Stephan ThomaeFDP - Änderung des Bundeswahlgesetzes
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Im Vorfeld und in dieser Debatte sind jetzt schon schwerste Geschütze aufgefahren worden. Da wird behauptet – entgegen jeglicher fachlicher Betrachtung –, es werde getrickst und getäuscht,
(Philipp Amthor [CDU/CSU]: Alles wahr!)
manipuliert, nur mit dem Ziel, der Kulturstaatsministerin Claudia Roth von den Grünen den Wahlkreis zu erhalten. Weil hier mit so herben Vorwürfen gearbeitet wird, müssen wir auf die sachliche Ebene zurückkehren. Das will ich jetzt versuchen.
Es ist ja schon gesagt worden, dass Claudia Roth gar nicht darauf angewiesen ist, einen sicheren Wahlkreis zu haben; denn sie stand bei der letzten Bundestagswahl auf der Landesliste ihrer Partei auf Listenplatz 1.
(Stephan Brandner [AfD]: Wie konnte so was passieren! Ein Versagen der Aufstellungsversammlung!)
Es kommt also gar nicht darauf an, dass sie einen sicheren Wahlkreis erhält. Es war vielmehr so, dass in dem fraglichen Wahlkreis, Augsburg-Stadt, der CSU-Bewerber Dr. Volker Ullrich das beste Ergebnis erzielt hat. Und jetzt kann man ja simulieren: Was wäre eigentlich – bezogen auf die letzte Bundestagswahl – das Ergebnis gewesen, wenn der Wahlkreiszuschnitt schon so ausgesehen hätte, wie er jetzt vorgenommen wird?
(Sebastian Hartmann [SPD]: Ja!)
Beim letzten Mal erreichte der Kollege Ullrich 28 Prozent, die Kollegin Claudia Roth 20 Prozent der Stimmen.
(Stephan Brandner [AfD]: Und die FDP?)
Bei der Simulationsrechnung käme ungefähr das gleiche Ergebnis heraus.
(Manuel Höferlin [FDP]: Ach was, das ist ja ein Ding! – Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Jetzt deklinieren Sie das mal mit Ihrem neuen Wahlrecht mit den Zuteilungen, Herr Thomae! Wie sieht es denn dann aus?)
Daher sind die Befürchtungen, die Sie hier äußern, gar nicht angebracht. Daran kann man schon sehen, dass das, was Sie der Koalition hier vorwerfen, gar nicht logisch ist. Das ist der erste Punkt.
Zweiter Punkt. Wie kommt man darauf, einen neuen Wahlkreis in Schwaben einzurichten?
(Stephan Brandner [AfD]: Die FDP hat doch gar keine Ahnung von Direktmandaten, oder? Die wissen doch gar nicht, was das ist!)
Na ja, das ist eigentlich ganz einfach – durch einen Blick ins Gesetz kann man darauf kommen –: Denn laut Bundeswahlgesetz darf kein Wahlkreis um mehr als 25 Prozent von der Durchschnittsgröße aller Wahlkreise abweichen. Wenn man jetzt auf die Wahlkreiskarte Bayerns blickt, stellt man fest: Es gibt in Bayern zwei Wahlkreise, die diese Höchstabweichung überschritten haben, nämlich Augsburg-Land, mit 25,8 Prozent, und Ostallgäu mit 25,6 Prozent.
(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Das sind aber die Zahlen aus 2023!)
Das heißt, wir hätten an diese Wahlkreise ohnehin herangehen müssen; beide Wahlkreise sind zu groß geworden.
(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Nein! Das sind die Zahlen aus 2023!)
Sie hätten ohnehin neu zugeschnitten werden müssen, –
(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Sie müssen die Zahlen vom letzten Zensus nehmen!)
nicht weil die Koalition es politisch will, sondern weil es sich zwingend aus dem Gesetz ergibt. Wie kann man dann darauf kommen, zu sagen: „Das ist politisch manipuliert“? Das ist unlogisch.
(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Sie legen in Ihrer Gesetzesbegründung die falschen Zahlen zugrunde! Das ist das Problem!)
Es hätte kein Weg daran vorbeigeführt, diese Wahlkreise neu zuzuschneiden, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir haben deswegen einfach einen Vorschlag der Bundeswahlleiterin als Vorlage genommen und ihn übernommen.
(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Sie hat doch gesagt, sie macht keine eigenen Vorschläge! Das wird einfach verdreht!)
Wie kann man, wenn ein Vorschlag der Bundeswahlleiterin – einer unparteiischen Person, einer unparteiischen Einrichtung – übernommen wird, auf die Idee kommen, da sei manipuliert worden?
(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Wollen Sie sich noch mal dazu äußern, ob die Bundeswahlleiterin Königsbrunn vorgeschlagen hat?)
Das ist nicht der Fall, und ich warne davor, hier Verschwörungstheorien in die Welt zu setzen.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hoffmann? – Bitte schön.
Danke, Kollege Thomae, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ich will ehrlich sagen: Es wird mir jetzt einfach zu bunt. Durch die Aneinanderreihung von Falschbehauptungen wird das alles nicht besser.
(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Das sind Tatsachen.
Sie ziehen sich jetzt darauf zurück, zu sagen, es sei alles gut; denn das sei ein neutraler Vorschlag, der Bundeswahlleiterin. Das ist schlichtweg falsch. Wir saßen in diesen Runden zusammen – die, anders als es der Kollege Hartmann behauptet, im Dezember begannen;
(Dr. Till Steffen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Das stimmt überhaupt nicht!)
wir hatten nämlich nur zwei Runden –, und dann wurde die Bundeswahlleiterin von mir gefragt, wie sie auf den Vorschlag, Königsbrunn herauszulösen, komme, und dann antwortete die Bundeswahlleiterin in dieser Runde, ich müsse Verständnis dafür haben, aber sie könne dazu nichts sagen, es sei nämlich nicht ihr Vorschlag, sie greife nur Vorschläge aus dem parlamentarischen Raum auf.
(Philipp Amthor [CDU/CSU]: Hört! Hört! Manipulation! – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Das ist Manipulation! – Dr. Till Steffen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist völlig falsch! Das stimmt nicht! Das stimmt überhaupt nicht! Quatsch! Es stimmt überhaupt nicht!)
Deswegen bekäme ich von Ihnen, Kollege Thomae, gerne mal eingeordnet, von wem der Vorschlag denn jetzt kommt.
Im Übrigen – das möchte ich noch nachschieben, weil Sie gerade großspurig die Zahlen dargestellt haben –: In der Gesetzesbegründung sind die Zahlen aus 2023 niedergelegt. Sie müssen aber die Zahlen vom letzten Zensus nehmen. Also verdrehen Sie doch nicht alles!
(Dr. Till Steffen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, Sie verdrehen alles! Mann, ey! Das ist ja unerhört!)
Ich hätte jetzt gern Ausführungen von Ihnen zu der Frage: Wessen Vorschläge sind es denn jetzt? Die Vorschläge der Bundeswahlleiterin?
(Sebastian Hartmann [SPD]: Das Innenministerium in Abstimmung mit der Bundeswahlleiterin!)
Oder hat uns die Bundeswahlleiterin in dieser Besprechungsrunde etwa angelogen?
(Beifall bei der CDU/CSU)
Herr Kollege Hoffmann, ich kann Ihnen doch nichts Unbestechlicheres anbieten als die nackten Zahlen.
(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Nein! Jetzt sagen Sie doch mal was zu dem, was ich gerade gefragt habe! – Philipp Amthor [CDU/CSU]: Sagen Sie was zur Bundeswahlleiterin!)
Die habe ich Ihnen soeben genannt. Dass die Bundeswahlleiterin auf der Grundlage dieser Zahlen Vorschläge erarbeitet, ist doch das Logischste auf der Welt. Es sind eben in zwei Wahlkreisen die absoluten Höchstgrenzen, die das Bundeswahlgesetz uns vorschreibt, überschritten worden.
(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Das ist eine dreiste Falschbehauptung von Ihnen! Unglaublich, was Sie sich hier trauen!)
Dann muss man an diese Wahlkreise rangehen, und genau das beinhaltet der Vorschlag der Bundeswahlleiterin.
Worauf Sie hinauswollen, Herr Kollege Hoffmann, ist Folgendes: Wir hatten noch mal zwei Sitzungen.
(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Aber auch erst im Dezember! Anders, als Herr Hartmann sagt!)
Denn ich entnahm der ersten Lesung, dass es bei Ihnen bezüglich des Zuschnitts der Wahlkreise gewisse Vorbehalte gibt. Sie wollten eine größere Übereinstimmung der Wahlkreisgrenzen mit den Landkreisgrenzen, wie es der Kollege Durz in der ersten Lesung dargelegt hat. Wir haben uns noch einmal angeschaut, ob es eine Möglichkeit gibt, die Wahlkreisgrenzen enger entlang der Landkreisgrenzen zu modellieren. Ich habe mich in der Weihnachtspause, als Sie unterm Christbaum Lieder gesungen haben, höchstpersönlich noch einmal hingesetzt
(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Sie haben doch gar nicht gewusst, dass es Ihr Vorschlag ist!)
und mich mit der Frage beschäftigt: Gibt es eine Möglichkeit, die Wahlkreisgrenzen enger entlang der Landkreisgrenzen zu modellieren? – Davon wollten Sie aber keine Notiz nehmen.
(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Nein, das stimmt nicht! Das stimmt nicht! Auch das ist falsch! Ich habe ausdrücklich betont, dass wir das positiv finden!)
Herr Kollege Hoffmann, wir haben das in zwei Sitzungen besprochen, im November 2023 und im Januar 2024. Zweimal haben wir uns darüber unterhalten. Sie haben sich aber diesem Vorschlag verschlossen.
(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Ja, weil Sie sich nicht haben einigen können!)
Warum, Herr Kollege?
(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Weil Sie sich nicht einigen konnten!)
Weil Sie sich an der Idee festgeklammert haben: Ein neuer Wahlkreis muss in München entstehen.
(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Schön verdreht! – Gegenruf des Abg. Sebastian Hartmann [SPD]: Das ist die Wahrheit! – Gegenruf des Abg. Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Schön verdreht!)
Nur, in München gibt es gar kein Problem. Wir haben in München vier Wahlkreise, und keiner von diesen Wahlkreisen überschreitet die Höchstgrenze des Gesetzes.
(Gabriele Katzmarek [SPD]: Genau so ist es! – Dunja Kreiser [SPD]: Komisch, ne?)
Alle bewegen sich innerhalb der Toleranzschwellen. Wir müssen in München nichts verändern,
(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Warum hat es das BMI dann vorgeschlagen? Das BMI hat es doch vorgeschlagen!)
in München kann alles so bleiben, wie es ist. Aber in Schwaben gibt es zwei Wahlkreise, die oberhalb der Toleranzschwelle liegen.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Deswegen müssen wir an diese herangehen.
Lassen Sie mich als Fazit sagen: Was kann es Neutraleres, Unparteiischeres geben, als einen Vorschlag der Bundeswahlleiterin zu übernehmen, der auf nachvollziehbaren Zahlen basiert? Diese Zahlen können wir ja nicht verändern, diese Zahlen sind einfach da, und nach ihnen – ich habe es dargelegt – werden in diesen beiden Wahlkreisen die Höchstgrenzen überschritten.
Meine Damen und Herren, ich würde wirklich um Folgendes bitten: Man kann alles kritisieren; aber ob man es gleich skandalisieren sollte,
(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Er verdreht es komplett! Das war beim Wahlrecht genauso! Das ist genau dieselbe Schallplatte! Das ist ein riesiges Theater, was Sie machen!)
muss man sich sehr gut überlegen.
(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Ja, genau!)
Wer absichtlich Zweifel an ganz normalen Prozessen
(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Wenn das ganz normal ist, dann viel Spaß!)
der parlamentarischen Demokratie sät, der wird am Ende Zweifel an der Demokratie als solcher ernten,
(Philipp Amthor [CDU/CSU]: Ja, durch Ihre Politik!)
und das ist ein brandgefährliches Spiel mit dem Feuer.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Bei einer Wahlrechtsmanipulation die Opposition zu beschimpfen, das ist ja eine großartige Idee!)
Kritik in der Sache ist immer willkommen – das ist Recht und Pflicht der Opposition –; aber wer falsche Verdächtigungen sät derart, dass die Wahlkreiseinteilung getrickst und manipuliert sei,
(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: So ist es!)
der zerstört das Vertrauen in die Demokratie.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU)
Und das tun nicht wir – wir haben nichts manipuliert –, sondern Sie, wenn Sie den Verdacht schüren, dass manipuliert worden sei, und das ist fahrlässig, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das Wort erhält die fraktionslose Abgeordnete Dr. Petra Sitte.
(Beifall bei fraktionslosen Abgeordneten)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7606656 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 151 |
Tagesordnungspunkt | Änderung des Bundeswahlgesetzes |