Holger MannSPD - Stärkung der Fusionsforschung
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Formal diskutieren wir heute die Förderung der Kernfusion. Ich würde sagen, diese Debatte könnten wir kurzhalten; denn derzeit unterstützen alle Fraktionen hier im Hohen Haus, auch die SPD, diese Grundlagenforschung. Die Bundesregierung tut dies jährlich mit dreistelligen Millionenbeträgen – in der Programmförderung und bei der Agentur für Sprunginnovationen, SPRIND. Zudem fördern wir mit einem Vielfachen über die Finanzierung der außeruniversitären Forschungseinrichtungen vor allen Dingen bei Helmholtz und Max Planck sowie im europäischen Verbund bei ITER. Das Ergebnis dieses langjährigen Engagements ist, dass wir bei der Forschung zur Trägheitsfusion international Spitze sind.
Darum geht es aber meiner Meinung nach der Union in der Sache nicht, sondern darum, vor der kommenden Bundestagswahl etwas in die Auslage zur Energiepolitik zu legen. Das Kind, meine Damen und Herren, soll heißen: Wir lösen alle Energieprobleme durch Kernfusion.
(Knut Abraham [CDU/CSU]: Nein!)
Das Problem bei der Sache ist nur: Der Vater heißt Autosuggestion und die Mutter Bilanzfälschung.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Das wollen Sie uns immer unterstellen!)
Was würde denn eine Fokussierung auf Kernfusion bedeuten? In der Anhörung, die wir im Forschungsausschuss hatten, haben selbst die Berufsoptimisten, also die Fusionsforscher und die Firmen, die Technologie zuliefern, ausgeführt, dass es mindestens zehn Jahre lang 1 Milliarde Euro zusätzlich bräuchte, um in frühestens – frühestens! – 20 Jahren einen ersten Fusionsreaktor bauen zu können, der Strom liefern könnte.
Um das mal in Relation zu setzen: Dies ist die gleiche Summe, die wir als Bund aktuell für die Verbesserung der Startchancen in der schulischen Bildung eingestellt haben, Geld, das wir brauchen, um den seit Jahren wachsenden Defiziten bei grundlegenden Rechen-, Lese- und Schreibkenntnissen entgegenzuwirken. Sie, meine Damen und Herren von der Union, wollen also Geld umverteilen, mit dem wir dem wachsenden Arbeits- und Fachkräftebedarf in Deutschland entgegenwirken.
(Nadine Schön [CDU/CSU]: Was ist das denn für eine Unterstellung? – Zuruf des Abg. Dr. Götz Frömming [AfD])
Und die Union geht weiter. Sie fordert in ihrem Antrag zudem gleich zwei neue Fusionsreaktoren mit konkurrierender Technik. Es geht offensichtlich um Reaktoren, die auch Strom produzieren sollen. Wenn ich mal ignoriere, dass es diese Systeme heute noch gar nicht gibt
(Katrin Staffler [CDU/CSU]: So ist das mit der Forschung: dass man an Dingen arbeitet, die es noch nicht gibt!)
und alle belastbaren Prognosen von Strompreisen ausgehen, die weit über den heutigen liegen, wird klar, dass die Kosten von ITER, der die Stromerzeugung demonstrieren soll, inzwischen auf mindestens 22 Milliarden Euro angewachsen sind. Nicht ohne Grund ist es ein europäisches Gemeinschaftsprojekt. 22 Milliarden Euro plus x mal zwei – in Selbstüberschätzung will die Union das jetzt national doppelt toppen. Wohl dem, der so viele Milliarden im Haushalt findet wie die CDU/CSU-Bundestagsfraktion!
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, der Haushaltsberatung hätte die Benennung dieser Reserven gutgetan. Es ist aber noch nicht zu spät, liebe Kollegen der Union. Damit ließe sich auch so manches Problem lösen, auch solche, für die Sie gerade das Wachstumschancengesetz im Bundesrat blockieren.
(Zuruf von der CDU/CSU: Oah!)
Wir nehmen jedenfalls zur Kenntnis: Die Union will anders Prioritäten setzen. Sie überhöhen damit aber jede wissenschaftlich begründbare Erwartung. Sie überreizen die finanziellen Möglichkeiten und setzen auf eine Energieerzeugung der Vergangenheit.
(Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Ich dachte, Sie unterstützen das Projekt!)
Auch das will ich anhand von Fakten kurz untersetzen. Im Jahr 2022 wuchs die Stromerzeugung weltweit um 355 Gigawatt an. 83 Prozent davon kommen aus erneuerbarer Energieerzeugung. Auch im letzten Jahr wurden mehr als vier Fünftel der neuen Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen zugebaut. Kurz gesagt: Erneuerbare Energien sind die Zukunft der Energieversorgung.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Götz Frömming [AfD]: Das ist doch Quatsch!)
Bleiben wir bei diesem Ausbautempo, dann könnten wir innerhalb eines halben Menschenlebens die Stromerzeugung weltweit verdoppeln. Wir wollen aber schneller werden und werden das gerade auch – mit Wasserstoffhydrolyse, Ausbau der Speicher und Stoffkreisläufen,
(Dr. Götz Frömming [AfD]: Und 40 Gaskraftwerden oder so!)
besonders aber durch Effizienzgewinne bei bestehenden Technologien.
Die Steigerung der Effizienz von Solartechnik in den letzten 50 Jahren von 2 Prozent auf inzwischen mehr als 30 Prozent in der Industrie, in der Forschung sogar auf knapp 48 Prozent, zeigt, was da noch geht: viel mehr, vor allem wenn wir in diese Forschung und Technologie investieren. Der Return on Invest war hier jedenfalls deutlich höher als der in 50 Jahren Kernfusionsforschung.
Erneuerbare Energieerzeugung ist dabei resilienter, inklusiver und klimasicherer – drei Punkte, meine Damen und Herren, die wir angesichts multipler globaler Krisen beachten sollten und die überlebenswichtig sind.
Am Tag, bevor sich der russische Überfall auf die Ukraine zum zweiten Mal jährt, noch ein Gedanke. Demokratien stehen bei der Nutzung von erneuerbaren Energien an der Spitze, Autokratien und Diktaturen hingegen am Ende.
(Katrin Staffler [CDU/CSU]: Thema verfehlt! – Zuruf des Abg. Thomas Jarzombek [CDU/CSU])
Die Ausbeutung und der Verkauf von fossilen Energieträgern stützt weltweit autoritäre Systeme. Niemand muss dies gerade schmerzlicher erfahren als die Ukraine.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir alle hier, auch die Union, sollten hieraus Schlüsse ziehen – nicht nur sicherheitspolitisch, sondern auch forschungs- und energiepolitisch.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Als Nächstes erhält das Wort für die AfD-Fraktion Dr. Michael Kaufmann.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7607702 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 155 |
Tagesordnungspunkt | Stärkung der Fusionsforschung |