20.03.2024 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 159 / Tagesordnungspunkt 28

Anna KassautzkiSPD - Bestandsregulierung des Kormorans und der Saatkrähe

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Sehr geehrte Damen und Herren! Etwa 60 Prozent des deutschen Kormoranbestandes leben in meinem Bundesland, in Mecklenburg-Vorpommern. Dieser Bestand hat sich seit der Friedlichen Revolution deutlich vermehrt. Seit etwa 14 Jahren pendelt sich die Population stabil auf 10 000 bis 15 000 Brutpaare in MV ein. Und ja, Kormorane sind Prädatoren: Sie fressen Fische. Das ist höchstgradig ärgerlich für Anglerinnen wie mich, und das kann im schlimmsten Fall existenzbedrohend sein, beispielsweise für die Teichwirtschaft.

Bevor wir in die Tiefe einsteigen, kurz vorweg: Bei Teilen Ihres Antrags, liebe CDU/CSU-Fraktion, gehe ich mit, beispielsweise bei der Absprache des Vorgehens mit Nachbarländern. Das passiert teilweise auch jetzt schon. Ich würde aber noch weitergehen. Der Kormoran zieht weiter, je nach Temperatur und Wetter. Er bleibt nicht immer am gleichen Fleck. Der lokale Bestand schwankt also auf natürliche Art und Weise. Wenn wir nur national vorgehen, wird sich an der Situation nicht nachhaltig etwas ändern. Der Kormoran denkt sich ja nicht an der Grenze: Oh, oh, oh, hier ist die Bundesrepublik Deutschland. Ich biege mal fix ab. – Wir brauchen nicht nur Absprachen mit unseren Nachbarländern; wir brauchen ein gemeinsames und koordiniertes Vorgehen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Bei anderen Teilen Ihres Antrags habe ich mich aber in die siebte Klasse zurückversetzt gefühlt. Ich habe in der Schule mal gelernt, dass wir nichts schreiben, was nicht in den Quellen steht, und wir nichts aus dem Zusammenhang reißen sollen. Also schauen wir uns Ihren Antrag mal an:

Erstens. Sie schreiben im Antrag von „mindestens 120 000 Exemplaren“ und verweisen auf das Bundesamt für Naturschutz. Schauen wir aber in die Quelle, stellt sich heraus: Das ist der Maximalbestand in einem Zeitraum von circa fünf Jahren, nicht der Mindestbestand.

Zweitens. Mal abgesehen davon, dass ich in den von Ihnen zitierten Quellen nirgendwo den Rückgang von 97 Prozent regionaltypischer Arten gefunden habe, nutzen Sie als Quelle eine Studie aus der Schweiz über Schweizer Gewässer aus dem Jahr 2005.

(Bettina Hagedorn [SPD]: Hört! Hört!)

Verstehen Sie mich nicht falsch! Die Studie ist spannend – danke dafür –, aber sie hat nichts mit dem Rückgang von Fischbeständen in deutschen Binnen- und Küstengewässern zu tun.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Drittens. Sie suggerieren, dass Äschen, Aale und Neunaugen durch den Kormoranfraß stark bedroht sind. Mal abgesehen davon, dass nur bei der Äsche in der Quelle ein Zusammenhang mit dem Kormoran hergestellt und er bei Aalen und Neunaugen nicht mal erwähnt wird, sind die Hauptgründe die Verschlechterung der Gewässerqualität, die Erwärmung von Gewässern, die Verbauung von Flüssen und damit Wanderwegen und durch Begradigung wegfallende Lebensräume. Wenn eine Art sowieso schon angeschlagen ist, knallt da natürlich ein Jäger wie der Kormoran rein. Das sehen wir übrigens nicht nur in Binnengewässern; das sehen wir auch bei den Dorschen in der westlichen Ostsee. Auch da ist der Grund für die katastrophale Bestandsentwicklung nicht der Kormoran, sondern die Situation des Ökosystems Ostsee und das Quotenmissmanagement der letzten Jahrzehnte.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Was in Ihrem Antrag übrigens völlig fehlt, ist die Rolle, die der Kormoran auch für Ökosysteme und gesunde Fischbestände spielt: Er entnimmt kranke und schwache Tiere und verhindert damit ein Ausbreiten von Krankheiten in Fischpopulationen. Er hält sie gesund.

Im Kontext der Fischerei sprechen wir schon länger von der Notwendigkeit eines ökosystembasierten Managementansatzes. Das heißt, dass wir nicht das maximal Mögliche aus Beständen abfischen, sondern ihnen den Raum geben, auf sich ändernde Umwelteinflüsse und auch auf Prädatoren zu reagieren, ohne dass sie dabei kritische Bestandsgrößen erreichen. Der Kormoran ist da, und wir müssen lernen, mit ihm zu leben. Das heißt nicht, dass wir bei lokal großen Populationen nichts tun können. Vor allem im Bereich von Aquakulturen, die man nicht mit Netzen überspannen kann, wie bei Karpfen, oder anderen größeren Teichen und Gewässern kann ein lokaler Abschuss eine sinnvolle Maßnahme sein. Durch die Wanderbewegung werden aber auch dort andere Tiere nachkommen. Auch Vergrämungsmethoden können punktuell sinnvoll sein. Der Nutzen und der Aufwand stehen aber häufig in keinem Verhältnis.

Die tatsächlich nachhaltigste Methode, lokale Bestände in den Griff zu bekommen, sind natürliche Fressfeinde. Bei Bodennestern wären das der Fuchs oder der eingewanderte Marderhund und der Waschbär; bei Nestern in Bäumen reden wir über Habicht, Silbermöwe und Steinadler.

Die Situation unserer Fischbestände verbessern wir durch eine Verbesserung der Gewässerqualität, beispielsweise durch Gewässerrandstreifen, eine Renaturierung von Auen und Nebenarmen durch zeitweisen Besatz, um bedrohten Arten unter die Arme zu greifen, und auch hier mit einem ökosystembasierten Ansatz des Managements.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Manfred Todtenhausen [FDP])

Niemandem, wirklich niemandem hilft in dieser selbstverständlich emotionalen Debatte eine Vereinfachung, ein Schwarz-Weiß- und Freund-Feind-Denken. Meine Fraktion und ich, wir sind offen für Gespräche über sinnvolle und im besten Falle europäisch geeinte Managementmaßnahmen, aber auf der Basis von Fakten und mit allen Beteiligten.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Der nächste Redner ist Peter Felser für die AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7608861
Wahlperiode 20
Sitzung 159
Tagesordnungspunkt Bestandsregulierung des Kormorans und der Saatkrähe
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