23.02.2024 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 155 / Zusatzpunkt 20

Karl Lauterbach - Cannabisgesetz

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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir beschließen heute ein sehr wichtiges Gesetz,

(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Unfassbar!)

mit dem wir unsere Cannabiskontrollpolitik grundsätzlich verändern. Wir verfolgen zwei Ziele. Das erste Ziel ist es, den Schwarzmarkt zu bekämpfen. Das zweite Ziel ist ein besserer Kinder- und Jugendschutz.

Wieso müssen wir das tun? Kann es nicht so bleiben, wie es jetzt ist? Die Lage, in der wir derzeit sind, ist in keiner Weise akzeptabel; sie ist nicht befriedigend.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der Linken – Konstantin Kuhle [FDP]: So ist es! – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Wir stehen am Abgrund, also gehen wir einen Schritt weiter!)

Wenn wir uns allein das Problem bei Kindern und Jugendlichen anschauen, sehen wir: In der Zeit von 2011 bis 2021, in zehn Jahren, ist die Zahl der Konsumenten in dieser Altersgruppe, die besonders gefährdet ist, um 50 Prozent gestiegen.

(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Und jetzt wollen Sie sie weiter erhöhen! – Dr. Christina Baum [AfD]: Das ist eine Schande für Deutschland! Eine Schande ist das! Im besten Deutschland aller Zeiten!)

In der Altersgruppe der 18- bis 25-Jährigen ist die Zahl der Konsumenten in zehn Jahren um 100 Prozent gestiegen.

Wir haben zunehmend Probleme mit Beimengungen; Cannabisprodukte sind unrein. Wir haben toxische Konzentrationen: THC-Anteile von 30 bis 40 Prozent werden gemessen – mit unmittelbaren Auswirkungen auf die Psyche der Konsumenten.

(Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Die Antwort kann doch keine Freigabe sein, keine Legalisierung! – Gegenruf der Abg. Dr. Kirsten Kappert-Gonther [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber doch! Das erklären wir euch gleich noch!)

Wir haben eine steigende Anzahl an Drogendelikten: 180 000 belegte mit Cannabiskonsum zusammenhängende Delikte pro Jahr. Ich sage so viel: Was auch immer wir tun, wir können so nicht weitermachen.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der Linken – Tino Sorge [CDU/CSU]: Was haben Sie geraucht? – Abg. Dr. Christina Baum [AfD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Da kann man den Kopf in den Sand stecken; da kann man Bierzeltreden halten. Aber damit lösen wir nicht ein einziges Problem.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der Linken)

Wir müssen uns den Problemen stellen, und der Ansatz, den wir hier verfolgen, ist ein guter Ansatz.

(Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Nein! Der ist fatal, der Ansatz!)

Wir verfolgen vier Ziele: Wir legalisieren den Eigenkonsum, wir schaffen eine Alternative zum bedenklichen kriminellen Schwarzmarkt –

Herr Bundesminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der AfD-Fraktion?

– nein –, wir klären auf über die Gefahren von Cannabis – insbesondere für das wachsende Gehirn, für Kinder und Jugendliche, für unter 25-Jährige –,

(Peter Beyer [CDU/CSU]: Das ist Unsinn, was Sie da erzählen)

und wir erhöhen das Strafmaß für diejenigen, die bandenmäßig an Kinder und Jugendliche verkaufen, auf mindestens zwei Jahre.

(Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Das hat in anderen Ländern schon nicht geklappt! Warum müssen wir den gleichen Fehler noch mal machen?)

In dieser Kombination gehen wir die Probleme gemeinsam an. Wir stecken nicht den Kopf in den Sand; wir lassen Kinder und Jugendliche, junge Leute nicht allein.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der Linken – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Sie sind eine Gefahr für die Kinder und Jugendlichen in diesem Land! – Tino Sorge [CDU/CSU]: Der Staat als Drogendealer! Was eine Idee!)

Ich selbst bin über viele Jahre hinweg ein Gegner der Legalisierung gewesen. Aber es ist die Wissenschaft, die jetzt sagt: Diesen Weg müssen wir gehen.

(Simone Borchardt [CDU/CSU]: Welche Wissenschaft? – [Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Unglaublich, was für einen Unsinn Sie hier erzählen!)

Wir werden heute hören, dass es viele Gegenstimmen gibt. Das weiß ich.

(Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Aha!)

Das ist eine schwere Entscheidung. Sie fällt nicht leicht. Die Lage, in der wir sind, ist nicht optimal. Aber die Suchtforscher geben uns mit auf den Weg,

(Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Kinderärzte!)

dass das der Weg ist, der funktioniert: weg von der Bestrafung, weg von der Tabuisierung.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der Linken – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Nein, nein, nein! Das stimmt doch gar nicht! – Zuruf des Abg. Alexander Dobrindt [CDU/CSU])

Wir müssen uns den Problemen stellen, und wir müssen hier mit Aufklärung arbeiten und nichts anderem.

Ich werde immer gebeten, zu sagen, weshalb man, wenn bis 25 das Gehirn wächst, nicht ab 25 legalisiert: weil wir dann gerade die besonders gefährdete Gruppe der 18- bis 25-Jährigen dem Schwarzmarkt überlassen würden. Das ist eine Scheinlösung. Damit würden wir das Problem nicht lösen.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der Linken – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Hören Sie sich eigentlich selber zu? – Zuruf des Abg. Alexander Dobrindt [CDU/CSU])

Ich werde immer wieder gefragt: Weshalb diese großen Mengen? Weshalb drei Pflanzen? Ist das nicht viel zu viel? Oder: 50 Gramm pro Monat, ist das nicht viel zu viel?

(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Ein Vater von fünf Kindern erzählt so was!)

Das Ganze kann nur funktionieren, wenn wir dem Schwarzmarkt ein Angebot entgegensetzen und keine Scheinlösung anbieten.

(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: So was nennt sich Gesundheitsminister! Schämen Sie sich!)

Wir dürfen nicht legalisieren, ohne auch den Anbau über Anbauvereine und den Eigenbedarfsanbau zu erlauben; denn sonst hätten wir das gemacht, was in Holland nicht geklappt hat,

(Simone Borchardt [CDU/CSU]: Da hat es doch schon nicht geklappt!)

wir hätten legalisiert und den Schwarzmarkt behalten. Das wäre die schlechteste Kombination, die wir machen könnten.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der Linken – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Die schlechteste ist, was Sie wollen!)

Und schließlich: Natürlich nehme ich die viele Kritik wahr, die es daran gibt, dass das kontrolliert werden muss. Das ist ein riesiger Aufwand; das gebe ich zu. Die Kontrolle ist keine Kleinigkeit.

(Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Wer macht das denn? – Gegenruf der Abg. Simone Borchardt [CDU/CSU]: Die Länder! – Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Eine Scheinlösung!)

Aber was passiert denn jetzt? Jetzt haben wir 180 000 Verfahren pro Jahr. Wir haben Kontrolle. Wir kriminalisieren junge Leute, denen wir das Leben zerstören, weil wir sie nicht vor dem Schwarzmarkt und dem Drogenhandel geschützt haben.

(Zuruf der Abg. Dorothee Bär [CDU/CSU])

Wir haben diese Menschen ins offene Messer laufen lassen und bestrafen sie dann noch mit Vorstrafen, die ihr Leben vernichten können. Das ist falsch.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der Linken)

Lassen Sie uns nach vorne blicken! Das ist ein Thema für aufgeklärtes Denken. Ich möchte mich ausdrücklich bedanken für die ausgezeichnete Diskussion, die wir in der Ampel gehabt haben. Da ist tabulos ernsthaft diskutiert worden. Das ist niemandem leichtgefallen. Aber ich glaube, wir haben hier gemeinsam viel bewirkt. Bitte stimmen Sie für diese dringend notwendige Modernisierung unserer Cannabispolitik!

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der Linken – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Unfassbar! Eine Psychose zerstört das Leben!)

Ich habe zwei Kurzinterventionen vorliegen, von Frau Dr. Baum und von Tino Sorge.

Frau Dr. Baum, Sie dürfen beginnen. – Herr Minister, Sie haben dann die Möglichkeit, darauf zu antworten.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7607758
Wahlperiode 20
Sitzung 155
Tagesordnungspunkt Cannabisgesetz
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