Anikó Glogowski-MertenFDP - Aktuelle Stunde - Antisemitismusbekämpfung in Bildung, Kultur und Wissenschaft
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den letzten beiden Jahren haben zwei Antisemitismusskandale die internationale und insbesondere die deutsche Kulturszene erschüttert.
Zum einen die documenta 15, bei der es aufgrund mangelnden Kuratierens – ein bewusster Mangel an Kuratieren durch ein Kollektiv – zu einem erheblichen Kontrolldesaster kam, dem ein katastrophales Krisenmanagement aller Beteiligten folgte. Die documenta-Beteiligten versuchen bis heute, die Verantwortungsdiffusion zu nutzen, um sich den Auswirkungen ihres Versagens zu entziehen.
Es zeigt sich einmal mehr, dass ohne die Beteiligung des Bundes die Reformmaßnahmen nicht konsequent diskutiert werden. Die Debatte um die Kunstfreiheit darf den Reformwillen nicht überdecken und darf nicht dazu führen, dass die documenta im Jahr 2027 ohne jegliche Konsequenzen wieder stattfindet.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Bevor der Zeitplan der documenta 16 benannt werden kann, muss die Aufarbeitung des vorangegangenen Verantwortungsdesasters transparent erfolgen und damit auch dafür gesorgt werden, dass neue Vorfälle vermieden werden.
Auf den Antisemitismusskandal der documenta 15 folgte in diesem Jahr die Berlinale mit schwersten Genozidvorwürfen, denen nicht widersprochen wurde. Diese wurden beschämenderweise auch noch durch ein applaudierendes Publikum bestätigt und damit legitimiert.
Hinzu kam ein Posting auf einem Social-Media-Kanal der Berlinale, in dem dem Staat Israel das Existenzrecht abgesprochen wurde. Der Inhalt des Posts war ohne jeden Zweifel strafrechtlich relevant, und ich bin unserem Justizminister Marco Buschmann dankbar, dass er die strafrechtliche Relevanz der in diesem Posting zu lesenden Parole deutlich gemacht hat. Es ist gut und richtig, dass die Berlinale-Leitung eine Strafanzeige erstattet hat und ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Beide Vorfälle, sowohl der documenta als auch der Berlinale, hatten erheblichen Einfluss auf die Sicherheit und kulturelle Freiheit von Jüdinnen und Juden in Deutschland. Wir können, wollen und werden dies nicht stillschweigend hinnehmen.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Denn eines ist klar: Die demokratische Mehrheit dieses Hauses verurteilt jede Form von Antisemitismus. Auch rund 80 Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus ist unser Land, sind unsere Kultureinrichtungen und wir alle gefordert. Der Schutz jüdischen Lebens und das klare Bekenntnis unserer Gesellschaft und unseres Staates zu Israel sind unverrückbare Bestandteile unserer Werte- und Rechtsordnung. Antisemitismus zu erkennen und ihm sofort aktiv entgegenzutreten, ist auch Aufgabe deutscher Kulturpolitik und Kultureinrichtungen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Unsere Kultureinrichtungen müssen sich dessen bewusst sein, dass sie inzwischen zunehmend zu Schauplätzen teilweise besorgniserregender gesellschaftspolitischer Auseinandersetzungen geworden sind. Ich bin daher fassungslos, dass – Stand jetzt – weder die neue noch die alte Berlinale-Leitung Zeit dafür findet, in der kommenden Sitzung mit dem Ausschuss für Kultur und Medien über diese jüngsten Vorfälle zu sprechen.
(Zuruf von der FDP: Unglaublich!)
Ob dies nun Desinteresse an einer gemeinsamen Aufarbeitung oder ein stilles Weiter-so ist: Wir Kulturpolitiker/-innen werden dies nicht hinnehmen. Eine Aufarbeitung der Ereignisse muss gemeinsam und konsequent erfolgen. Wenn das nicht der Fall ist, dann müssen wir über die Bundesförderung der Berlinale, aber auch der documenta ernsthaft nachdenken.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf der Abg. Dorothee Bär [CDU/CSU])
Kultureinrichtungen spielen eine Schlüsselrolle in der Gestaltung einer Gesellschaft, die ihre historische Verantwortung ernst nimmt. Daher müssen diese aktiv in die Vermittlung und Aufrechterhaltung der Erinnerungskultur einbezogen werden. Was bedeutet das? Um weitere antisemitische Vorfälle präventiv zu verhindern, bedarf es einer detaillierten Analyse der bestehenden Strukturen und Prozesse im Kulturbetrieb und einer Schärfung des Bewusstseins, dass alle, die hier leben und arbeiten, auch eine historische Verantwortung tragen. Ich weiß von vielen, dass sie dazu bereit sind und die Notwendigkeit sehen. Hierfür sind effektive Strategien erforderlich, um präventiv weitere antisemitische Vorfälle zu verhindern, ohne dabei die grundlegenden Werte der Offenheit und des Austausches oder eben die Kunstfreiheit zu gefährden.
Kulturelle Räume sind unverzichtbar, um die Geschichte des Antisemitismus und seiner Auswirkungen auf die Gesellschaft zu reflektieren. Nur so kann ein Raum für Dialog und Verständigung geschaffen werden. Dies dient nicht nur der Würdigung der Opfer, sondern auch der Stärkung unserer demokratischen Werte gegen jegliche Form von Hass und Diskriminierung.
Die Freiheit der Kunst, die Kunstfreiheit, geht immer mit Verantwortung einher. Kunst und Kultur können sich den Diskursen, die wir führen, und den Haltungen, die wir einnehmen, nicht entziehen, sondern müssen klar Stellung beziehen; denn sie sind ein Teil unserer Gesellschaft. Kultur als zentraler Ort des Diskurses in unserer Gesellschaft und als Spiegel der Debatte muss begreifen, dass „Nie wieder!“ nicht nur jetzt, sondern immer gilt.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es reicht nicht aus, immer nur Betroffenheit auszusprechen. Wir müssen ins Handeln kommen, und das am besten gemeinsam. Ich hoffe, das machen wir gemeinsam.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Dorothee Bär [CDU/CSU])
Vielen Dank. – Jetzt erhält das Wort für den Bundesrat Dr. Felor Badenberg.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7608847 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 159 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde - Antisemitismusbekämpfung in Bildung, Kultur und Wissenschaft |