Johannes SchrapsSPD - Deutsch-polnische Beziehungen
Verehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es gibt da diesen alten Witz, der kurz nach dem Fall des Eisernen Vorhangs Anfang der 1990er-Jahre überall erzählt wurde: Zwei Züge fahren aus unterschiedlichen Richtungen in den Warschauer Hauptbahnhof ein. Der eine ist voll mit Russen, die endlich einmal Paris sehen wollen, und der andere ist voll mit Franzosen, die endlich mal nach Moskau fahren wollen. Ein Franzose steigt aus dem nach Osten fahrenden Zug aus und glaubt, dass er schon an der Endstation angekommen ist. Er geht hinaus in die Warschauer Innenstadt, und was er sieht, das macht ihn fassungslos. Moskau sei genauso trostlos, wie er es erwartet hat, meint er. Währenddessen steigt ein Russe aus dem anderen Zug, sieht sich kurz um und schwärmt, wie schön dieses Paris doch ist.
Zugegeben, so richtig witzig ist dieser Witz nicht, aber er ist eben aus einer anderen Zeit.
(Dr. Götz Frömming [AfD]: Das stimmt auch schon nicht mehr! Waren Sie schon mal in Warschau?)
Und doch zeigt die anekdotische Rückschau eine gewisse gegenseitige Ignoranz in Ost und West auf. Man glaubt, ohnehin sehr genau zu wissen, wie es auf der anderen Seite so aussieht. Gleichzeitig legt dieser Witz offen, wie vorgefertigt manch gegenseitige Vorstellungen waren und dass sie an der Wirklichkeit ganz schön vorbeigingen. Ignoranz ist es auf den ersten Blick, eigentlich ist es aber auch das Ergebnis von Jahrzehnten des Kalten Krieges, der Teilung Europas und des gegenseitigen Misstrauens.
Heute gibt es solche Züge aufgrund des brutalen Angriffskrieges des russischen Regimes gegen die Ukraine leider nicht mehr. Die Teilung Europas ist dennoch überwiegend überwunden. Und was die Ignoranz bei den Vorstellungen im vereinten Europa angeht, so ist sie sicher weniger geworden, aber so ganz weg ist sie doch noch nicht überall. In jedem Fall können wir sie uns nicht leisten.
Das Weimarer Dreieck ist ein ganz ausgezeichnetes Format, um den Kontinent zu überbrücken und miteinander eine gemeinsame Sprache zu finden. Das ist angesichts des militaristischen russischen Imperialismus wahrscheinlich sogar eine Notwendigkeit, weil der sich derzeit zwar gegen die Ukraine richtet, sich aber immer weiter ausbreiten kann, wenn er nicht gestoppt wird. Bei der Münchner Sicherheitskonferenz hat Olaf Scholz deutlich und völlig richtig gesagt: „Ohne Sicherheit ist alles andere nichts.“ Die Sicherheit ist eine gemeinsame europäische Aufgabe. Wir brauchen noch viel mehr Synergien mit unseren europäischen Partnern, eine noch bessere Zusammenarbeit. Deutschland, Frankreich und Polen haben zusammen etwa 190 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner und damit gemeinsam knapp ein Viertel mehr als Russland. Hinzu kommt die im Vergleich deutlich stärkere Wirtschaftskraft. Deshalb spielt das Weimarer Dreieck eine wichtige Rolle; denn wenn Paris, Warschau und Berlin sich einig sind, wird das im Weißen Haus genauso wie im Kreml registriert. Deshalb ist es ein starkes Signal, dass direkt nach der Konstituierung des neuen Parlaments und der neuen polnischen Regierung auch das Weimarer Dreieck wiederbelebt wird, verbunden natürlich mit der Hoffnung auf eine neue Ära der deutsch-polnischen Beziehungen.
Vier Monate nach den Wahlen sehen wir schon erste konkrete Ergebnisse. Von Funkstille, wie Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen aus der CDU/CSU-Fraktion, es in Ihrem Antrag schreiben, kann nun wirklich nicht die Rede sein. Zu nennen sind das Außenministertreffen, das genannt wurde, oder das Treffen von Bundeskanzler Scholz mit Donald Tusk und Emmanuel Macron. Anfang März reisen wir mit einer Delegation des Europaausschusses nach Warschau, zusammen mit den französischen Kollegen. Vertreter der Auswärtigen Ausschüsse Polens und Frankreichs werden in Kürze hierher nach Berlin kommen. Als eines der Gesichter der engen deutsch-polnischen Zusammenarbeit hat Dietmar Nietan ja gerade sehr intensiv ausgeführt, wie vielfältig die Kontakte sind.
Vor einigen Jahren beschrieben Analysten das Weimarer Dreieck als „drei Länder, drei Meinungen“. Damals war das eher negativ gemeint, als trennendes Attribut. Auch heute haben alle Partner im Weimarer Dreieck natürlich ihre spezifischen Sichtweisen auf unsere aktuellen Herausforderungen; aber mit einer positiven Konnotation, dass die Kooperation der drei viel dazu beitragen kann, gemeinsame Antworten auf die bestehenden Herausforderungen zu finden, zum Beispiel in der Frage der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, und das mit Bevölkerungen und zum Glück nun auch Regierungen, die dezidiert proeuropäisch sind.
Gerade Polen spielt eine wichtige Rolle, auch mit Blick auf die anderen Länder in Mittel- und Osteuropa; denn es kann Bindeglied sein für eine ebenso enge Zusammenarbeit mit den baltischen Staaten, der Tschechischen Republik oder der Slowakei und ist zudem auch wichtiger Partner für die Vereinigten Staaten.
Ich habe mit einem alten Witz begonnen, der aus einer Zeit stammt, in der das Weimarer Dreieck gegründet wurde. Es dauerte weitere anderthalb Jahrzehnte, bis Polen und andere mittel- und osteuropäische Länder der EU beitreten konnten. Auch das ist bereits 20 Jahre her. Aber viele dieser Länder haben manchmal immer noch das Gefühl, dass sie die etwas weniger wichtigen Partner sind. Und das sind sie ausdrücklich nicht. Sie sind integraler und maßgeblicher Bestandteil der Europäischen Union. Die große Chance des Weimarer Dreiecks besteht darin, sicherzustellen, dass wir unsere Zusammenarbeit mit Polen und Frankreich auf Augenhöhe gestalten und bereit sind, manch unterschiedliche Sichtweisen zu gemeinsamen Lösungen zusammenzubringen.
In diesem Sinne freue ich mich auf die künftigen Gespräche mit den Kollegen aus dem Sejm und der Assemblée nationale und danke Ihnen herzlich für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Vielen Dank, Herr Kollege Schraps. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Chantal Kopf, Bündnis 90/Die Grünen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7607515 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 154 |
Tagesordnungspunkt | Deutsch-polnische Beziehungen |