen: Nehmen Sie Ihre rosarote Brille ab! – Wir haben es heute in seiner Haushaltsrede wieder erlebt: Es ist doch schier unglaublich, wie man die Lage in unserem Land derart gesundbeten kann!
(Gabriele Katzmarek [SPD]: Man soll sie nicht schlechtreden, Herr Frei!)
– Ich will Ihnen mal eines sagen: Es geht nicht darum, sie schlechtzureden. Es geht vielmehr darum, die Lage zu analysieren, wie sie ist, um auf dieser Basis die richtigen Entscheidungen für eine Besserung zu erreichen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Beispielsweise wurde noch im März letzten Jahres behauptet, dass die Investitionen in den Klimaschutz zu einem Wirtschaftswachstum wie im Nachkriegsdeutschland führen würden. Heute sind wir die einzige Industrienation der Welt mit einer schrumpfenden Wirtschaft: minus 0,3 Prozent im letzten Jahr. Dieses Jahr vielleicht ein Plus von 0,5 oder 0,6 Prozent – bei einer Weltwirtschaft, die um 3 Prozent wächst. Da muss man doch sagen – –
(Dr. Wiebke Esdar [SPD]: Vorschläge der Union? Fehlanzeige!)
– Die Vorschläge haben wir in der Debatte doch elendig lange gemacht.
(Dr. Wiebke Esdar [SPD]: Welche denn? Erzählen Sie doch mal! Ich habe keinen einzigen gesehen!)
– Wenn Sie das wünschen, wiederhole ich es, Frau Esdar: Dann muss man Bürokratie abbauen, dann muss man Steuern senken, dann muss man die Preise für Strom, für Gas, für Energie senken.
(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Wiebke Esdar [SPD]: Konkret! Konkret, keine Schlagworte!)
– Wir sagen es Ihnen doch andauernd: Dann muss man dafür sorgen, dass sich Arbeit wieder lohnt. Dann muss man für Gerechtigkeit sorgen.
(Dr. Wiebke Esdar [SPD]: Konkret! Schlagworte reichen nicht aus!)
Eigentlich sind das doch Ihre Themen.
Wenn Sie das nicht realisieren können, dann zeigt das einfach, dass Sie sich die Welt so malen, wie sie Ihnen gefällt. Aber mit der Realität hat das nichts zu tun.
(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Wiebke Esdar [SPD]: Nichts Konkretes, nur Schlagworte!)
– Also, Entschuldigung, Frau Esdar, wenn Sie nicht zuhören, dann ist das Ihr Problem.
(Zuruf der Abg. Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Wir haben im Übrigen nicht nur hier im Plenum des Deutschen Bundestages, sondern auch in den Fachausschüssen in den vergangenen zwei Jahren ganz konkrete Vorschläge gemacht.
(Dr. Wiebke Esdar [SPD]: Ich habe keinen einzigen gesehen!)
Unser Fraktionsvorsitzender ist vorhin darauf eingegangen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Wir haben zu jedem Thema konkrete Vorschläge gemacht – die Sie ausnahmslos abgelehnt haben.
(Zuruf von der CDU/CSU: Aha!)
Übrigens: Wir unterstützen Maßnahmen, die vernünftig und wirkungsvoll sind.
(Zuruf des Abg. Dr. Sebastian Schäfer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Das bringt mich zum dritten und letzten Thema; das ist die Bewältigung der Migrationskrise bei uns im Land. Das hat der Bundeskanzler in seiner Haushaltsrede ja auch angesprochen. Er hat davon gesprochen, dass wir die ausgestreckte Hand nicht ergriffen hätten. Er hat davon gesprochen, dass wir nicht bereit wären, diese Herausforderungen gemeinsam zu lösen. Das ist falsch. Wir waren und wir sind dort, wo Ihre Politik dazu führt, dass die Verhältnisse bei uns im Land besser werden, immer bereit, die Hand zu reichen. Aber das, was Sie vorschlagen – –
Erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen?
Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Frei. – Sie haben gerade betont, dass Sie Projekte, die Sie für sinnvoll erachten, unterstützen. Im Einzelplan 60 werden unter anderem 7,5 Milliarden Euro für die robuste Unterstützung der Ukraine zur Verfügung gestellt. Im Haushaltsausschuss hat sich Ihre Fraktion dazu enthalten. Wie bewerten Sie das?
(Mike Moncsek [AfD]: Ist ja ganz einfach: Das ist ja auch nicht für Deutschland! – Lachen der Abg. Gabriele Katzmarek [SPD])
Herr Kollege, wir reden hier über einen Einzelplan im Ganzen und nicht über konkrete Entscheidungen.
(Dr. Wiebke Esdar [SPD]: Es wird nicht konkret!)
– Nein, da muss man schon unterscheiden.
Wissen Sie, wir haben hier im Bundestag in der letzten Sitzungswoche im Zusammenhang mit den von Ihnen angesprochenen Themen eine ganze Reihe von Anträgen gestellt, beispielsweise zur Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern. Die komplette Koalition hat dagegengestimmt.
(Zuruf von der CDU/CSU: Aha! – Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Maulheldinnen und Maulhelden!)
Wir haben weder in Reden noch in Anträgen noch in Beschlussfassungen je einen Zweifel daran gelassen, dass wir bereit sind, die Ukraine in ihrem Abwehr- und Verteidigungskampf, aber auch Kampf für die Freiheit in Europa so zu unterstützen, wie es notwendig ist.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Dieses Beispiel macht deutlich: Wenn Sie es genauso sehen – und große Teile der Koalition tun das ja auch –, dann können Sie tatsächlich auf unsere Unterstützung bauen.
(Dr. Wiebke Esdar [SPD]: Warum haben Sie sich jetzt enthalten?)
Ich fahre in meiner Rede fort. Wir haben hier in der letzten Sitzungswoche ein Rückführungsverbesserungsgesetz verabschiedet. Ja, wir hätten es unterstützt. Es waren auch ganz gute Ansätze enthalten. Sie sind allerdings selbst davon ausgegangen, dass mit diesem Gesetz – deswegen ist der Name eigentlich ein Euphemismus – gerade mal 600 zusätzliche Rückführungen im Jahr erreicht werden können.
(Zuruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Und die grüne Fraktion hat es zwischen dem Kabinettsbeschluss und der Verabschiedung hier im Bundestag noch geschafft, dieses ohnehin schon magere Gesetz weiter zu verschlechtern. Da muss ich Ihnen einfach sagen: Wir stehen nicht als Feigenblatt für Ihre Politik bereit.
(Gabriele Katzmarek [SPD]: Das wollen wir auch nicht, Herr Frei!)
Wenn wir davon ausgehen müssen, dass Ihre Politik nicht zu guten Ergebnissen in unserem Land führt, dann dürfen wir dem auch nicht folgen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wir haben heute in der Rede von Frau Haßelmann gehört, wie sie versucht hat, uns für die Entscheidungen zum Bürgergeld in Haftung zu nehmen.
(Andreas Audretsch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil Sie zugestimmt haben! Genau darum!)
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Auch das ist ein gutes Beispiel. Wir haben versucht, das Bestmögliche für unser Land zu erreichen, die schlimmsten Auswüchse zu verhindern.
(Andreas Audretsch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir saßen zusammen mit Herrn Spahn, und er hat bei allem Ja gesagt!)
Und die Folge ist dann, dass Sie so tun, als wäre das unser Gesetz. Das ist es mitnichten.
Kommen Sie bitte wirklich zum Schluss.
Im Gegenteil, ich würde sagen: Wenn wir die Möglichkeit dazu haben, dann werden wir dieses Gesetz wieder abschaffen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Die nächste Rednerin ist die fraktionslose Abgeordnete Dr. Sahra Wagenknecht.
(Beifall bei fraktionslosen Abgeordneten)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7606468 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 150 |
Tagesordnungspunkt | Bundeskanzler und Bundeskanzleramt, Unabhängiger Kontrollrat |