23.02.2024 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 155 / Zusatzpunkt 18

Holger BeckerSPD - Stärkung der Fusionsforschung

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Enthusiasmus seitens der Unionsfraktion für die Fusionsenergie ist schon bemerkenswert. Hätten Sie nur die Hälfte dieses Tatendrangs beim Ausbau der erneuerbaren Energien gezeigt, stünde dieses Land energiepolitisch anders da.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was nun die Notwendigkeit des in Ihrem Antrag beschriebenen neuen Regulierungsrahmens für die Fusion angeht: Auch wir hören den Expertinnen und Experten in Anhörungen zu und lesen die Fachliteratur und Berichte von Einrichtungen wie der Leopoldina – kurzum: Wir sind uns der Problematik sehr wohl bewusst.

(Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Aha!)

Klar ist: Fusionskraftwerke werden nicht nach den bestehenden Regeln des Atomgesetzes operieren können und sollen es auch nicht.

(Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Aha! Hört! Hört!)

Klar ist aber auch: Wir haben es hier mit einem Feld zu tun, bei dem es um mehr geht als um ingenieurstechnische Kleinigkeiten. Im Gegenteil: Es wird noch viel grundlegende Forschung notwendig sein. Angesichts dessen bereits zu diesem Zeitpunkt mit einem vollständigen Regelwerk um die Ecke zu kommen, würde der Sache nicht gerecht werden.

(Stephan Albani [CDU/CSU]: Doch!)

Übrigens bin ich sicher: Täten wir das zum jetzigen Zeitpunkt, würde die Union reflexartig „Überregulierung!“ rufen. Denn auch wenn es immer heißt, es gebe im Prinzip nur zwei Ansätze bei der Fusion, zeigt ein Blick in den 2023er-Report der Fusion Industry Association, also dem Industrieverband der Fusionsenergie, dass das Spektrum an technischen Konzepten sehr, sehr breit ist:

(Zuruf des Abg. Thomas Jarzombek [CDU/CSU])

myonkatalysierte Fusion, nicht-thermale, laserinduzierte Fusion, mit Rydberg-Materie arbeitende Fusion, Trägheitsfusion und natürlich auch die Fusion mittels magnetischen Einschlusses, alles mit unterschiedlichen Materialien und – das ist wichtig – auch mit unterschiedlichen strahlenschutzrechtlich relevanten Verfahren. Daher müssen wir, um es mit dem ideologischen Vokabular der CDU zu sagen, technologieoffen bleiben.

Kurzum: Einen rechtlichen Rahmen für den Betrieb solcher Anlagen jetzt zu setzen, obwohl wir noch nicht wissen, welcher Ansatz, welcher Methode, welche Technik sich letzten Endes als praktikabel und umsetzbar erweist, erscheint mir zu früh. Trotzdem wollen wir natürlich der wissenschaftlichen und industriellen Fusionscommunity das Signal senden, dass wir die Regulierungsfrage auf dem Schirm haben.

(Steffen Bilger [CDU/CSU]: Das ist jetzt noch nicht so richtig angekommen!)

Wenn wir jetzt noch mal einen Blick in den „2023 Global Fusion Industry Report“ werfen und uns die Struktur der Fusionsbranche einmal anschauen, ist es sehr schön, zu sehen, dass es in diesem Bereich eine sehr lebendige Start-up-Szene gibt. Man muss jedoch genauer hinschauen: Der Report listet 42 Unternehmen auf, die in diesem Bereich tätig sind. Allerdings nur zwei davon haben eine, sagen wir mal, halbwegs relevante Größe von mehr als 200 Mitarbeitenden. Mehr als zwei Drittel sind eher klein, mit weniger als 50 Mitarbeitenden; die Hälfte hat sogar 20 Mitarbeitende oder weniger.

(Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Wie viele Mitarbeiter hatte eigentlich OpenAI vor drei Jahren?)

Wollen Sie von solchen Unternehmen dann in der Zukunft irgendwelche Kraftwerke, die Milliarden kosten, bestellen? Ich glaube, Sie würden noch nicht mal ein Angebot dafür kriegen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Dr. Petra Sitte [Die Linke])

Ja, man kann den Start-ups nicht verdenken, dass sie an ihre Businesspläne mit einem großen Optimismus herangehen. Das liegt in der Natur der Sache; das braucht man auch, um Investorengeld einzuwerben. Aber zu glauben, dass es innerhalb der nächsten zehn Jahre auch nur eine Fusionstechnologie gäbe, die tatsächlich auch nur im Versuchsmaßstab Strom ins Netz einspeist, halte ich für naiven Optimismus.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Dr. Petra Sitte [Die Linke])

Und auch die Nationale Akademie der Wissenschaften, die Leopoldina, kommt in ihrem entsprechenden Papier von 2023 zu dem Schluss – ich zitiere:

„… es wird noch mindestens zwei bis drei Jahrzehnte dauern, bis Kernfusionskraftwerke zur Energieversorgung Wirklichkeit werden könnten.“

An dieser Stelle vielleicht noch ein paar Worte in Richtung derer, die immer sagen, dass Fusionsenergie den Pfad zu unlimitierter billiger, sauberer Energie ebnen kann: Meine Damen und Herren, den gleichen Case kann man ebenso für die erneuerbaren Energien machen – mit einem Unterschied: Auch langfristig erwarten Experten bei der Fusion Stromgestehungskosten von mindestens 100 Dollar pro Megawattstunde. Solar- und Windenergie sind bereits jetzt wesentlich günstiger und werden dies auf absehbare Zeit auch bleiben.

(Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Das stimmt überhaupt nicht! Ihr habt die Netzausbaukosten verschwiegen!)

Bleibt das Argument der Grundlastfähigkeit.

(Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Nee!)

Das wäre tatsächlich verlockend. Allerdings wird sich die Fusion zum Zeitpunkt ihrer Marktreife, also in 20 Jahren oder so, mit konkurrierenden Technologien der Energiespeicherung – PtL, Wasserstoff, was auch immer bis dahin da ist und sich auf dem Markt bereits etabliert hat – messen lassen müssen, Ausgang ungewiss.

Daher steht an dieser Stelle die klare gegenwärtige Prioritätensetzung für erneuerbare Energien, ohne aber – und das sei in Richtung der Fusionscommunity gesagt – die politischen Rahmenbedingungen für Fusionen zu vernachlässigen.

Mit Projekten wie dem ITER und Wendelstein 7-X und der Finanzierung über die SPRIND, die Fraunhofer-Gesellschaft, das Helmholtz-Zentrum und die Max-Planck-Gesellschaft ist für die Fusion eine hochkompetitive Forschungslandschaft in Deutschland entstanden.

(Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Meine Herren!)

Persönlich bin ich der Meinung – das habe ich der Frau Ministerin auch letztes Jahr bereits vorgeschlagen –, dass sich die Forschungsinfrastruktur der FAIR in Darmstadt durchaus zu einer „National Ignition Facility“ umbauen ließe, um eine Infrastruktur zur Untersuchung der laserbasierten Fusion zu haben.

(Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Ein durchschlagender Erfolg Ihr Vorschlag!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin bereit, mit der CDU/CSU-Fraktion eine Wette einzugehen:

(Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Ah!)

Ich lade Sie in ein Restaurant Ihrer Wahl ein,

(Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Oha!)

wenn bis zum 31. Dezember 2035 ein Fusionskraftwerk mehr als eine Gigawattstunde in ein öffentliches Stromnetz eingespeist hat.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Katrin Staffler [CDU/CSU]: So kann man die Technologie auch totreden! – Gegenruf des Abg. Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Wirklich! Also, jeder, der die Rede hört, kann nur mit dem Kopf schütteln! Das ist doch keine seriöse Herangehensweise! Das ist Klamauk! Klamauk statt Wissenschaft! – Steffen Bilger [CDU/CSU]: Antrag lesen wäre ganz gut!)

– Ich erhöhe auch gerne auf 2040.

Sie müssen jetzt bitte zum Schluss kommen, bevor der finanzielle Ruin eintritt.

(Heiterkeit des Abg. Dr. Stephan Seiter [FDP])

Frei nach Thomas Gottschalk: Top, die Wette gilt!

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Also, das klärt ihr dann privat. – Die Nächste, die das Wort erhält, ist Katrin Staffler für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU – Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Endlich wieder Kompetenz am Mikrofon!)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7607711
Wahlperiode 20
Sitzung 155
Tagesordnungspunkt Stärkung der Fusionsforschung
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