Bettina Stark-Watzinger - Aktuelle Stunde - Antisemitismusbekämpfung in Bildung, Kultur und Wissenschaft
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es war immer da, aber es ist verstärkt aufgebrochen; es ist etwas aufgebrochen in unserem Land. Schnell nach dem 7. Oktober, nach dem abscheulichen Massaker der Hamas in Israel, da wurde klar: Etwas stimmt nicht an den Hochschulen in Deutschland.
(Beatrix von Storch [AfD]: Das war uns schon vorher klar!)
Immer wieder antiisraelische Kundgebungen. Nicht nur Mitgefühl mit palästinensischen Zivilisten, sondern Sympathie für den Terror der Hamas, der doch die Ursache des Leids ist.
(Beatrix von Storch [AfD]: Das ist für Sie wahrscheinlich ganz überraschend gewesen!)
Meine Damen und Herren, jetzt steht fest, es steht für alle fest: Es darf keine Täter-Opfer-Umkehr geben.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Offen gelebter Antisemitismus an Hochschulen. Ein Klima der Angst für jüdische Studentinnen und Studenten. Hochschulen, sie sollen der Ort der aufgeklärten Debatte sein. Und deswegen: Identitätspolitische Milieus, die Menschen nach Kriterien einteilen, sind falsch. An Hochschulen darf es keinen Raum für Antisemitismus gleich welcher Form geben.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Und die jüdischen Studentinnen und Studenten berichten, dass sich viele von ihnen nicht mehr trauen, sich an der Universität frei zu bewegen. Wie oft sie erleben, dass antisemitische Klischees die Runde machen. Wie viele das achselzuckend hinnehmen. Wenn Jüdinnen und Juden in unserem Land sich nicht frei bewegen. Wenn sie sich nicht mehr trauen, sich frei zu bewegen. Wenn sie sich aus der Öffentlichkeit zurückziehen, dann ist das das gefährlichste Gift des Antisemitismus.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Deswegen war nicht nur ich, sondern Viele auf den Kundgebungen gegen Antisemitismus an unseren Hochschulen. Und deswegen: Danke an alle, die sich hier engagieren und das immer wieder organisieren.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich bedaure zutiefst, dass es sein muss. Aber ich möchte eines tun, und zwar aus tiefstem Herzen: Ich möchte meinen Respekt zum Ausdruck bringen für die jüdischen Studierendenorganisationen, die sich nicht einschüchtern lassen, die über ihre eigenen Kräfte hinausgehen. Und es ist ein Auftrag an uns: Wir alle müssen handeln. Sofort. Natürlich auch in der Politik.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU])
Durch Worte, die das Übel klar benennen. Durch Taten, zum Beispiel Gesetzesänderungen – Stichwort „Exmatrikulation bei schweren antisemitischen Übergriffen“. Das muss möglich sein. Die Hochschulen müssen handeln können und dann natürlich auch handeln.
Aber für das Handeln gegen den Antisemitismus, den wir an diesen Orten erkennen, brauchen wir eines, und zwar Forschung.
(Beatrix von Storch [AfD]: Rückgrat brauchen Sie!)
Wir brauchen mehr Forschung. Denn wir wissen zu wenig. Wir brauchen mehr Daten, um besser zu verstehen, was eigentlich los ist. Deswegen haben wir gleich zu Beginn dieses Jahres eine Studie zum Antisemitismus an Hochschulen in Auftrag gegeben. Sie ist ein Anfang.
Seit wenigen Tagen liegen die ersten Ergebnisse vor. Ein zentraler Befund erscheint auf den ersten Blick zwar positiv: Denn Studentinnen und Studenten nehmen Antisemitismus an Hochschulen seltener wahr als im Internet oder auf Demonstrationen. Aber: Hochschulen sind eben nicht das Internet. Sie sollen qua Definition offene, tolerante Orte sein. Orte des Diskurses. Des respektvollen Wettstreits der Argumente. Und nicht des Niederschreiens. Oder des Feierns von Gewalt.
Weniger Studentinnen und Studenten haben antisemitische Einstellungen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung. Aber auch hier das Aber: Es sind gut gebildete junge Menschen mit bestem Zugang zu differenzierten Informationen, geübt im Umgang mit wissenschaftlichen Methoden. Und nicht wenige davon sind bereit, sich zu radikalisieren. Beim israelbezogenen Antisemitismus, da sehen die Zahlen ähnlich aus. Da muss aber auch immer wieder klar sein: Das Existenzrecht Israels, es ist nicht verhandelbar.
(Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich möchte auch noch einmal betonen: Diese Studie misst Einstellungen. Sie misst nicht die Anzahl der Vorfälle. Hier sehen wir ein sprunghaftes Ansteigen. Die Hochschulen sind nach dem Internet, nach den öffentlichen Räumen – nach den Straßen –, nach den öffentlichen Gebäuden auf Platz vier der Liste der Orte, an denen antisemitische Vorfälle gemeldet werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das kann niemanden ruhen lassen. Denn jede antisemitische Äußerung, jede antisemitische Tat zielt auf Menschen. Menschen, die zu Unrecht diffamiert werden. Und auch das sagt die Studie: Jeder dritte jüdische Student bzw. jede dritte jüdische Studentin hat bereits Diskriminierungserfahrungen gemacht. Deswegen: Antisemitismus zielt auf ihre Freiheit, aber damit auch auf die Freiheit von uns allen.
Natürlich ist der Staat gefragt: die Polizei, die Justiz, der Rechtsstaat. Genauso wichtig ist Prävention durch Bildung und Forschung. Wir brauchen mündige Bürgerinnen und Bürger, die unsere Werte kennen, sie leben und auch verteidigen, im Alltag: von der Schule über den Arbeitsplatz bis zum Seniorenkreis.
Da kommt unser Wissenschaftsjahr Freiheit genau richtig. Es bietet Raum für Austausch. Um über Freiheit zu streiten. Für die Freiheit zu streiten. Dazu gehört auch die Frage: Wo hat die Wissenschaftsfreiheit Grenzen, ebenso die Kunstfreiheit? Wir sind ja zu Recht stolz auf sie. Wir verteidigen sie auch. Aber wer Grundrechte anderer eklatant missachtet, der überschreitet eine entscheidende Grenze. Und deswegen: Wissenschaftsfreiheit, Kunstfreiheit, sie haben nicht nur diese Freiheit, sondern auch eine Verantwortung. Auch ihnen sind Grenzen gesetzt, nämlich da, wo Antisemitismus beginnt, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich habe eben schon über die Bürgerinnen und Bürger bzw. die Erlebnisse der Studierenden in den Hochschulen gesprochen. Der tägliche Kampf gegen die Gleichgültigkeit. Elie Wiesel, Friedensnobelpreisträger und Holocaustüberlebender, schrieb bereits 1986 über die Gleichgültigkeit, vor der Josef Schuster heute wieder warnt. Und die Michel Friedman die Volkskrankheit unserer Zeit nennt. Er schrieb:
„Das Gegenteil von Liebe ist nicht Hass, sondern Gleichgültigkeit. … Gleichgültigkeit ist nicht der Anfang eines Prozesses, es ist das Ende eines Prozesses.“
Das dürfen wir nicht zulassen. Demokratie braucht die Beteiligung seiner Bürgerinnen und Bürger. Und deswegen braucht es das Handeln und die Verantwortung von jedem von uns.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Und ja: Wir haben auch Forschungsprojekte gegen Antisemitismus. Forscherinnen und Forscher entwickeln: Trainings gegen Judenhass im Netz, Materialien für die Ausbildung von Juristen, Polizistinnen und – ganz wichtig – Lehrkräften. Wie erkenne ich Antisemitismus? Wie spreche ich ihn an? Wie gehe ich vor? Das muss jeder wissen, der vor einer Klasse steht. Und in einem Projekt ist ein wunderbares Heft für den Schulunterricht entstanden. Es erklärt jüdische Alltagskultur, Speisegesetze, Feiertage, Rituale. Die Nachfrage ist enorm, und das ist gut so. Sie trifft den Nerv dieser Tage.
Deswegen behält das Engagement gegen Antisemitismus Priorität. Natürlich auch in unserem Ministerium. Ich sage schon jetzt: Wenn die Förderlinie ausläuft, wird es natürlich eine neue geben; denn „Nie wieder!“ heißt auch in den nächsten Jahren, sich gegen Antisemitismus einzusetzen.
(Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, von Hannah Arendt stammt die traurig aktuelle Erkenntnis, dass man „vor Antisemitismus nur auf dem Mond sicher ist“. Trotzdem kann das nicht unser Anspruch sein. Es muss unser Anspruch sein, dass wir ihn aus der Welt schaffen, wo immer wir können. Was wir dafür tun können, das müssen wir tun!
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die Saat des Hasses soll nicht aufgehen. Schon gar nicht an den Hochschulen in unserem Land. Dort hat man Werkzeuge an der Hand, um Antisemitismus zu entlarven. Deswegen: Nie wieder – das gilt an jedem Ort in diesem Land. Auch an Hochschulen. Erst recht an Hochschulen. Nie wieder -das darf nicht eine Worthülse sein und eine Worthülse bleiben. Es gilt für immer. Handeln wir ab jetzt!
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Die nächste Rednerin ist Monika Grütters für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7608852 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 159 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde - Antisemitismusbekämpfung in Bildung, Kultur und Wissenschaft |