23.02.2024 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 155 / Tagesordnungspunkt 6

Knut GerschauFDP - Enquete-Bericht - Lehren aus Afghanistan-Engagement

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Gestern Abend tagten wir in diesem Saal, dem Plenum, bis fast um Mitternacht; ich war dabei. Heute Morgen ging es gleich um 9 Uhr weiter. Mit Mitarbeitern und Arbeitnehmern darf man so etwas nicht machen, mit Abgeordneten anscheinend schon. Wir lassen das zu. Darüber sollten wir alle mal nachdenken.

Fast 20 Jahre lang hat sich Deutschland in Afghanistan engagiert. Dabei gab es viel Licht und viel Schatten. Nach über einem Jahr in der Enquete-Kommission möchte ich mich vor allem auf die entwicklungspolitischen Aspekte konzentrieren, die ein integraler Teil des Einsatzes waren. Um einen besseren Überblick zu bekommen, habe ich eine Befragung bei den entwicklungspolitischen Durchführungsorganisationen vorgenommen. Die Frage war: Was ist vor Ort gut gelaufen, und was sollte man künftig anders machen? Verschiedene Problemfelder konnten identifiziert werden.

Problemfeld eins: unterschiedliche Motive der westlichen Regierungen. Die Bundesregierung wollte in erster Linie der Bevölkerung helfen, während die USA siegen wollten. Wir wollten primär die Lebensverhältnisse der Menschen vor Ort verbessern und darüber die Situation vor Ort stabilisieren, während die USA mehr auf die Bekämpfung des Terrors fokussiert waren.

Problemfeld zwei. Während des Einsatzes war die Kommunikation zwischen den deutschen Ministerien unzureichend. Es fanden keine strategischen Diskussionen statt. Das Verteidigungsministerium war sehr dominant und konnte schnell finanzielle Mittel bereitstellen. Hier waren das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und das Auswärtige Amt deutlich benachteiligt. Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe waren zudem nicht strikt getrennt. Die Umsetzung der Mittel war nicht eindeutig zugewiesen. Dies führte zu vielen Reibereien und Rivalitäten zwischen den beteiligten Ministerien.

Problemfeld drei. Die Bundeswehr hat in Afghanistan Aufgaben übernommen, die nicht zu ihrem eigentlichen Auftrag passten; denn sie bauten auch Brunnen und Schulen. In der Praxis konnten die Anteile des Militärs nicht klar vom Engagement der zivilen entwicklungspolitischen Organisationen abgegrenzt werden. Hierdurch wurde Vertrauen verspielt, und wir haben die Arbeit dieser Organisationen sogar gefährdet. Das ist inakzeptabel.

Was habe ich noch gelernt? Wir haben neben anderen internationalen Gebern große finanzielle Mittel für Afghanistan bereitgestellt. Dies führte dazu, dass die Geber ihr Geld mit Nachdruck sinnvoll einsetzen wollten. Aber auf lokaler Ebene wusste man zu häufig nicht, wie eigentlich. Und zu viel Geld fördert dann Korruption. Deswegen muss künftig der Mitteleinsatz besser konkretisiert werden: Was ist möglich? Was ist sinnvoll? Flexibilität ist gefordert.

Es hat sich herausgestellt: In der Praxis haben bescheidene, lokal eingebettete Projekte mit unmittelbarem, greifbarem Nutzen für die Bevölkerung am besten funktioniert. Sie sind effektiver als Großprojekte, die einfach dem Land übergestülpt werden.

Das bringt mich zu Problemfeld Nummer vier. Wir haben die afghanische Bevölkerung in der Tat nicht ausreichend studiert und sie bei der Gestaltung von Vorhaben nicht genug einbezogen. Rückblickend hätte man von Anfang an dafür sorgen müssen, dass die lokale Bevölkerung Projekte langfristig eigenständig übernehmen kann. Konsequenz also: Zuhören, auf die Wünsche und Bedürfnisse eingehen, nicht auf die Umsetzung unserer Idealvorstellungen drängen.

Das waren erste Ergebnisse. Ich freue mich auf Phase zwei.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Als Nächster hat das Wort für die Gruppe Die Linke Dr. Gregor Gysi.

(Beifall bei der Linken)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7607682
Wahlperiode 20
Sitzung 155
Tagesordnungspunkt Enquete-Bericht - Lehren aus Afghanistan-Engagement
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