Christian DürrFDP - Gesamtwirtschaftliche Entwicklung in Deutschland
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin! – Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die wirtschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland kann uns alle nicht zufriedenstellen. Nach einer Rezession im letzten Jahr musste die Wirtschaftsprognose für das Jahr 2024 auf 0,2 Prozent Wachstum nach unten korrigiert werden.
Jetzt – der Bundeswirtschaftsminister hat es angedeutet – müssen wir uns an der Stelle sehr, sehr ehrlich machen, meine Damen und Herren. Wir haben in den letzten vier Jahren erhebliche Effekte gehabt, insbesondere die Coronapandemie und dann natürlich den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, die die wirtschaftlichen Aussichten in Deutschland eingetrübt haben.
(Zuruf des Abg. Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU])
Gleichwohl: Dass wir aktuell insbesondere beim Potenzialwachstum nicht da sind, wo wir sein könnten, das ist nicht allein mit der Coronapandemie und dem russischen Angriffskrieg zu erklären. Seit mindestens anderthalb Jahrzehnten, meine Damen und Herren, wird für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft nicht Ausreichendes getan. Das müssen wir nüchtern feststellen.
(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Dr. Sandra Detzer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Herr Kollege Dobrindt, deswegen finde ich manche Äußerungen hier vorne und übrigens auch die Breitbeinigkeit in der Rhetorik geradezu bemerkenswert. Es werden doch jetzt in Wahrheit die Standortnachteile Deutschlands offensichtlich. Es ist jetzt an uns, gemeinsam – übrigens insbesondere auch mit den unionsgeführten Bundesländern – dieses zu ändern. Wir müssen endlich aufräumen in Deutschland und eine Wirtschaftswende einleiten, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der FDP – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Dazu müsst ihr abdanken! – Zuruf der Abg. Dorothee Bär [CDU/CSU] – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)
Einiges ist bereits getan worden; der Bundeswirtschaftsminister hat es angedeutet. Wir haben beispielsweise das Freihandelsabkommen mit Kanada beschlossen. Wir haben bei der Einkommensteuer erhebliche Reduzierungen vorgenommen – alleine in diesem Jahr 15 Milliarden Euro –, wir haben die EEG-Umlage abgeschafft, die Stromsteuer für das produzierende Gewerbe um 96 Prozent gesenkt
(Zuruf des Abg. Karsten Hilse [AfD])
und zudem das Zukunftsfinanzierungsgesetz verabschiedet, damit in Deutschland wieder investiert wird. Und natürlich haben wir das Genehmigungsbeschleunigungsgesetz sowie insbesondere, um das Arbeitskräftepotenzial zu heben, das Fachkräfteeinwanderungsgesetz beschlossen. Es werden im Bundeskabinett derzeit Bürokratieentlastungspakete besprochen, die schnell in den Bundestag kommen sollten.
Und ich will auch für meine Fraktion sagen: Wir stehen nicht bereit für zusätzliche bürokratische Belastungen, wie sie die CDU-Politikerin Ursula von der Leyen in den letzten Jahren vorgeschlagen hat – um das in aller Klarheit zu sagen.
(Beifall bei der FDP – Lachen der Abg. Alexander Dobrindt [CDU/CSU] und Thorsten Frei [CDU/CSU])
Aber das allein, diese ersten wichtigen Schritte werden nicht ausreichen. Deutschland braucht eine umfassende und breit angelegte Wirtschaftswende. Deswegen bin ich froh, dass sowohl der Bundeswirtschaftsminister als auch der Bundesfinanzminister sehr eindeutig gesagt haben, vor welcher Herausforderung wir stehen. Der Titel des Jahreswirtschaftsberichts ist mit „Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig stärken“ ja nicht umsonst gewählt. Selbstverständlich – das will ich offen sagen –: Bei den Vorschlägen aus der CDU und CSU – das ist vorhin noch einmal deutlich geworden – fragt man sich, ob Sie überhaupt jemals über Finanzierungsfähigkeit nachgedacht oder Finanzierungsvorschläge eingebracht haben, Herr Dobrindt.
(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Natürlich!)
Ich will in aller Klarheit sagen: Was sicherlich nicht sein kann – und ich frage mich, ob überhaupt Einigkeit zwischen Union und FDP an dieser Stelle herrscht –, ist, dass sich der Staat Hals über Kopf weiter verschuldet,
(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Nein! Da haben Sie recht!)
um das, was Sie vorschlagen, zu finanzieren. Ich bin ausdrücklich dagegen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)
Gleichzeitig: Das, was der Jahreswirtschaftsbericht vorstellt und beinhaltet, meine Damen und Herren, das ist das Gebot der Stunde, auch wenn unionsgeführte Bundesregierungen dafür nie die Kraft hatten. Jetzt ist die Zeit einer umfassenden und gezielten Angebotspolitik.
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Immer zu!)
Wir müssen zurück zu mehr Angebot, um unsere Wirtschaft wieder nach vorne zu bringen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der FDP – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Warum hat das der Wirtschaftsminister in seiner Regierungserklärung nicht gesagt?)
Und ja, das meint insbesondere auch steuerliche Entlastungen. Ich komme an der Stelle gleich noch auf den gestrigen Abend zu sprechen. Ich will in aller Klarheit sagen – da nehme ich auch uns als Regierungsfraktionen in die Verantwortung –: Wir müssen als Koalition die Kraft haben, die Mammutaufgabe einer Wirtschaftswende zu leisten, für die andere in der Vergangenheit nie die Kraft entwickelt haben, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)
Jetzt will ich zum gestrigen Abend kommen; der Kollege Alexander Dobrindt war bei der Sitzung des Vermittlungsausschusses ja ebenfalls zugegen. Ich fand vor diesem Hintergrund, lieber Kollege Dobrindt, Ihre Rede gerade hier vorne bemerkenswert. Sie haben gerade gesagt, diese Koalition – und ich teile die Einschätzung – sollte auch die Kraft haben, bei der Unternehmensteuer Entlastungen vorzuschlagen und abstimmen zu lassen, um sie durch den Deutschen Bundestag zu bringen; ich teile das ausdrücklich. Wie kann man, wenn man ein rational denkender Mensch ist, am Donnerstagmorgen Unternehmensteuersenkungen fordern, wenn man sie im Vermittlungsausschuss am gestrigen Tag abgelehnt hat? Wie kann man es rational überhaupt hinkriegen, das zu sagen, Herr Dobrindt? Wie schaffen Sie das intellektuell?
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Hören Sie doch mal zu! Sie verstehen es halt nicht! Das ist das Problem! Das ist doch keine ernsthafte Rede! – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Sie wollen die Landwirtschaft belasten und wir nicht! Wir wollen die gesamte Wirtschaft entlasten! Auch die Landwirtschaft!)
Sie stimmen dagegen und fordern es am nächsten Morgen!
Ich kann das nicht mehr nachvollziehen; deswegen will ich das in aller Klarheit und in aller Ernsthaftigkeit sagen. Ich meine ja nicht nur, dass es keinerlei Vorschläge zum Bundeshaushalt 2024 aus der CDU/CSU-Fraktion gab. Die Wahrheit ist: Auch am gestrigen Abend im Vermittlungsausschuss, meine Damen und Herren, gab es keinen einzigen Antrag der CDU/CSU.
(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Das ist gar nicht wahr! Das ist überhaupt nicht wahr!)
Sie beantragen nie etwas; Sie stimmen nie etwas zu. Auf das, was Sie machen, beschränkt sich Ihre Wirtschaftspolitik: Sie schreiben Briefe. Hören Sie auf mit Briefeschreiben!
(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Warum denn?)
Stimmen Sie in Parlamenten für Entlastungen, meine Damen und Herren! Das wäre Ihr Beitrag zur Wirtschaftswende, den Sie leisten könnten.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Und Sie haben keine Ahnung, dass der Vermittlungsausschuss geheim tagt, oder? – Zurufe der Abg. Dorothee Bär [CDU/CSU] und Alexander Dobrindt [CDU/CSU])
Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. Am gestrigen Abend hat es im Vermittlungsausschuss eine Mehrheit für das Wachstumschancengesetz gegeben. Aber machen wir uns nichts vor: Es war ein sogenanntes unechtes Vermittlungsergebnis.
(Zuruf des Abg. Dr. Hendrik Hoppenstedt [CDU/CSU])
Meine herzliche Bitte ist, die kommenden vier Wochen zu nutzen.
(Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Bewegen Sie sich!)
Das Wachstumschancengesetz ist am 17. November letzten Jahres hier von der Mehrheit beschlossen worden. Sie von der Union haben jetzt noch vier Wochen Zeit,
(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Sie haben Zeit! – [Thorsten Frei [CDU/CSU]: Sie haben Zeit! Was ist das denn für eine Hochnäsigkeit!? Meine Güte! Sie sind die Regierung! Bewegen Sie sich mal! Was glauben Sie eigentlich! Man glaubt, den Leuten alles erzählen zu können! – Gegenruf der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieso? Sie haben doch gestern abgelehnt!)
Ihre Meinung zu ändern und den Weg freizumachen für die Entlastung der deutschen Unternehmen.
Ich danke Ihnen.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Als Nächster hat das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Andreas Audretsch.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7607232 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 154 |
Tagesordnungspunkt | Gesamtwirtschaftliche Entwicklung in Deutschland |