23.02.2024 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 155 / Tagesordnungspunkt 30

Ariane FäscherSPD - Menschenunwürdige Zustände in der Prostitution

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Demokratinnen und Demokraten! Werte Union, bei zwei Dritteln der Überschrift Ihres Antrags haben Sie mich voll auf Ihrer Seite, nämlich „Menschenunwürdige Zustände in der Prostitution beenden“. Umstritten ist aber Ihr Lösungsvorschlag eines Sexkaufverbots. Wir sind uns darüber einig, dass wir Frauen in der und vor der Prostitution schützen wollen. Sie sollen sich nicht aus Notlagen, aus Zwangslagen heraus prostituieren müssen. Umfassende Präventions-, Schutz- und Ausstiegsangebote sind unser Ziel, und so haben wir das festgeschrieben im Prostituiertenschutzgesetz.

(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Na, hat ja super geklappt!)

Die Schilderungen von Aussteigerinnen und Frauen an der Kurfürstenstraße – da gebe ich Ihnen recht, Frau Bär – sind ganz schwer zu ertragen. Die Frau, die vier Stunden nach einer Geburt wieder auf der Straße steht, weil sie anders nicht überleben kann; die junge Frau, die ihr Leben lang stuhlinkontinent sein wird; die Flucht in Drogen, in Alkoholkonsum; diese vollgeschissenen Verrichtungsboxen auf der Kurfürstenstraße; diese unerträglichen Postings in Freierforen, die Frauen zur seelenlosen Ware entmenschlichen: Jedes einzelne Schicksal ist eines zu viel!

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Demgegenüber stehen aber die Rechte der sexuellen Selbstbestimmung und der freien Berufswahl – auch für Sexarbeiter/-innen, die einen Vertrag schließen, von dem sie zumindest rechtlich jederzeit einseitig zurücktreten können, wenn sich ihre Meinung doch ändert.

Prostitution ist dennoch kein Beruf wie jeder andere; das stellt auch das Prostituiertenschutzgesetz so fest, obwohl Sie das hier fälschlich negieren. Ihr heutiger Antrag führt Zustände überwiegend aus der Zwangs- und Notlagenprostitution als Begründung für ein Sexkaufverbot an. Allerdings sind Zwangsprostitution, Vergewaltigung und Zuhälterei bereits strafbar. Fraglos ist die Ahndung unzureichend. Unser Hilfe- und Präventionssystem erreicht Frauen nicht in allen Bundesländern gleich gut. Aber wir verfügen leider gerade nicht über belastbare Zahlen, die uns heute als Handlungsgrundlage dienen könnten.

(Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Ausrede!)

Und so ist auch dieser Antrag voll von Schätzungen und gefühlter Evidenz. Handlungsbedarf soll sich ableiten aus einer „hohen sechsstelligen Zahl“ von Prostituierten, einem „überwiegenden Mehrheitsanteil“ von Missständen, von unkontrollierbarer Ausbreitung von Menschenhandel. Dabei berufen Sie sich auf Zahlen, Experten und Betroffene, die Sie aber nicht konkret nennen; vielleicht auch, weil sie zum Teil umstritten sind.

Ein Beispiel dafür ist die Freierbefragung des Bündnisses Nordisches Modell. Hier wurden 96 Freier ohne statistische Repräsentanz befragt. Davon haben einige offenbart, sie würden Missstände ignorieren; andere würden sogar erkennbare Notlagen ausnutzen. Aber dürfen wir das deshalb bei dieser Fallzahl generalisieren? Die Studie sagt zum Beispiel auch, dass 39 Prozent der Freier Katholiken sind; sie nehmen demnach annähernd doppelt so oft sexuelle Dienstleistungen in Anspruch wie evangelische, muslimische, orthodoxe und jüdische Männer zusammengenommen. Ist daraus die legitime Folgerung: „Wir haben ein Problem mit Katholiken“? Ich glaube, eher nicht.

Länder, die das Nordische Modell eingeführt haben, berichten in Studien von einem Rückgang der Prostitution und von positiven Auswirkungen auf das Frauenbild in der Gesellschaft. Das ist sehr gut. Es gibt aber ebenso Berichte, dass sich die Studie vorwiegend auf sichtbare Prostitution auf der Straße und im Bordell beziehe. Die Anbahnung verschwinde im Internet und die Dienstleistungen in die viel schwerer kontrollierbare Wohnungsprostitution, was mir auch schwedische Ministerialbeamtinnen in einem Gespräch bestätigt haben.

Befürworter des Nordischen Modells bescheinigen den Behörden eine höhere Sensibilität und auch, dass gewalttätige Übergriffe häufiger angezeigt würden. Das gilt allerdings nur, wenn diese Frauen auch ausstiegsbereit sind;

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

denn ansonsten sind sie vermehrt davon bedroht, dass ihnen die Wohnung gekündigt, das Sorgerecht für ihre Kinder entzogen und ihr Aufenthaltsstatus infrage gestellt wird. Die gesundheitliche Situation ist fragil, weil Anbieterinnen gar nicht mehr zum Arzt gehen, um nicht entdeckt zu werden.

Weiterhin gibt es in Verbotsländern Hinweise auf die Zunahme von Kinderprostitution, in Frankreich sogar um 340 Prozent. In Island gibt es eine Zunahme der Prostitution insgesamt, weil der Tourismus wächst. Also, was ist Ursache, was ist Wirkung? Hingegen gibt es keine bedeutsame Eindämmung in Nordirland. In der Republik Irland sollen sich Polizisten ihr Wegschauen zum Teil mit sexuellen Dienstleistungen vergüten lassen.

(Zuruf der Abg. Dorothee Bär [CDU/CSU])

Diese Befunde weisen eben nicht darauf hin, dass ein Sexkaufverbot die ultimative Lösung ist.

(Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Also alles so lassen, oder wie?)

Sie stilisieren in Ihrem Antrag das Prostituiertenschutzgesetz als „gescheitert“. Woher wissen Sie das? Es wird ja gerade erst evaluiert.

(Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Das zeigt die Wirklichkeit! – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Verstand reicht halt manchmal!)

Das Ergebnis wird bis Juli 2025 vorliegen. Dann, aber erst dann können wir geeignete, zielgerichtete Maßnahmen für den besseren Schutz von Frauen in der Prostitution ableiten. Lassen Sie uns also zu gegebener Zeit auf der Basis fundierter Informationen unaufgeregt und vor allem ideologiefrei

(Lachen des Abg. Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU])

Ihre zum Teil sehr guten Ansätze aus dem Antrag und womöglich ein Sexkaufverbot diskutieren. Heute ist es dafür zu früh.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Zu früh? Oh! Das ist bitter! Die Rede werden Sie irgendwann bereuen, Frau Fäscher!)

Thomas Ehrhorn für die AfD ist der nächste Redner.

(Beifall bei der AfD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7607743
Wahlperiode 20
Sitzung 155
Tagesordnungspunkt Menschenunwürdige Zustände in der Prostitution
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