14.03.2024 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 157 / Tagesordnungspunkt 17

Bernhard DaldrupSPD - Änderung des Gemeindefinanzreformgesetzes

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Steuerpolitik ist ja für viele Bürgerinnen und Bürger nicht ganz einfach nachzuvollziehen. Deswegen will ich ein bisschen didaktisch anfangen mit der Frage: Woher bekommen die Kommunen eigentlich ihr Geld, wie finanzieren sie sich? Da fällt einem schnell ein: erstens aus Steuern. Wir kennen die Gewerbesteuer, die Unternehmen zahlen müssen. Wir kennen die Grundsteuer, die die Grundstückseigentümer zahlen müssen. Das geht bis hin zu Bagatellsteuern wie der Hundesteuer beispielsweise. Das alles sind kommunale Steuern.

(Norbert Kleinwächter [AfD]: Viel zu viele Steuern!)

Damit die Kommunen nicht allein von diesen Steuern abhängig sind und damit nicht starke Kommunen viel und andere Kommunen wenig bekommen, müssen die Kommunen einen Teil dieser kommunalen Steuereinnahmen abgeben, und zwar an Bund und Länder; bei der Gewerbesteuer ist das die sogenannte Gewerbesteuerumlage. Im Gegenzug werden die Kommunen an Steuern beteiligt, die Bund und Länder bekommen, beispielsweise an der Einkommensteuer – Herr Tebroke hat darauf hingewiesen – oder auch an der Umsatzsteuer. Das ist grundsätzlich ein gutes System, weil es einerseits die eigenen Einnahmen sichert und andererseits die kommunalen Finanzen stabilisiert, ohne sie allein von der Konjunktur abhängig zu machen.

Für die Verteilung des Einkommensteueraufkommens an die Kommunen braucht es Maßstäbe, und die setzt das Gemeindefinanzreformgesetz, dessen neuntes Änderungsgesetz wir heute verabschieden, fest.

Der Gemeindeanteil an der Einkommensteuer wird von jedem Bundesland nach einem einheitlichen Verteilungsschlüssel auf die einzelnen Gemeinden aufgeteilt. Der Schlüssel, also die Höchstbeträge, nach denen sich die Verteilung ergibt, stützt sich auf Modellrechnungen des Statistischen Bundesamtes. Die kann man problematisieren – Herr Tebroke hat es gemacht; nichts dagegen –, aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt haben wir sie zugrunde zu legen.

Diese Höchstbeträge werden mit diesem Gesetz angepasst. Warum werden sie angepasst? Weil sich die Gehälter entwickelt haben, müssen ebenso, wie die Einkommensteuerleistungen der Bürger steigen, auch die Höchstgrenzen angepasst werden. Das ist zuletzt im Jahre 2012 geschehen, obwohl es eigentlich alle drei Jahre hätte passieren müssen. Insofern sind die systematischen Bemerkungen, Herr Tebroke, schon richtig. Das sollte man zukünftig tatsächlich zeitnäher machen. In der Vergangenheit ist das etwas lax gehandhabt worden – von denjenigen, die dafür zuständig gewesen sind, sage ich jetzt einfach mal.

(Beifall bei der SPD und der FDP – Zuruf von der CDU/CSU: Scholz war Finanzminister!)

– Ich kenne noch mehr, die in den letzten zwölf Jahren zuständig waren.

(Nina Warken [CDU/CSU]: Das war ein Eigentor!)

Ihr müsst immer erst denken und dann reden; das ist die Reihenfolge.

Also: Die Höchstbeträge für die Verteilung der Einkommensteueranteile auf die Gemeinden werden von derzeit 35 000 auf 40 000 Euro für einzeln veranlagte Steuerpflichtige und von 70 000 auf 80 000 Euro für zusammen veranlagte Ehepaare angepasst. Dadurch entsteht – ein Stück weit jedenfalls – mehr Steuergerechtigkeit zwischen großen und kleinen Gemeinden.

Und weil das eher eine statistische Angelegenheit ist – darauf ist eben schon hingewiesen worden, auch von Markus Herbrand –, sind die meisten Länder mit dieser Neuregelung explizit einverstanden. Es gibt nur drei Bundesländer, die sich kritisch geäußert haben. Mit anderen Worten: Das, worüber wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt reden, ist kein wirkliches Politikum.

Dennoch stellt sich die Frage, ob diese Anpassung allein der zunehmend prekären finanziellen Situation vieler Kommunen gerecht wird. Denn anders als in früheren Jahren schließen die Kommunen gegenwärtig mit einem negativen Saldo ab, im letzten Jahr beispielsweise mit einem negativen Saldo von 9 Milliarden Euro. Sie laufen also in die Verschuldung, und das wird in den kommenden Jahren nicht besser. Gleichzeitig steigt der Investitionsbedarf der Kommunen auf 170 Milliarden Euro im Jahr, und es wachsen die Sozialausgaben bei gleichzeitig neuen Kosten, Stichworte „Klimawandel“, „Integration“, „Digitalisierung“, um nur einige Beispiele zu benennen. Wir brauchen eben auch Wachstumsimpulse von den Kommunen. Das müssen sich die Herren Güntzler und Brehm, wenn sie über Wachstumspolitik reden, noch mal hinter die Ohren schreiben; das ist schon mal wichtig.

Der Bund hilft zweifellos in dieser Lage, mit ganz vielen Programmen, wie der Städtebauförderung in Höhe von 790 Millionen Euro. Auf eine ganze Zahl von Beispielen wird meine Kollegin Frauke Heiligenstadt gleich noch eingehen. Der Bund hilft jedenfalls sehr viel mehr, als es nach Auffassung des Bundesrechnungshofes der Fall sein dürfte; er weist immer wieder auf die Verantwortung der Länder für die Kommunalfinanzen hin. Die Förderprogramme allein sind jedenfalls nicht hinreichend, wenn es um eine aufgabengerechte Grundfinanzierung der Kommunen geht.

Die Lösung besteht meines Erachtens nicht im Verschiebebahnhof zwischen Bund und Ländern oder darin, mit dem Finger aufeinander zu zeigen. Die kommunalen Spitzenverbände in allen Bundesländern kritisieren die unzureichende Kommunalfinanzierung gegenüber ihren Landesregierungen, übrigens auch in Bayern – bevor hier noch etwas anderes behauptet wird.

(Heiterkeit des Abg. Markus Herbrand [FDP])

Mein eigenes Bundesland, Nordrhein-Westfalen, fällt dabei besonders negativ auf.

(Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Lange SPD-regiert!)

Sie alle kennen das Altschuldenthema. Unablässig weigert sich die Union im Bundestag, den Weg für eine Grundgesetzänderung freizumachen.

(Matthias Hauer [CDU/CSU]: Wo ist denn Ihr Vorschlag? Sie haben ja gar keinen Vorschlag gemacht!)

Noch schlimmer ist, ehrlich gesagt, die Tatenlosigkeit der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen in dieser Frage.

(Zuruf des Abg. Matthias Hauer [CDU/CSU])

– Herr Hauer, zuhören! – Ich will mal ein weniger populäres Thema ansprechen: die Eingliederungshilfe, also die Kosten der Integration von Menschen mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen. Seit 2018 hilft der Bund mit jährlich 5 Milliarden Euro bei der Finanzierung der Eingliederungshilfe, während die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen die Hände in den Schoß legt und nichts macht. In der gleichen Zeit sind die Kosten für die Eingliederungshilfe von 13,7 Milliarden in 2012 auf 23,2 Milliarden Euro in 2022 gestiegen – alles nur kommunal finanziert in Nordrhein-Westfalen. Es ist schon eine besondere Dreistigkeit, wie sich die Kommunalministerin, wie sich das Land Nordrhein-Westfalen mit einer Bundesratsinitiative zu Wort meldet und den Bund zu einer Erhöhung der Bundesbeteiligung auffordert, während das Land Nordrhein-Westfalen selber da nichts tut.

(Leni Breymaier [SPD]: Unglaublich! – Nadine Heselhaus [SPD]: Unglaublich!)

– Jawohl.

Zurück zum Gemeindefinanzreformgesetz. Die Ampelfraktionen sind der Auffassung, dass die Grundfinanzierung tatsächlich auf den Prüfstand gehört. Ich bin dem BMF sehr dankbar, dass es zugesagt hat, diese Fachkonferenz zu veranstalten. Wir wollen auch über die Kriterien der kommunalen Umsatzsteuerverteilung reden. Und wir wollen auch über die Höhe der Gewerbesteuerumlage reden.

(Zuruf des Abg. Matthias Hauer [CDU/CSU])

Im Zeitraum von 1991 bis 2018 haben westdeutsche Kommunen durch eine erhöhte Gewerbesteuerumlage mehrere Hundert Millionen Euro pro Jahr zur Finanzierung des Fonds „Deutsche Einheit“ beigetragen. Das war ein Akt von interkommunaler Solidarität in der Bundesrepublik Deutschland. Die Frage, wie Bund und Länder sich in der jetzigen Situation solidarisch gegenüber den Kommunen verhalten könnten, sollte Thema dieser Konferenz sein. Ich fände es jedenfalls ausgesprochen gut, wenn das gelingen würde.

Sie sehen, es gibt eine ganze Reihe Themen, die man noch behandeln müsste. Jetzt läuft meine Redezeit hier ab.

(Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Ist nicht schlimm!)

Deswegen will ich mich noch bei meinen Kollegen Markus Herbrand und Stefan Schmidt für die gute Zusammenarbeit bei der Bearbeitung des Gesetzentwurfs bedanken. Er bringt ein Stück mehr Gerechtigkeit in die Kommunalfinanzierung.

Jetzt ist die Zeit langsam abgelaufen.

Wir als Ampel sind an der Seite der Kommunen; das wissen Sie.

(Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Das ist mir neu!)

Dass die Union mitmacht, freut mich sehr.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Vielen Dank. – Der nächste Redner ist Albrecht Glaser für die AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7608608
Wahlperiode 20
Sitzung 157
Tagesordnungspunkt Änderung des Gemeindefinanzreformgesetzes
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