14.03.2024 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 157 / Tagesordnungspunkt 6

Gero Clemens HockerFDP - Bürgergutachten des Bürgerrats "Ernährung im Wandel"

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Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist das Wesen einer Koalition, dass man Kompromisse macht. Und ich gebe gerne zu Protokoll, dass die Einrichtung dieses Bürgerrates für uns ein Kompromiss gewesen ist – nicht aus Misstrauen gegenüber den Menschen, die daran dankenswerterweise teilgenommen haben, sondern weil wir der Überzeugung sind, dass unsere parlamentarische repräsentative Demokratie in der Lage ist, Lösungen herbeizuführen, und weil wir der festen Überzeugung sind, dass es kein besseres politisches System gibt.

Es dauert manchmal etwas länger, weil Kompromisse gefunden werden müssen, weil Menschen beteiligt werden, weil individuell mit einzelnen Betroffenen gesprochen wird, weil mit Verbänden diskutiert wird. Aber das ist keine Schwäche des Systems, sondern gerade Ausdruck dessen, dass eine breite Beteiligung erfolgt, meine sehr verehrten Damen und Herren. Und das sollten wir als selbstbewusste Parlamentarier auch zum Ausdruck bringen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Peggy Schierenbeck [SPD])

Ich fahre regelmäßig mit dem Zug; ich sehe mich aber nicht in der Lage, besser als Experten darüber zu urteilen, wie man es hinbekommt, dass alle Züge pünktlich sind. Menschen, die in einem Haus wohnen, können dieses Haus noch lange nicht selber entwerfen oder es gar bauen. Und wenn Menschen krank sind, werden sie nicht dadurch zum Arzt. Und, meine sehr geehrten Damen und Herren, weil jemand isst und trinkt, weiß er oder sie deswegen nicht besser, wie hochwertige Lebensmittel in Deutschland erzeugt werden, als diejenigen, die das gelernt haben, die seit Jahrzehnten da draußen als Landwirte, in der Veredelungswirtschaft, im vor- und nachgelagerten Bereich genau dies leisten. Auch das gehört dazu: dass ein Parlament das selbstbewusst erkennt, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP)

Im Gegenteil, je komplexer ein Vorgang und je arbeitsteiliger er ist, umso schwieriger ist er für den Einzelnen durchschaubar. Ich habe schon den Eindruck, dass einige Forderungen und Formulierungen, die bei dem Expertenrat getroffen wurden, dann doch ein bisschen einem Wünsch-dir-was entsprechen.

Ich gebe drei Beispiele:

Kostenloses Mittagessen für Kinder in Kindertagesstätten. Das würde bedeuten, dass diejenigen, die kinderlos sind, mit ihren Steuergeldern die Mittagessen der Kinder von Eltern bezahlen, die vielleicht Rechtsanwalt sind, die vielleicht Ärztin sind oder Bundestagsabgeordnete. Ich sage Ihnen ganz ausdrücklich: Das hielte ich für unfair.

(Beifall bei der FDP – Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Amira Mohamed Ali [BSW])

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gehört dazu, sich so kritisch mit solchen Vorschlägen auseinanderzusetzen, wenn man sie ernst nimmt.

Zweites Beispiel. Abgelaufene Lebensmittel, die noch genießbar sind, sollen verpflichtend abgegeben werden. Das verkennt vollständig, dass die höchste Lebensmittelverschwendung schon lange nicht mehr im Einzelhandel passiert, weil man da Systeme etabliert hat, um am Ende des Tages möglichst wenig wegschmeißen zu müssen; die Tafeln beklagen, dass es zu wenig dieser Lebensmittel gibt.

Fast die Hälfte der Lebensmittelverschwendung erfolgt in privaten Haushalten, weil sich die Menschen nicht mehr darauf verlassen, dass sie mit ihren Sinnen – mit dem Geschmackssinn, mit dem Geruchssinn – die Entscheidung treffen können, ob ein Lebensmittel noch genießbar ist oder nicht. Wenn das Mindesthaltbarkeitsdatum nur am Horizont erscheint, werden Lebensmittel häufig genug weggeschmissen. Da müssen wir ran, meine Damen und Herren. Aber eine Verpflichtung, dass Lebensmittel im Einzelhandel am Ende des Tages abgegeben werden, hilft da leider überhaupt nicht.

(Beifall bei der FDP)

Das dritte Beispiel: höhere Tierhaltungsstandards. Ja, meine Damen und Herren, wir diskutieren seit Jahren darüber, wie man es finanzieren kann und wie groß denn tatsächlich der gesellschaftliche Wunsch nach höheren Tierhaltungsstandards ist. Was passiert, wenn sie bei Umfragen eingefordert werden, der Konsument aber nicht bereit ist, hierfür auch einen entsprechenden Preis zu bezahlen? Wir arbeiten an der Frage sehr intensiv. Eine Lösung zeichnet sich aber noch nicht ab. Ich glaube, dass es gut wäre, wenn ein solcher Rat dann tatsächlich auch viel mehr in die Tiefe einsteigen und die Praktikabilität seiner Forderungen viel mehr in den Blick nehmen würde, als an der Oberfläche solche Wünsche zu formulieren.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, unsere Demokratie steht unter Druck – von links, von rechts und auch von außen. Ich glaube, es wäre falsch, den Eindruck zu erwecken, dass zu wenig Bürgerbeteiligung gerade eine Schwäche unserer Demokratie wäre. Ich glaube, wir sind gerade in diesen schwierigen Zeiten gehalten, den Rücken geradezumachen für das System, das uns seit über 70 Jahren Frieden, Freiheit und Wohlstand in der Mitte Europas gewährt.

Vielen Dank fürs Zuhören.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Als Nächste hat das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Renate Künast.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7608341
Wahlperiode 20
Sitzung 157
Tagesordnungspunkt Bürgergutachten des Bürgerrats "Ernährung im Wandel"
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