Johannes SchrapsSPD - Aktuelle Stunde - Folgen aus dem Tod des russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny
Verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die genaue Todesursache von Alexej Nawalny ist bisher nicht bekannt, so wie einiges zu den Umständen bisher noch sehr unklar ist. Anderes jedoch ist klar und offensichtlich. Eigentlich müsste es auch für Sie, Frau Wagenknecht, unbestreitbar sein, dass Wladimir Putin für den Mord an Alexej Nawalny verantwortlich ist.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Zuruf vom BSW: Hat sie doch gesagt!)
Wie übrigens für so viele abscheuliche Verbrechen des Tötens und der Zerstörung, sodass es mittlerweile schwer ist, sie überhaupt zu zählen: in Russland, in der Ukraine, in Georgien und anderswo. Wir haben den Tiergarten hier durchs Portal ja direkt im Blick.
Folter und Unterdrückung als Werkzeuge, um Alexej Nawalny mundtot zu machen, wurden in den vergangenen Jahren bereits systematisch eingesetzt. Zum Schweigen bringen konnten sie ihn auch im fernsten Straflager nicht. Als ihn mundtot zu machen, nicht mehr klappte, da wurde offenbar der Mord sorgfältig geplant und auch fein terminiert; denn nachdem die Nachricht vergangene Woche bekannt wurde, schien es, als hätte es Putin tatsächlich wieder einmal geschafft, das Rampenlicht zu stehlen, auch ohne in München persönlich anwesend zu sein.
Ich will deshalb weniger über Putin und sein verbrecherisches Regime reden, als über diejenigen, deren Tapferkeit und Entschlossenheit in dieser Situation eigentlich unsere Aufmerksamkeit verdienen. Denn was Nawalny verkörperte, war die so selten gewordene Hoffnung und das Wissen, dass diejenigen, die gegen den Kreml sind, die mit dem illegalen, brutalen Krieg gegen die Ukraine nicht einverstanden sind, immer noch existieren, sogar in Russland.
Viele haben sich schon 2021 gefragt: Warum um alles in der Welt ist Nawalny nach Russland zurückgekehrt? Aber vielleicht ist die richtigere Frage, was wir eigentlich tun können, um diesem unglaublichen Mut und seiner Arbeit gerecht zu werden und sie zu ehren. Es gibt Menschen – einige sind genannt worden –, an denen wir uns dabei orientieren können, an erster Stelle wohl Julija Nawalnaja. Sie war die starke Frau an der Seite von Alexej. Nun verspricht sie, sich an seiner Stelle an die Seite der Menschen in Russland zu stellen. Die politischen Gefangenen Ilja Jaschin und Wladimir Kara-Mursa sind genannt worden, Freunde des ebenfalls ermordeten Boris Nemzow. Stark, dass Sie, Frau Gordon, der Debatte heute beiwohnen. Denn wir sollten den Namen Ihres Sohnes und die der vielen anderen kennen.
Wir dürfen unsere Augen nicht davor verschließen, was in Russland geschieht, auch wenn es schwer zu erfahren und häufig noch viel schwerer zu begreifen ist. Zum Glück gibt es auch jetzt noch unglaublich mutige Journalistinnen und Journalisten, die den verrotteten Charakter von Putins Regime regelmäßig aufdecken: Jelena Kostjutschenko, um nur eine zu nennen, investigative Journalistin der mittlerweile verbotenen „Nowaja Gazeta“. Geprägt durch die Texte der ebenfalls ermordeten Journalistin Anna Politkowskaja hat sie das Leben im heutigen Russland in ihrem Buch „I love Russia. Reporting from a lost country“ so schmerzhaft schön und klug zusammengefasst, dass sie für diese Arbeit wie so viele andere vergiftet wurde. Sie hat zum Glück überlebt.
Ich finde, das ist ein wichtiger Anlass, um öffentlich und lautstark hier unsere Anerkennung auch für diejenigen in Russland zum Ausdruck zu bringen, deren Namen nicht bekannt sind, die keinerlei Ruhm und öffentliche Aufmerksamkeit genießen, die aber dennoch härteste Bestrafung riskieren, wenn sie etwa heute die grünfarbenen Antikriegsschleifen an öffentlichen Orten aufhängen. Was für eine subtile und stille Art des Protests in einem Land, in dem selbst die Trauer um die Toten strafbar ist, wie sich nach dem Tod Nawalnys ja herausstellte.
Alles abstrakte Fälle und vielleicht weit weg; aber es gibt auch ganz konkrete Dinge, die wir hier in Deutschland tun können. Wir sollten zum Beispiel die Analyse unserer früheren Fehler und Fehlurteile über das russische Regime und seine Vertreter ernst nehmen, und zwar nicht, um sie für unsere innenpolitischen Kämpfe und Auseinandersetzungen zu nutzen. Denn für das Hier und Jetzt ist es völlig unerheblich, welche Kanzler die NATO-Osterweiterung vorangebracht haben, unter welcher Kanzlerin Pipelines gebaut wurden oder wer unseren östlichen Nachbarn, als sie in den letzten Jahren ihre Ängste äußerten, vielleicht nicht genug zugehört hat. Wir alle miteinander – das müssen wir uns eingestehen – waren Fehleinschätzungen unterlegen. Und das Ergebnis der Analyse sollte sein – so schmerzhaft das auch ist –, daraus in Zukunft klüger und stärker zu werden. Denn wie schmerzhaft ist es, sich so etwas einzugestehen, im Vergleich zu den Schmerzen, die diejenigen, deren Namen wir hier gerade genannt haben, aushalten mussten?
Ich bin überzeugt, dass wir hier in Deutschland, auch im Bundestag, den auch bei uns im Exil lebenden Antikriegsrussinnen und Antikriegsrussen viel mehr Aufmerksamkeit schenken sollten. Man kann Wege finden, diese Leute in ihren Bemühungen zu unterstützen, sich zu vereinen und ein Netzwerk aufzubauen, das eines Tages vielleicht auch zu einem Wandel in Russland beitragen kann.
Es ist gesagt worden: Wir mögen nicht mit allen Ansichten Nawalnys übereinstimmen. Aber als Demokrat kann ich die Art und Weise, mit der er kreativ und furchtlos die Normen der russischen Politik herausforderte, nur wertschätzen. Das bleibt sein Vermächtnis, und das haben die meisten Reden heute zum Glück auch ausgedrückt.
Unsere Aufgabe ist es, uns darauf zu konzentrieren, was wir tun können, um Putin und seinem Regime die Stirn zu bieten: mit harten Sanktionen, mit unerschütterlicher Unterstützung für die Ukraine, mit dem Aufbau unserer eigenen Abwehrkräfte und manchmal auch einfach mit dem Erinnern an all diejenigen, die sich nicht gebeugt haben und mutig geblieben sind – so wie Alexej Nawalny.
Vielen herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7607142 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 153 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde - Folgen aus dem Tod des russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny |