Martin DiedenhofenSPD - Wiederaufbau im Ahrtal
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin am Rhein aufgewachsen und habe schon als Kind etliche Hochwasser miterlebt. Die Flut im Ahrtal war aber kein normales Hochwasser, sondern eine Katastrophe mit einem Ausmaß, wie es die Region noch nicht erlebt hat. Ich wohne in Sichtweite des Landkreises Ahrweiler, und ich kenne Leute, die bei der Flut nahezu alles verloren haben. Wir alle haben seitdem aber auch miterlebt, wie viel Solidarität und Hilfsbereitschaft es ab dem ersten Tag gegeben hat. Menschen haben, ohne zu zögern, mitangepackt, sich durch den Schlamm gekämpft und anderen Menschen geholfen, die sie noch nie zuvor gesehen haben. Für diese Hilfsbereitschaft und für diesen starken Zusammenhalt sind wir alle hier sehr dankbar.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Erst vergangene Woche habe ich mich wieder mit Bürgermeistern aus den betroffenen Gemeinden ausgetauscht. Aus erster Hand weiß ich deswegen: Beim Wiederaufbau wurden bereits große Fortschritte erzielt. Und trotzdem – das ist vollkommen klar – gibt es noch viel zu tun. Der Bundestag hat 2021 in einem beispiellosen Akt beschlossen, gemeinsam mit den Ländern 30 Milliarden Euro für den Wiederaufbau der von der Flut zerstörten Regionen zur Verfügung zu stellen. Natürlich wird es aber noch einige Zeit dauern, bis alle materiellen Schäden beseitigt sein werden. Deswegen ist es gut, dass wir heute und auch in Zukunft hier im Bundestag über diese Flutkatastrophe sprechen.
Heute reden wir beispielsweise über einen Antrag, der, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, erkennen lässt, dass Sie und wir das gleiche Ziel verfolgen, nämlich im Ahrtal so schnell wie möglich voranzukommen. Das begrüße ich; denn es darf hier nicht um Parteifragen gehen. Leider gibt es – wir werden es heute wieder erleben – in unserem Land Kräfte rechts außen, denen es nicht darum geht, hier im Sinne der Menschen an einem Strang zu ziehen, sondern die aus dem Schicksal der Menschen im Ahrtal ganz egoistisch politischen Profit schlagen wollen. Es wird von diesen Leuten beispielsweise bewusst der Eindruck vermittelt, dass die Gegend insgesamt noch in Trümmern liegen würde und noch nichts passiert sei. Das ist, ehrlich gesagt, einfach nur schäbig.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wer nicht nur über, sondern einmal mit den Menschen vor Ort redet, der weiß, dass diese Spalter nicht nur Lügen verbreiten, sondern den Menschen vor Ort auch einen Bärendienst erweisen; denn das Ahrtal ist eine Tourismusregion. Wer behauptet, dass da alles noch in Trümmern liege, der schreckt Gäste ab und sorgt dafür, dass wichtige finanzielle Einnahmen ausbleiben. Sie erschweren damit genau denen das Handwerk, die jeden Tag mit ihrem persönlichen Einsatz für das Ahrtal, für seinen Wein, für seine Gastronomie und für seine Menschen werben.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Sebastian Münzenmaier [AfD]: Reden Sie doch mal mit den Menschen dort vor Ort!)
Beispielsweise sind das die Weinhoheiten, die wir als SPD-Fraktion vor einigen Wochen zu Gast hatten; denn diese Menschen engagieren sich wirklich für ihre Heimatregion. Sie sind wichtige Botschafterinnen und Botschafter für den örtlichen Weinbau und für gute touristische Angebote.
Statt also Lügen und Halbwahrheiten über die aktuelle Situation im Ahrtal zu verbreiten, möchte ich hier darüber reden, was vor Ort wirklich los ist. Der Wiederaufbau im Ahrtal geht jeden Tag voran. Trotzdem steht noch nicht wieder jedes Haus, bei Weitem nicht. Das hat mehrere Gründe. Ein solches Ausmaß an Zerstörung haben wir seit vielen Jahrzehnten in Deutschland nicht mehr erleben müssen. Beim Anblick der Zerstörung war den meisten Menschen klar, dass der Wiederaufbau dauert. Der ist nämlich mit komplexen Planungen verbunden. Wo zum Beispiel kann man überhaupt wiederaufbauen und in welcher Weise? Viele zerstörte Häuser und Brücken waren ziemlich alt.
Ich möchte an der Stelle übrigens einmal klarstellen, dass wir eben nicht eins zu eins wiederaufbauen, sondern nach dem Stand der Technik und in einer dem Überschwemmungsrisiko angepassten Weise. Ich halte es für sehr problematisch, das in dem Antrag so zu schreiben; denn das ist einfach falsch.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ein Problem ist auch die Kapazitätenfrage bei Gutachtern in den zuständigen Behörden, bei den Handwerkern, in der Bauwirtschaft. Das Problem ist nicht im Handumdrehen zu lösen. Umso wichtiger ist beispielsweise die Initiative „Handwerk baut auf“ der Landesregierung und der Handwerkskammer Koblenz, die das Ziel verfolgt, Handwerker aus anderen Gebieten für den Wiederaufbau dort zu gewinnen.
Zu der Aufzählung, warum der Wiederaufbau dauert, gehören aber auch Dinge, die anfangs nicht gesehen wurden, die wir aber verbessert haben. Wir haben die Antragsfristen für die Fluthilfen im letzten Jahr unkompliziert verlängert. Auch Anpassungen im Bauplanungs- und Vergaberecht, die Absenkung der Anforderungen bei der erforderlichen Planungstiefe für die Antragstellung, Abschlagszahlungen an Kommunen direkt nach der Bewilligung der Anträge usw. haben wir ermöglicht.
Weitere punktuelle Neujustierungen müssen immer zur Debatte stehen. Jetzt aber eine zeitaufwendige grundsätzliche Novellierung der Aufbauhilfe zu starten, liebe Union, das lehnen wir ab. Wo wir ausdrücklich zustimmen und wo wir uns einig sind, ist, dass wir Schritt für Schritt daran arbeiten, den Wiederaufbau voranzutreiben, und zwar im engen Austausch mit den Menschen vor Ort.
Ich möchte am Ende die Gelegenheit ergreifen, den Menschen, die im Ahrtal im Einsatz waren und sind, zu danken. Danke an die Mitglieder der Blaulichtfamilie, Danke an die zahlreichen Ehrenamtlichen, Danke an die Menschen, die in den Verwaltungen arbeiten, Danke an die Handwerksbetriebe und alle anderen, die im Rahmen ihrer Möglichkeiten geholfen haben und es noch immer tun.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Josef Oster [CDU/CSU]: Aber kein Dank an die Landesregierung!)
Auch Danke an die Menschen, die aus der ganzen Republik gespendet haben. Ich habe das die Tage noch mal nachgelesen: 283 Millionen Euro sind allein bei der Aktion Deutschland Hilft bis Mitte letzten Jahres eingegangen. Das ist sehr beeindruckend, und das zeigt die große Solidarität der gesamten Republik.
Wir sollten bei all dem eines nicht vergessen: Für viele Menschen im Ahrtal ist zwar ein gewisser Alltag wieder eingekehrt, aber Normalität noch lange nicht. Das ist unser Auftrag.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Das Wort hat Sebastian Münzenmaier für die AfD-Fraktion.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7607556 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 154 |
Tagesordnungspunkt | Wiederaufbau im Ahrtal |