23.02.2024 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 155 / Tagesordnungspunkt 6

Christoph SchmidSPD - Enquete-Bericht - Lehren aus Afghanistan-Engagement

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Wehrbeauftragte! Herr Gysi, ich kann nicht meine gesamte Redezeit darauf verschwenden, Ihnen zu antworten. Aber hätten Sie nur an einer einzigen Sitzung mal teilgenommen – an einer einzigen Sitzung der Enquete-Kommission! –, dann hätten Sie an der Aufarbeitung tatsächlich auch teilnehmen können.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Ja, es gibt auch noch andere Dinge richtigzustellen oder zu ergänzen: Herr Nolte, auch wenn die Taliban keine globale Terrororganisation waren oder sind, so haben sie aber eben doch al-Qaida Unterschlupf geboten. Und al-Qaida – das wissen wir alle – war und ist eine globale Terrororganisation.

Im April 2001 stand ich auf den Twin Towers des World Trade Centers. Ich war 25 Jahre alt. Nicht einmal sechs Monate später fielen diese Türme zusammen, durch den von al-Qaida initiierten Anschlag. Ich gehöre zur Generation Nine Eleven. Wir sind die Menschen, die sich genau erinnern können, wo sie an diesem Tag waren. Wir alle wissen, wie wir diesen Tag verbracht haben.

Warum erzähle ich Ihnen das? Wenn man die Schlagzeilen zum Zwischenbericht einfach nur so lesen würde, wie das Herr Gysi vielleicht auch gemacht hat, dann liest man: „Chronologie des Scheiterns“, „strategisches Scheitern“, „kolossal gescheitert“. Ja, dieser Bericht ist keine Schönfärberei.

(Zurufe der Abg. Dr. Gregor Gysi [Die Linke] und Andrej Hunko [BSW])

In diesem Bericht steckt viel Arbeit von Sachverständigen und Abgeordneten. Und erkannte Fehler werden tatsächlich klar benannt. Das tun wir.

(Zurufe von der Linken)

Aber der Auftrag der Enquete-Kommission war und ist es nicht, rückwirkend mit nachträglichem Expertenwissen frühere Verantwortliche zur Rechenschaft zu ziehen.

(Zuruf des Abg. Dr. Gregor Gysi [Die Linke])

Unser Auftrag ist es, Lehren aus Afghanistan für das künftige vernetzte Engagement zu ziehen. Der vorliegende Zwischenbericht bildet dafür die Grundlage.

(Peter Beyer [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Wie kann man diesen Bericht zusammenfassen? Ich möchte an Barnett Rubin denken, der in einer Anhörung etwas sehr Denkwürdiges gesagt hat. Er war damals Senior Advisor für Richard Holbrooke, der Obamas Sondergesandter für Afghanistan war. Und er hat, befragt nach den Erfolgen der Operation Enduring Freedom, gesagt: We achieved some things along the way, but we were not successful. – Wir haben einige Dinge auf der Wegstrecke erreicht, aber wir waren nicht erfolgreich.

Ja, das kann man vielleicht auch auf das deutsche Engagement übertragen. Wir haben Teilerfolge auf der Wegstrecke erzielt. Und Serap Güler und Derya Türk-Nachbaur haben diese, glaube ich, auch eindrücklich geschildert. Aber diese Teilerfolge waren Ergebnis der Arbeit von Soldatinnen und Soldaten, Polizistinnen und Polizisten, von zivilen Helferinnen und Helfern.

Nicht alle kehrten wieder zurück. 59 Soldaten der Bundeswehr, mehrere Polizisten und zivile Helfer verloren ihr Leben. Viele Menschen kehrten beschädigt an Leib oder Seele zurück. All diesen Menschen und ihren Angehörigen gebührt unser Dank und ein ehrendes Gedenken. Wir sind ihnen aber auch zu mehr verpflichtet, nämlich kluge Lehren aus dem Zwischenbericht zu ziehen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Kluge Lehren sind erst der Auftrag für Phase zwei, aber ein paar Dinge zeichnen sich ab. Klug ist es, künftig strategischer zu denken. Klug ist es, künftig strukturierter auf wissenschaftliche Expertise zu setzen. Klug ist es, künftig noch mehr auf den integrierten Ansatz zu setzen und deshalb künftig auch im Parlament und in der Regierung weniger in Ressortzuständigkeiten zu denken. Klug ist es aber auch, wenn wir uns künftig vor einem Einsatz darüber unterhalten, wie deutsche Ziele in einem internationalen Einsatz definiert und eingebracht werden können. Und klug ist es natürlich auch, wenn wir all das, was ich gerade gesagt habe, regelmäßig evaluieren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Aus diesen von mir skizzierten Ideen für kluge Lehren jetzt nun echte Handlungsempfehlungen zu formulieren, das ist unser Auftrag für die Phase zwei, das ist unsere Aufgabe im nächsten Jahr.

Lassen Sie mich an dieser Stelle Dank sagen: an unsere Sachverständigen, die uns dabei unterstützen, an das Sekretariat für die großartige Arbeit, aber auch Danke an alle Kolleginnen und Kollegen, die konstruktiv mitgearbeitet haben.

Ich freue mich auf die Arbeit im kommenden Jahr, mit den Sachverständigen, mit den Kolleginnen und Kollegen. Ich nehme alle Mitglieder des Parlaments aber schon heute in die Pflicht: Nehmen Sie uns und die Ergebnisse unserer Arbeit ernst! Helfen Sie nach dem Abschlussbericht bei der Umsetzung dieser Ergebnisse, damit niemand – wirklich niemand – nach einem künftigen Einsatz sagen muss: We achieved some things along the way, but we were not successful.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Als Nächster hat das Wort für die Gruppe BSW Andrej Hunko.

(Beifall beim BSW)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7607689
Wahlperiode 20
Sitzung 155
Tagesordnungspunkt Enquete-Bericht - Lehren aus Afghanistan-Engagement
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