21.03.2024 | Deutscher Bundestag / 20. EP / Session 160 / Zusatzpunkt 8

Jürgen HardtCDU/CSU - Aktuelle Stunde - Lage in Israel und den Palästinensischen Gebieten

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der 7. Oktober war eine Zäsur für uns alle, aber natürlich insbesondere für das Volk Israel. Das eigentliche Trauma besteht vielleicht darin, dass die große Illusion, der große Traum der Juden in Israel, man könne trotz dieser massiven Bedrohung von außen, trotz der vielen verschiedenen Kriege, die es im Laufe der Jahrzehnte gegen Israel gegeben hat, trotz der Tatsache, dass im Norden die Grenze zum Libanon von Terroristen bedroht wird und im Gazastreifen die terroristische Hamas sitzt, in Israel in Frieden und Freiheit leben – weil man ja die israelischen Streitkräfte hat, weil man einen Raketenabwehrschirm hat, weil man viele Freunde in der Welt hat, Amerika und Deutschland, um zwei wichtige zu nennen, und vielleicht auch, weil man das Glück auf seiner Seite hat –, am 7. Oktober geplatzt ist. Die Vorstellung, man könnte mit Terroristen in der Nachbarschaft in Israel sicher leben, ist zerstört. Dieses Gefühl geht weit über die Reihen der Regierungsparteien und deren Unterstützer hinaus. Ich glaube, das ist ein Gefühl, das in Israel weithin zu verspüren ist. Das beschreibt die ganze Tragik.

Wenn wir nüchtern diagnostizieren müssen, dass in Rafah noch einige Tausend terroristische Hamaskämpfer sitzen – man spricht von vier Bataillonen; die Zahlen werden im Übrigen auch von der arabischen Seite nicht bezweifelt –, und wenn wir gleichzeitig den Israelis sagen: „Ihr dürft aber Rafah aus humanitären Gründen jetzt nicht einnehmen“, dann bedeutet das umgekehrt, dass wir von ihnen verlangen, dass sie diese Terroristen dort akzeptieren.

Was ist denn dann unsere Antwort? Sagen wir als Deutschland dann: „Wir helfen euch, eure Sicherheit herzustellen, auch wenn in Gaza noch Terroristen sind“? Das ist jetzt keine Antwort auf diese Frage; aber damit will ich das Dilemma beschreiben, in dem die israelische Regierung, in dem die israelischen Streitkräfte, in dem das israelische Volk steckt; denn sie wissen, dass es voraussichtlich nicht gehen wird, noch mal mit Terroristen Tür an Tür, Seite an Seite in Nachbarschaft zu leben.

(Beifall des Abg. Frank Müller-Rosentritt [FDP])

Deswegen, lieber Nils Schmid, bin ich etwas vorsichtig mit der These, dass das auf keinen Fall stattfinden darf, weil es eine Verletzung des Verhältnismäßigkeitsprinzips des Völkerrechts wäre. Ob das wirklich so ist, kann ich von hier aus nicht beurteilen, das wirst auch du nicht von hier aus beurteilen können. Wir müssen, glaube ich, angesichts des Szenarios, das ich beschrieben habe, sehr vorsichtig mit dieser Abwägung sein.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Frank Müller-Rosentritt [FDP])

Worin wir uns aber einig sind – und es ist ja auch schön, dass wir die Debatte heute führen; wir begrüßen ausdrücklich, dass wir diese Aktuelle Stunde auf Initiative der Koalition haben –, ist, dass wir schon sehen, dass es einen militärischen Kampf gegen die Hamas gibt, aber dass es natürlich auch einen politischen Kampf gibt und dass der politische Kampf zulasten Israels auszugehen droht, weil die Hamas nämlich nicht um die Menschen in Gaza kämpft, sondern um die ideologische Herrschaft auf den Straßen von London, Paris, Washington, Ottawa und Berlin. Sie kämpfen für den Mythos, etwas Freiheitskampfmäßiges zu tun, aber in Wirklichkeit geht es ihnen im Wesentlichen doch um ihre eigenen Interessen. Die Hintermänner der Hamas sind stinkreiche Bonzen, die in sicheren Hotels oder sicheren Villen in der arabischen Welt oder auch in anderen Ländern sitzen.

Ich würde mir wünschen, dass Israel – ich freue mich, dass der Gesandte Aaron Sagui hier ist – noch mehr Ideen zu der Frage, was die politische Antwort ist, in Umlauf bringt, mit denen wir uns auseinandersetzen können. Denn die Menschen in Gaza leiden unter der Hamas, im Übrigen schon seit 17 Jahren. Die Alternative, wenn Israel jetzt einhalten und sich wieder zurückziehen würde, wäre ja, dass wieder wie früher Clans dieses Gebiet beherrschen und seine Entwicklung entsprechend hemmen, die Menschen um die Früchte ihrer Arbeit bringen und dass es genauso weitergeht wie vorher.

Ich glaube, dass wir gemeinsam – allen voran Israel, aber auch wir – die Chance nutzen sollten, politische Ideen aufzugreifen, wie die Zukunft für den Gazastreifen nach diesem Kampf aussehen wird: ob die Palästinensische Autonomiebehörde eine Rolle spielt, wie die dann aussieht, wie die aufgestellt werden kann, sodass sie besser tätig werden kann, nur um ein Beispiel zu nennen.

Weitere Fragen sind: Welche Rolle kann die Arabische Liga bei der Sicherung von Frieden in der Region spielen, welche die UN? Welche Rolle kann vielleicht die Europäische Union spielen? Wir sollten uns viel mehr diesen Fragen zuwenden und damit auch ein Stück weit den Druck von Israel nehmen, diese Lösung militärisch zu 100 Prozent bis zum letzten Mann herbeizuführen.

Wenn die Diskussion heute dazu führt, dass wir zukünftig noch stärker auf die politischen Möglichkeiten der Entwicklung der Region blicken und nicht nur auf das Schreckliche, was wir in diesen Tagen erleben, dann gibt es vielleicht auch einen Hoffnungsschimmer, für den wir alle arbeiten sollten.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Mathias Stein [SPD])

Das Wort hat die Bundesministerin des Auswärtigen, Annalena Baerbock.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

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