Thomas HackerFDP - Regierungserklärung zum Europäischen Rat
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 14.12.1995, vor fast genau 30 Jahren, nach dreieinhalb Jahren Krieg, nach erbitterten Bruderkämpfen wurde in Paris der Friedensvertrag von Dayton unterzeichnet. Frieden. Mit dabei waren Bill Clinton, Jacques Chirac, John Major, Helmut Kohl. Es war das Ende des Krieges in Bosnien-Herzegowina, es war der Beginn eines Experimentes, eines komplexen Staatsgebildes, das den Ausgleich zwischen ethnisch-religiösen Bevölkerungsgruppen versucht, und es hat ein Amt geschaffen, das in der Welt wohl einzigartig ist – das des Hohen Repräsentanten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt Zeiten, in denen sich Geschichte verdichtet. Es gibt Zeiten, in denen die Dynamik und die Notwendigkeit der Geopolitik Unmögliches möglich macht und uns alle eines Besseren belehrt. So wie der DFB-Pokal seine eigenen Gesetze hat, entfacht auch die Geopolitik heute ihre eigene Dramatik und Dynamik. Es ist kein Spiel.
Herr Bundeskanzler, wir erleben die Zeitenwende, wir durchleben die Zeitenwende. Wir ringen um die richtigen Schlussfolgerungen: Wie unterstützen wir die Ukraine am besten? Welche Waffen liefern wir und wann? Die Zeitenwende verändert Europa, verändert Narrative und alte Herangehensweisen. Sie bringt Weltbilder ins Wanken und hat doch die Kraft, einen ehrgeizigen Reformwillen zu entfachen.
Russlands Kriegstreiber Putin will im Wahn seiner imperialistischen Ambitionen die Ukraine vernichten und sie sich einverleiben und erreicht doch das Gegenteil. Noch nie hatte die NATO so viele Mitglieder. Noch nie war die Ukraine so eng an euro-atlantische Strukturen gebunden wie heute. Dieser Weg ist unumkehrbar.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Auch die Republik Moldau hat sich dazu entschieden, den Weg nach Europa unwiderruflich zu gehen. Russlands Destabilisierungsversuche lassen das Land weitgehend unbeeindruckt. Stattdessen werden wichtige Reformen umgesetzt.
Für beide Länder gilt es, auf dem EU-Gipfel den Verhandlungsrahmen für den Start von Beitrittsverhandlungen festzuzurren. Es ist ein gutes Zeichen einer geschlossenen europäischen Union.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, geopolitische Notwendigkeiten und innere Reformkraft beschränken sich aber nicht auf die Ukraine und Moldau. Die Regierung in Bosnien-Herzegowina hat in den letzten eineinhalb Jahren mehr Fortschritte erzielt als zuvor in über einem Jahrzehnt – Erfolge einer proeuropäischen Regierung, einer Regierung, die die Kraft hat, wichtige Vorhaben voranzubringen. Diese sichtbaren Fortschritte hat die Kommission dazu bewogen, jetzt den Start von Beitrittsverhandlungen zu empfehlen; ein wichtiges Signal für die Entscheidungsträger vor Ort.
Die Herausforderungen im Land bleiben bestehen. Im Landesteil Republika Srpska wütet der demagogische Präsident Milorad Dodik. Er droht mit Spaltung und kam erst vor wenigen Tagen von seinen Besuchen bei Lukaschenka und Putin zurück; mit leeren Händen. Seine Besuche gleichen einer Verzweiflungstour im Kampf um Aufmerksamkeit und fehlende Finanzmittel. Ihm darf Europa Bosnien und Herzegowina nicht überlassen.
Es ist an der Zeit, Fortschritte anzuerkennen. Es ist an der Zeit, Türen zu öffnen. Es ist an der Zeit, den Weg freizumachen für weitere Reformen im Land. Und es ist genauso an der Zeit, den Reformmotor in Europa anzuwerfen. Dabei müssen beide Prozesse parallel laufen: Erweiterung und Reform; weg vom Einstimmigkeitsprinzip, Verschlankung des Beitrittsprozesses. Es gibt genug Vorschläge der deutsch-französischen Expertengruppe, des Europäischen Parlaments und der Konferenz zur Zukunft Europas; Ideen, über die wir viel zu wenig diskutieren. Vielleicht brauchen wir auch einen Verfassungskonvent, um die EU, das große Integrations- und Friedensprojekt, neu aufzustellen: größer, stärker und einiger, als sie vielleicht heute ist.
Für mich ist die Europäische Union erst dann vollkommen, wenn Bosnien und Herzegowina, die Länder des westlichen Balkans und genauso die Ukraine, die Republik Moldau, Georgien und irgendwann auch ein demokratisches und freies Belarus Teil des Ganzen sind.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Hans-Dietrich Genscher hatte recht: Europa, das ganze Europa ist unsere Zukunft; eine andere haben wir nicht.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Rebecca Schamber hat das Wort für die SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7608807 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 159 |
Tagesordnungspunkt | Regierungserklärung zum Europäischen Rat |