Carmen WeggeSPD - Internationaler Frauentag
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Sehr geehrte Frauen! Wie häufig habe ich, habt ihr diesen Satz schon gehört: Frauen sind doch gleichgestellt in Deutschland, das steht doch im Grundgesetz. – Ich habe diesen Satz sehr häufig gehört, und oft ist er der Startpunkt einer Debatte mit Menschen, die das auch wirklich glauben. Wir Frauen wären in Deutschland gleichberechtigt, hätten die gleichen Chancen, unsere Träume und Ziele zu erreichen, die gleichen Chancen wie Männer.
Aber, liebe Frauen, wir wissen doch, dass das nicht stimmt. Wir müssen härter arbeiten. Wir müssen mehr arbeiten. Wir müssen uns verbiegen, um unsere Ziele und Träume zu erreichen. Ja, manche von uns hatten bessere Startchancen als andere. Aber ich will es mit den Worten der Schriftstellerin und Aktivistin Audre Lorde sagen: „Ich bin nicht frei, solange noch eine einzige Frau unfrei ist, auch wenn sie ganz andere Fesseln trägt als ich.“
Und diese Aussage, die gilt auch für mich. Ich bin nicht frei, solange es Frauen gibt, die in einer der schwersten Situationen ihres Lebens, einem Schwangerschaftskonflikt, vor Beratungsstellen und Kliniken von religiösen Fanatikerinnen und Fanatikern bedrängt und beleidigt werden.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP und des Abg. Ralph Lenkert [Die Linke])
Ich bin nicht frei, solange es Menschen gibt, die denken, die Strafbarkeit für Frauen bei einem Schwangerschaftsabbruch würde einen gesellschaftlichen Kompromiss darstellen, den wir nicht aufkündigen können. Das Selbstbestimmungsrecht der Frau zu stärken, das ist das, was Frauen in dieser Gesellschaft wollen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Frau Wegge, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder Zwischenbemerkung von Frau Bär?
Gerne.
Frau Bär, Sie haben das Wort.
Vielen herzlichen Dank, Frau Kollegin Wegge, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ich finde es sehr beeindruckend und sehr schön von Ihnen, dass Sie sagen, dass Sie selber nicht frei sind, wenn es Frauen schlecht geht. Dafür danke ich Ihnen sehr.
Deswegen einfach nur die kurze Frage: Sind Sie dann beispielsweise mit Ihrer Kollegin Leni Breymaier und anderen aus Ihrer Fraktion auch für unseren Antrag „Menschenunwürdige Zustände in der Prostitution beenden“ und unterstützen unseren Weg?
(Beifall bei der CDU/CSU)
Sehr geehrte Frau Bär, ich bin selbstverständlich bereit, Ihren Antrag zu diskutieren; denn ich glaube, im Bereich der Sexarbeit gibt es viele Frauen, die unfrei sind, die ausgebeutet werden und dort in menschenunwürdigen Verhältnissen sind. Deswegen bin ich gerne bereit, über Ihren Antrag zu diskutieren, und ich finde es auch gut, dass Sie ihn stellen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Es gibt noch viel mehr Gründe, warum ich nicht frei bin. Denn ich bin nicht frei, solange Jugendämter und Familiengerichte nicht wissen, was die Istanbul-Konvention ist und Frauen und ihre Kinder immer wieder in einen retraumatisierenden und erzwungenen Umgang mit Gewalttätern schicken. Ich bin nicht frei, solange Männer denken, dass Frauen hinter den Herd gehören und Kinder zu bekommen haben. Ich bin nicht frei, solange Frauen dafür sterben müssen, wenn sie sich dafür entscheiden, ihr Kopftuch nicht mehr zu tragen. Ich bin nicht frei, solange sogenannte Frauenberufe immer noch schlechter bezahlt werden. Ich bin nicht frei, solange das Gesicht von Altersarmut immer noch weiblich ist. Und ich sage auch eins: Ich bin nicht frei, solange queere Menschen in unserer Gesellschaft nicht auch frei sind. Wenn jemand zusammenhalten muss, dann sind das ja wohl wir.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Und letztendlich bin ich genau hier, an diesem Ort, in diesem Plenum, auch nicht frei. Ich bin nicht frei, weil hier in diesem Hohen Hause 109 Frauen fehlen, 109 Frauenstimmen, 109 Frauenperspektiven, 109 Plätze, die uns Frauen zustehen würden, wenn wir wirklich die Hälfte der Macht haben würden.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Liebe Frauen, lasst uns gemeinsam dafür sorgen, dass wir irgendwann frei sein werden – mit gleichen Chancen für Träume und Ziele, mit dem gleichen Recht, Fehler zu machen, mit der Gewissheit, dass auch deine und unsere Stimme zählt. Dafür braucht es Mut. Dafür braucht es den Willen, nicht aufzugeben. Ich habe den. Ihr auch? Frauen, Leben, Freiheit!
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7608710 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 158 |
Tagesordnungspunkt | Internationaler Frauentag |