20.03.2024 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 159 / Tagesordnungspunkt 2

Friedrich MerzCDU/CSU - Regierungserklärung zum Europäischen Rat

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ausführungen zur deutschen Rentenpolitik im Zusammenhang mit einer Regierungserklärung des deutschen Bundeskanzlers zum Europäischen Rat sind eine offensichtlich ungeplante Abweichung von einem Redemanuskript,

(Anke Hennig [SPD]: Das wollt ihr nicht hören, ne?)

die wohl ausschließlich dem Ziel diente, eine gewisse emotionale Zustimmung in den eigenen Reihen zu einem Thema zu finden, das ansonsten nur noch rein rationalen Beifall bei Ihnen auslöst.

(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Machen Sie sich mal keine Sorgen über die Zustimmung!)

Herr Bundeskanzler, das Treffen der Staats- und Regierungschefs morgen und übermorgen in Brüssel findet statt in einer Zeit – Sie haben das richtig beschrieben – anhaltender Konflikte auf der Welt und sehr großer Verunsicherung in den Ländern der Europäischen Union. Neben der Lage im Nahen Osten und dem Krieg in der Ukraine werden Sie auch eine Bestandsaufnahme zur Sicherheitspolitik und zur Verteidigungsfähigkeit auf der Tagesordnung sehen.

Die Wahlen in den USA werfen ihre Schatten voraus; denn wir alle ahnen ja, dass Amerika – ganz unabhängig davon, wer im nächsten Jahr im Weißen Haus sitzen wird – darauf drängen wird, dass wir mehr für unsere eigene Verteidigung und für die Verteidigung des Bündnisses tun müssen. Und in der Tat – Sie haben das richtig beschrieben –: Die europäischen NATO-Staaten sind herausgefordert, nicht nur zu einer besseren Zusammenarbeit, sondern auch zur Erbringung eines wesentlich höheren finanziellen Beitrags.

Lassen Sie mich das einmal in Zahlen zum Ausdruck bringen: Die europäischen NATO-Staaten tragen gegenwärtig nur knapp ein Drittel der Gesamtverteidigungsausgaben der NATO; zwei Drittel zahlen die USA. Nimmt man von den europäischen NATO-Staaten nur diejenigen, die zugleich auch Mitglieder der Europäischen Union sind, dann liegt unser Anteil an den Verteidigungsausgaben der NATO bei gerade mal einem knappen Viertel, genau bei 23 Prozent. Herr Bundeskanzler, Zusammenarbeit und höhere Stückzahlen allein werden das Problem nicht lösen. Wir brauchen auch in Deutschland höhere Verteidigungsausgaben; und dazu haben Sie in Ihrer Regierungserklärung nichts gesagt.

(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Saskia Esken [SPD])

Stattdessen haben Sie ausführlich zur Rentenpolitik gesprochen. Man hat eine Ahnung, worauf die Verteilungskonflikte in Ihrer Koalition hinauslaufen.

(Zurufe von der SPD)

Wir alle wissen: Das kann nicht so bleiben. Auch der Verteidigungsetat in Deutschland muss aufwachsen.

Was machen Sie denn, wenn morgen oder übermorgen Ihre Kolleginnen und Kollegen im Europäischen Rat Sie fragen, welche Planung die Bundesrepublik Deutschland, Ihre Regierung, denn für den Haushalt 2025 und für die mittelfristige Finanzplanung der darauffolgenden Haushalte hat, was die Verteidigungsausgaben in Deutschland betrifft? Sie werden darauf mehr als das, was Sie hier heute von diesem Pult aus gesagt haben, sagen müssen. Sie werden eine konkrete Antwort geben müssen, und Sie können dann nicht weiter so im Ungefähren einer besseren politischen Zusammenarbeit in Europa bleiben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie werden sich – das steht auf der Tagesordnung, im Gegensatz zur deutschen Rentenpolitik – über die Beziehungen der Europäischen Union zum NATO-Mitglied Türkei austauschen. Dabei werden auch Fragen der Flüchtlingspolitik eine Rolle spielen. Meine Damen und Herren, die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen ist am letzten Wochenende zusammen mit drei Ministerpräsidenten – mit den Ministerpräsidenten aus Italien, Griechenland und Belgien – in Ägypten gewesen, um dort ein Migrations- und Wirtschaftsabkommen der EU zu verhandeln. Herr Bundeskanzler, was ist Ihre Meinung, wenn Sie schon nicht mitgereist sind, zu diesem Abkommen? Und was halten Sie davon, dass man mit Ägypten ein solches kombiniertes Abkommen – Wirtschaft und Migration – macht?

Übrigens – Fußnote an dieser Stelle –: Sie haben hier die gemeinsame europäische Asylpolitik gelobt und gesagt, das sei nun alles so gut wie fertig. Etwas Ähnliches haben wir hier schon am 31. Januar von Ihnen gehört. Als wir das bezweifelten, haben Sie sich darüber lustig gemacht und gesagt: Wir sollten doch mal die Zeitung lesen, dann wüssten wir auch, wie weit Sie mit der Bezahlkarte im deutschen Asylbewerberleistungsrecht wären.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Bundeskanzler, wenn ich die Zeitungen der letzten Tage richtig lese, dann sind Sie überhaupt noch keinen Schritt weitergekommen, weil die Fraktion der Grünen mal wieder blockiert und Sie eben nicht das verabschiedet und auf den Weg gebracht haben, was sie schon am 6. November des letzten Jahres mit den Ministerpräsidenten vereinbart hatten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Matthias Helferich [fraktionslos] – Saskia Esken [SPD]: Ist kein Thema beim Europäischen Rat! – Zuruf der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Sie werden über die Lage in Israel beraten. Ich will es ausdrücklich sagen: Wir sind uns einig, dass wir in Deutschland fest an der Seite Israels stehen müssen und weiter stehen werden im Kampf gegen den Terror der Hamas und der Hisbollah. Wir sind uns auch darüber einig, dass Israel eine Verantwortung trägt, auch für die humanitäre Lage im Gazastreifen. Ich hoffe, dass wir uns hier im Haus einig bleiben in dem, was wir nach dem 7. Oktober des letzten Jahres mit besonderem Nachdruck gesagt haben, dass wir nämlich jede Form des Antisemitismus in Deutschland gemeinsam bekämpfen wollen. – Ja, Frau Faeser, Sie nicken. Ich teile das, was Sie zum Ausdruck bringen wollen; aber warum bringen Sie es in Ihrer Koalition eigentlich bis heute nicht fertig, mit uns einen gemeinsamen Entschließungsantrag in den Deutschen Bundestag einzubringen zum Antisemitismus in den deutschen Kultureinrichtungen, in den Universitäten und im Kunstbetrieb der Bundesrepublik Deutschland?

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir sind seit Wochen darum bemüht, mit Ihnen zu diesem Thema einen Konsens zu finden, und das scheitert an dem Streit in Ihrer Koalition, nicht an uns.

(Zurufe von der SPD)

Und dann schließlich die Ukraine. Ja, seit mehr als zwei Jahren beschäftigen Sie sich auf den Tagungen des Europäischen Rats vor allem mit diesem Thema. Die Debatte allerdings, die über den Ukrainekrieg in Deutschland geführt wird, wird, meine Damen und Herren, nicht nur in Deutschland beachtet. Die findet in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union hohe Beachtung,

(Saskia Esken [SPD]: Ja, das sollten Sie einmal bedenken!)

sie findet außerhalb der Europäischen Union hohe Beachtung, und vor allem wird sie in Moskau sehr genau verfolgt.

Herr Kollege Mützenich, Sie haben uns von dieser Stelle aus in der letzten Woche hier eine Frage gestellt.

(Anke Hennig [SPD]: Schäbig! Sehr, sehr schäbig!)

„Ist es“

– so haben Sie gefragt –

„nicht an der Zeit, dass wir nicht nur darüber reden, wie man einen Krieg führt, sondern auch darüber nachdenken, wie man einen Krieg einfrieren und später auch beenden kann?“

Das Protokoll des Deutschen Bundestages verzeichnet:

„Beifall bei der SPD, der Linken und dem BSW sowie bei Abgeordneten der AfD und des Abg. Robert Farle …“

(Zuruf von der CDU/CSU: Wie peinlich! – Zurufe von der SPD)

Da haben Sie sich ja in eine feine Gesellschaft begeben mit dem, was Sie hier am letzten Donnerstag gesagt haben!

(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD)

Zugleich – Sie werden es natürlich von hier aus bemerkt haben –: eisiges Schweigen bei den Grünen, eisiges Schweigen bei der FDP, entsetztes Kopfschütteln bei der Bundesaußenministerin auf der Regierungsbank.

(Zuruf der Abg. Anke Hennig [SPD])

Wenige Minuten vor Herrn Mützenich hatte uns die Kollegin Brugger aus der Grünenfraktion gesagt:

„Zur vollen Wahrheit gehört: Auch Zögern und Zaudern kann am Ende zur Eskalation beitragen.“

(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Da hat sie recht!)

„Denn wenn wir“

– so sagt sie es weiter –

„dem skrupellosen Kriegsverbrecher Putin signalisieren, dass wir Angst haben, dass wir streiten, dass wir uns seiner Erpressung beugen, und dann zu wenig tun, dann kann auch Wladimir Putin zur Auffassung kommen, immer einen noch brutaleren Schritt weiterzugehen.“

(Christian Petry [SPD]: Das machen Sie doch gerade! Was ist denn das für eine Logik? Sie spielen ihm doch in die Hände! – Zuruf der Abg. Rasha Nasr [SPD])

Schweigen und eisiges Schweigen bei den Sozialdemokraten bei dem, was Sie in der letzten Woche von der Kollegin Brugger gehört haben.

Herr Bundeskanzler, was fällt Ihnen ein zu dieser Auseinandersetzung in Ihrer Koalition? Sie haben ebenfalls schweigend auf der Regierungsbank gesessen, haben aber gestern bei einer Konferenz hier in Berlin zum Besten gegeben – wörtliches Zitat –:

(Zuruf von der SPD: Sie schaden Deutschland!)

„Die Debatte in Deutschland ist an Lächerlichkeit nicht zu überbieten.“

(Christian Petry [SPD]: Reden Sie gerade von sich selber?)

Herr Bundeskanzler, was meinen Sie mit „lächerlich“? Ist das Ihr Fraktionsvorsitzender?

(Zurufe von der SPD)

Sind das die Grünen? Ist das die FDP? Oder ist das der Zustand Ihrer Koalition, Herr Bundeskanzler?

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Gereon Bollmann [AfD] – Zurufe von der SPD)

Ich will es aus meiner Sicht hier noch einmal sagen: Friedfertigkeit kann das Gegenteil von Frieden bewirken. Einem solchen skrupellosen Kriegsverbrecher kann man nicht mit Feigheit begegnen, sondern nur mit Klarheit und Entschlossenheit.

(Beifall bei der CDU/CSU – Christian Petry [SPD]: Das ist eine üble Unverschämtheit, was Sie hier machen, Herr Merz! Eine Unverschämtheit! – Weitere Zurufe von der SPD)

Liebe Kollegen von der SPD, ich erspare Ihnen Zitate aus dem Artikel, den der Chef des Feuilletons der „FAZ“ gestern geschrieben hat. Lesen Sie den Artikel, dann wissen Sie genau, was ich hier heute von dieser Stelle aus meine!

(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD)

Die Debatte, Herr Bundeskanzler, die in Ihrer Koalition und vor allem in Ihrer eigenen Partei spätestens seit der letzten Woche geführt wird, die ist nicht lächerlich. Diese Debatte ist gefährlich. Sie ist gefährlich für den Frieden in Europa, und sie ist gefährlich für die Ukraine;

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

denn die muss den Eindruck gewinnen, als ob man gerade im deutschen Parlament Zweifel an unserer Unterstützung aufkommen lässt und zulässt, dass unterstellt wird, dass unsere Hilfe befristet ist und wir schon längst ein anderes Ziel im Auge haben.

(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD)

Meine Damen und Herren, der Bundeskanzler fährt morgen nach Brüssel als Kanzler einer Koalition in Berlin, die mittlerweile von mehreren Seiten ganz offen Ihre Autorität, Herr Bundeskanzler, herausfordert und beschädigt.

(Saskia Esken [SPD]: Träumen Sie weiter!)

Wer aber als Bundeskanzler im eigenen Land nicht in der Lage ist, eine Regierung zusammenzuhalten und zu führen, der kann auch die Führungsverantwortung nicht wahrnehmen, die in der Europäischen Union eigentlich von einem Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland zu Recht erwartet wird.

(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Saskia Esken [SPD])

Und das ist Ihr Problem, das Sie im Gepäck haben, wenn Sie morgen und übermorgen, Herr Bundeskanzler, in Brüssel sind.

(Beifall bei der CDU/CSU – Katja Mast [SPD]: Unterirdisch! – Christian Petry [SPD]: Das war sehr am Limit! – Weitere Zurufe von der SPD)

Als Nächste hat das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Katharina Dröge.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7608798
Wahlperiode 20
Sitzung 159
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