Sebastian HartmannSPD - Änderung des Bundeswahlgesetzes
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Wahlkreisneueinteilung ist eine seit Jahrzehnten geübte Praxis in diesem Hohen Haus. Es ist nicht unüblich, dass Bevölkerungsteile sich innerhalb des Bundesgebietes neu sortieren. Manche Landkreise wachsen, manche schrumpfen, und von Zeit zu Zeit muss entlang der gesetzlichen Vorgaben überprüft werden, wie sich diese Bevölkerungszahlen entwickelt haben. Das geschieht nach mathematisch genau festgelegten Verfahren, und es gibt Stichtage.
Nun hat sich ergeben, dass in Sachsen-Anhalt die Bevölkerungszahl so weit gesunken ist, dass hier ein Wahlkreis zu streichen ist, und der Freistaat Bayern einen solchen Wahlkreis hinzunehmen soll. Wir stimmen nachher namentlich darüber ab. Es handelt sich hier tatsächlich nur um zwei Wahlkreise, was wir so in den vergangenen Wahlperioden gar nicht kannten.
Es war immer Usus, dass das hier gemacht wird. Es gibt aber eine Besonderheit: Die sprachlichen Entgleisungen von Merz und Dobrindt, die sogar von „Wahlrechtsmanipulationen“ sprechen, haben Gift in diese Debatte gebracht.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Deswegen, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, muss man mit den Falschbehauptungen, die hier seitens der Union aufgestellt worden sind, deutlich aufräumen.
Zunächst wird jetzt behauptet, dass es durch die Änderungen, die wir dann im Freistaat Bayern vornehmen, im Bereich Augsburg, zu einer hohen negativen Abweichung vom Bevölkerungsschnitt kommen würde. – Ja, es ist richtig, dass bislang die Abweichung von der durchschnittlichen Bevölkerungszahl in einem Wahlkreis nicht mehr als 25 Prozent nach oben und nach unten ausmachen durfte. Das bedeutet, dass man zwischen circa 180 000 und circa 300 000 Menschen in einem Wahlkreis hat.
Das ist doch ein Argument für unser neues Wahlrecht. Wir haben nämlich die erlaubte Abweichung auf nur 15 Prozent reduziert und werden dafür sorgen, dass die Wahlkreisgrößen nicht mehr so stark vom Durchschnitt abweichen. – Das ist also ein Argument für das neue Wahlrecht der Ampelkoalition, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Die zweite Falschbehauptung der Union ist, dass wir den Freistaat Bayern nicht in die Beratungen einbezogen hätten. Hierzu muss man aber Folgendes wissen – und das sage ich als Sozialdemokrat auch sehr selbstkritisch –: Die letzte Große Koalition hat tatsächlich gegen den Willen der damaligen Opposition aus FDP und Grünen durchgesetzt, dass die Zahl der Wahlkreise von 299 auf 280 sinkt. 19 Wahlkreise sollten gestrichen werden – 19-mal weniger Wahlmöglichkeiten für die Bürgerinnen und Bürger. Auf dieser Basis hat die unabhängige Wahlkreiskommission geurteilt und entschieden: Es gibt 19 Wahlkreise weniger, also 280 Wahlkreise.
Das war aber nur in einem Teil dieses jetzigen Gesetzgebungsverfahrens anwendbar, nämlich im Falle von Sachsen-Anhalt. Und da hat die Kommission gesagt: Dieser eine Wahlkreis 71 in Sachsen-Anhalt ist zu streichen. – Da ist dieser Vorschlag eins zu eins aufgegriffen worden.
Wir in der Ampel haben aber geurteilt und gesagt: 299 Wahlkreise soll es zukünftig weiter geben. Das ist auch geübte Praxis in Deutschland. Wir wollen keine Wahlkreise streichen, sondern Kontinuität wahren.
Nun standen wir vor der Herausforderung, zu definieren: Wo kann denn der neue Wahlkreis in Bayern hinzukommen? Wir haben die Region Augsburg – Augsburg-Land und Augsburg-Stadt –, in der die Wahlkreisgrößen ohnehin um mehr als die nach dem alten Wahlrecht zulässigen 25 Prozent von der Durchschnittsgröße abweichen. Deshalb soll in diesem Regierungsbezirk Schwaben dieser eine Wahlkreis neu hinzukommen.
Die CSU behauptet immer wieder, bayerische Interessen zu vertreten; aber in Wahrheit vertritt sie nur CSU-Interessen. Sie hat selbst in diesem Prozess mitgewirkt – das muss man hier sehr deutlich sagen –, weil wir seit Juni des vergangenen Jahres gesagt haben: Wir wollen eine breite Mehrheit herstellen; wir beziehen auch die demokratischen Fraktionen mit ein.
(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Das ist falsch!)
Tatsächlich haben wir seit Juni viermal getagt, meine Damen und Herren, und zwar unter Hinzuziehung des BMI und der Bundeswahlleitung.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Die CSU, die mit einem Drittel des Stimmanteils in Bayern behauptet, bayerische Interessen zu vertreten, hat dann gesagt – das war in der letzten Sitzungswoche –: Nein, wir wollen, dass ein solcher Wahlkreis in München neu entsteht. – Meine Damen und Herren, das ist Handeln zum eigenen Vorteil.
Wenn die Herren Merz und Dobrindt gleichzeitig so harte Worte wie „Manipulation“ in den Mund nehmen,
(Philipp Amthor [CDU/CSU]: … dann ist das zutreffend!)
frage ich mich angesichts der Härte des Vorwurfs: Wo sind Sie eigentlich? Ich sehe weder Herrn Dobrindt noch Herrn Merz in Ihren Reihen. Unmöglich!
An dieser Stelle muss man sagen: Zügeln Sie Ihre Sprache!
(Philipp Amthor [CDU/CSU]: Wo ist denn Ihr Fraktionsvorsitzender?)
Sie haben selbst versucht, zum eigenen Vorteil zu handeln. Wir nehmen tatsächlich eine Entwicklung zurück, nachdem im Landkreis Augsburg in den letzten Wahlperioden – 18. und 19. – Änderungen an den Wahlkreisen vorgenommen worden sind.
Wenn man in der Geschichte zurückgeht – das haben wir gemacht – und sich fragt, warum in dieser Region ein zusätzlicher Wahlkreis entstanden ist, kommt man auf die Jahre 1996 und 1998. Damals, zur Regierungszeit Kohl, haben Sie ohne Berücksichtigung der Vorschläge der unabhängigen Wahlkreiskommission diese Region so geschnitten, dass es in dem Landkreis drei Wahlkreise gab. Damit haben Sie selbst gegen die Empfehlung der unabhängigen Wahlkreiskommission gehandelt, während wir heute hier unabhängige Vorschläge umsetzen. Meine Damen und Herren, das ist keine Manipulation, sondern Bindung an Recht und Gesetz, und das werden wir beachten.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Sie behaupten obendrein, dass wir der geschätzten Kollegin Claudia Roth einen eigenen Wahlkreis bauen würden. Natürlich hat sie in Augsburg kandidiert – wie der geschätzte Kollege Volker Ullrich auch. Wenn man sich die Wahlergebnisse mal anschaut, dann sieht man, dass er bei der damaligen Wahl – für die CSU war das Ergebnis sehr schlecht, was vermutlich dazu führt, dass sie so aufgeregt ist – die Nase vorn gehabt hätte.
Wenn man Ihren Vorschlag daraufhin überprüfen würde, was gewesen wäre, wenn wir das in München machen würden, dann käme heraus, dass dort im Innenstadtbereich ein Wahlkreis entstanden wäre, in dem die CSU 22 Prozent hätte, die SPD leider nur 19 Prozent und die Grünen sagenhafte 32 Prozent. Da wäre die Manipulation gewesen, meine Damen und Herren!
(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Und die anderen vier Wahlkreise? Die anderen vier?)
Deswegen haben wir gesagt: Wir machen uns hier nicht angreifbar, sondern wir nehmen die unabhängigen Vorschläge. Wir machen das in der Region, in der es ohnehin Abweichungen gibt, nämlich in der Region Augsburg. Streuen Sie den Menschen nicht Sand in die Augen! Sie wollen nur zum eigenen Vorteil handeln,
(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Das ist nachher mein Satz!)
und das haben wir klar identifiziert, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Leni Breymaier [SPD]: Hört! Hört!)
Wenn Sie dann Worte wie „Gerrymandering“ in den Mund nehmen, also das bewusste Zuschneiden von Wahlkreisen zum eigenen Vorteil, dann muss man sagen: Das wäre nach dem alten Wahlrecht der Union noch möglich gewesen, wenn nämlich Direktmandate nicht ausgeglichen werden und so Wahlergebnisse im Verhältniswahlrecht verzerrt werden. Das ist aber nach dem neuen Wahlrecht ausgeschlossen; denn wir haben gesagt: 630 Sitze, keiner mehr.
(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Krachend gescheitert!)
Die Wahlkreise entscheiden über die personelle Zusammensetzung, aber nicht über die Größe des eigenen Vorteils, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Da wir die Urteile nicht fürchten, haben wir die unabhängige Venedig-Kommission eingeladen. Sie hat mit uns verhandelt. Sie hat geurteilt: Das Gesetz ist im Einklang mit internationalem Recht; es ist formell zustande gekommen.
Der letzte Punkt: Sie behaupten hier, wir hätten das Recht gebeugt. – Ich finde es sogar gut, dass Sie in Karlsruhe dagegen klagen. Angesichts der Härte der Debatte ist die einzige Chance, dass wieder Rechtsfrieden herrscht, dass das unabhängige Gericht in Karlsruhe urteilt und Ihnen zeigen wird: Das war entlang von Recht und Gesetz; es ist entlang geübter Staatspraxis.
Zügeln Sie Ihre Sprache! Worte wie „Manipulation“ passen in die USA, aber nicht in dieses Hohe Haus, und es ist kein Wunder, dass Herr Merz und Herr Dobrindt sich jetzt verstecken.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Und für die Unionsfraktion hat nun das Wort Alexander Hoffmann.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7606652 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 151 |
Tagesordnungspunkt | Änderung des Bundeswahlgesetzes |