Maja WallsteinSPD - Aktuelle Stunde - Schutz der Meinungsfreiheit vor staatlichen Übergriffen
Hochgeschätzte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher! Schön, dass Sie da sind! Man hört immer wieder von Szenarien, die eintreffen, wenn die extreme Rechte in politische Verantwortung kommt. Aber die extremen Rechten sitzen bereits jetzt im Parlament. Sie stellen bereits jetzt gewaltbereite Rechtsextremisten als Mitarbeiter in den Landtags- und Bundestagsbüros ein.
(Martin Reichardt [AfD]: In Ihrem Linksblock! Da war Christian Klar angestellt! Muss man ja mal sagen!)
Sie haben Zugang zu sensiblen Informationen und nutzen diese, um den politischen Gegner schon jetzt mit Gewalt auszuschalten.
All das passiert schon längst, und Sie brüsten sich damit wie bei dem Treffen in Potsdam. Sie sitzen im Parlament und lachen höhnisch. Sie machen unsere Demokratie verächtlich, beschimpfen Journalistinnen und Journalisten, und Sie überschreiten jede Form des Anstands.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Martin Reichardt [AfD]: Gucken Sie sich doch mal die Äußerungen gegen uns an! Sie überschreiten doch jede Form des Anstands!)
Und das hat Auswirkungen auf uns alle – im Alltag, in unseren Gesprächen und im Internet. Worte sollen verletzen. Und wir erleben es immer wieder: Aus Worten werden Taten. Hier wird eine Abgeordnete, die mit ihren Kindern unterwegs ist, angeschrien und attackiert,
(Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)
da wird der Ehrenamtliche bedroht und körperlich angegriffen. Lehrerinnen und Lehrer, die rechtsextreme Umtriebe monieren, werden bedroht, und Funktionäre der extremen Rechten nennen das dann „bürgerschaftliches Engagement“.
Veranstaltungen müssen abgesagt werden, weil sie blockiert werden. Dialogbereitschaft? Selten.
(Martin Reichardt [AfD]: Waren Sie in Münster? Das ist doch Doppelmoral par excellence, was Sie da erzählen!)
Die gesellschaftlichen Debatten sind zum Teil keine mehr; denn Debatte setzt voraus, dass beide Seiten einander zuhören. Die extreme Rechte will, dass wir uns weiter voneinander entfernen.
(Martin Reichardt [AfD]: Das ist nicht die extreme Rechte! – Gegenruf des Abg. Dr. Jens Zimmermann [SPD]: Sie scheinen sich ja extrem angesprochen zu fühlen! – Gegenruf des Abg. Martin Reichardt [AfD]: Ja, ich war in Münster! Ich wäre fast zusammengeschlagen worden! Stimmt! Von Ihren Demonstranten!)
Entschuldigung!
Können Sie die Zeit anhalten?
Ja.
Danke.
Wir führen hier keine Dialoge außerhalb der Rede der Rednerin, der Kurzinterventionäre oder der Fragesteller. – Das ist jetzt die letzte Rednerin, Herr Reichardt. Ich habe Sie vorhin deutlich ermahnt!
Führen Sie jetzt bitte Ihre Rede zu Ende. Sie sind die letzte Rednerin, und dann beschließen wir diese Debatte.
Ich danke Ihnen, Frau Präsidentin, und möchte fortfahren. – Wir werden immer wieder gefragt, warum wir die Menschen nicht überzeugen können, die AfD wählen, aber noch kein geschlossenes rechtsextremes Weltbild haben. Ich denke, weil es ein Trugschluss ist, zu glauben, Informationen würden ausreichen. Es reicht nicht mehr, Argumente herauszuarbeiten und Lügen zu widerlegen. Wir wissen aus der DIW-Untersuchung „Das AfD-Paradox“, dass jene, die die AfD wählen, am meisten unter dem Programm der AfD leiden würden. Es reicht nicht mehr, nur gute Politik – ob als Regierung oder in der Opposition – zu machen und diese dann gut zu erklären; denn viele Menschen erreichen wir oft gar nicht mehr. Sie haben ihre eigenen Informationskanäle. Ich stelle mir diesen zwischenmenschlichen Zustand vor wie eine Glastür zwischen zwei Menschen, die geschlossen ist: Wir sehen uns gegenseitig, wenn wir miteinander reden, aber die Glastür sehen wir nicht. Und darum wundern wir uns, warum unsere Botschaften nicht ankommen.
Ich weiß über Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union bis zur Linkspartei, dass Sie in Ihren Wahlkreisen viel unterwegs sind, auf unterschiedliche Art und Weise, aber immer mit dem Interesse an den Menschen, für die Sie gewählt sind. Im Grunde arbeiten Sie dabei daran, die Glastür zu öffnen. Das mache ich auch. Ich laufe jedes Jahr zu Fuß durch jeden Ort meines Wahlkreises in der Lausitz, jedes Jahr mehr als 500 Kilometer – ein Wahlkreis, in dem ich nur mit 2 Prozent Abstand vor der AfD gewonnen habe, und nicht wegen mir, sondern weil sich viele Menschen bewusst gegen die AfD entschieden haben.
(Dr. Götz Frömming [AfD]: Und nicht für Sie?)
Und das weiß ich, und das macht mich demütig.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Natürlich begegnen mir logischerweise viele Menschen, die die Glastür zugemacht haben und die mir entgegenbellen: Ich sage es Ihnen so, wie es ist; ich habe das letzte Mal die AfD gewählt. – Aber ich gehe nicht weg. Ich rede in einem Dorf mit einer Person vielleicht eine Stunde, vielleicht zwei.
Ein Beispiel: In einem Ort nah der deutsch-polnischen Grenze begegnete mir ein Mann, der mich mit meinem Bollerwagen kritisch beäugte. Ich sprach ihn an und fragte, was im Dorf die wichtigsten Themen seien. Und sofort schimpfte er, dass es die Ausländer seien, die stehlen würden. Schon einige seiner Nachbarn seien Opfer „der Ausländer“ geworden, und er fürchte, er sei der Nächste, denn auch er habe eine Vespa in der Garage. Ich hörte ihm zu und bekam das typische Bild eines fremdenfeindlichen älteren Mannes serviert. Doch weil ich mich nicht abwandte und ihm sehr lange zuhörte, öffnete er sich mir. So erfuhr ich, dass es die Vespa war, mit der seine Frau jeden Tag zur Arbeit gefahren ist. Sie starb vor ein paar Jahren. Die Angst, auch noch einen Teil ihres Andenkens zu verlieren, trieb ihn um, und ich konnte es ihm sofort nachempfinden. Der Ton des Gesprächs änderte sich schlagartig, weil wir beide einen kleinen gemeinsamen Nenner gefunden und eine Beziehung aufgebaut hatten. Ich habe viel von ihm gelernt. Und ihm wurde bewusst: Er fürchtet nicht „die Ausländer“; er fürchtet Kriminelle. Wir müssen uns erlauben, in ein Gespräch zu gehen mit der Einstellung: Es könnte sein, dass mein Gegenüber recht hat.
Bei aller Bereitschaft, mich auf mein Gegenüber einzulassen, werde ich es niemals an Haltung fehlen lassen. Es bringt nichts, den Menschen nach dem Mund zu reden und mit ihnen gemeinsam über „die da oben“ zu schimpfen und sich gleichzeitig von „den anderen Politikern“ abzugrenzen.
(Beifall der Abg. Franziska Mascheck [SPD] und Erhard Grundl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Die demokratischen Kontrahentinnen und Kontrahenten zu beschimpfen und zu erklären: „Also, die anderen, die können das nicht“, das hilft nur den Antidemokraten. Wenn die Bürger mir dann sagen: „Ja, Sie sind ja anders, Frau Wallstein, Sie kümmern sich“, dann sage ich, dass ich weiß, dass viele hier im Haus unterwegs sind.
Haltung zeigen ist dabei aber nicht nur gegenüber den kritischen Menschen notwendig. Es hilft auch der jungen Frau, die mit ihrem französischen Mann aus Berlin zurück in meinen Wahlkreis gezogen ist. Sie fühlt sich mit ihren weltoffenen Ansichten manchmal sehr allein, weil die Nachbarn eben „anders unterwegs“ sind. Für sie war es motivierend, mich zu treffen und zu wissen, dass ihre direkt gewählte Abgeordnete klare Haltungen hat und diese auch offen vertritt. Und darum geht es: Demokratinnen und Demokraten zu stärken.
Das schulden wir Abgeordneten euch – euch, die ihr die Mehrheit da draußen seid und in den letzten Tagen und Wochen auf die Straßen gegangen seid.
(Martin Reichardt [AfD]: In Münster!)
Ihr seid toll. Ihr seid so verschieden. Und dennoch eint euch, dass ihr für unsere Demokratie Haltung zeigt. Ihr lasst euch nicht von denen, die die Demos verächtlich machen, abschrecken. Ihr macht denen Angst, und vielen anderen macht ihr Mut. Dafür sage ich im Namen aller Demokratinnen und Demokraten: Vielen Dank!
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7607830 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 155 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde - Schutz der Meinungsfreiheit vor staatlichen Übergriffen |