10.04.2024 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 162 / Zusatzpunkt 2

Robin MesaroschSPD - Nutzung der Kernenergie in der Energiekrise

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Union legt einen Antrag zur Kernkraft vor.

(Der Redner hält ein Papier hoch)

Und auf diesem Papier steht nicht meine Rede, sondern der Antrag; denn der ist so sensationell, dass ich will, dass wir den zusammen lesen. Ich gebe wieder, was da steht:

„Vor einem Jahr … sind die drei letzten deutschen Kernkraftwerke mit einer Leistung von insgesamt 4,3 Gigawatt inmitten der kriegsbedingten Energiekrise vom Netz gegangen. Diese Entscheidung der Bundesregierung war ein Fehler …“

Das geht direkt sportlich los mit dem Begriff „Entscheidung“. Wir alle wissen, dass die letztendliche Entscheidung zum Aussehen des Fahrplans des Ausstiegs die CDU/CSU gemeinsam mit der FDP getroffen hat. Das war vor 13 Jahren. Das heißt: Die Entscheidung fiel damals. Wenn Sie das als Fehler betrachten, dann war es Ihrer,

(Steffen Bilger [CDU/CSU]: Andere Umstände! Wenn Sie es nicht mitbekommen haben!)

und Sie hatten 13 Jahre Zeit, Erneuerbare auszubauen, statt das immer zu blockieren, wenn wir es gefordert haben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Steffen Bilger [CDU/CSU]: Das ist mal eine Realitätsverweigerung! – Zuruf des Abg. Dr. Klaus Wiener [CDU/CSU])

Ich lese weiter:

„Mit einem Weiterbetrieb der Kernkraftwerke wäre ein wichtiger Beitrag für eine bessere Versorgungssicherheit, eine höhere Wettbewerbsfähigkeit durch günstigere Strompreise, den Erhalt von Industriearbeitsplätzen und für einen effektiven Klimaschutz gewährleistet worden.“

Das sind vier Sachen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

– Ja, da dürfen Sie einmal klatschen.

Also, „für eine bessere Versorgungssicherheit“ ist schon mal der Hammer, weil das so maximal kontrafaktisch ist. Sie haben sich ja komplett zum Horst gemacht, als Sie in der Energiekrise in einem schrägen Einklang mit der AfD hier proletet haben: Deutschland steht vor dem Blackout, das Licht geht aus.

(Nina Warken [CDU/CSU]: Zum Horst machen nur Sie sich!)

Sie haben hier eine Panik verbreitet und mir garantiert, dass es passiert.

(Steffen Bilger [CDU/CSU]: Es hat sich doch was geändert nach dem Ukrainekrieg, oder wie? Gerade noch ausgeblendet!)

Ich stand hier und habe gesagt: Es passiert nicht. – Jetzt wissen wir, dass es nicht passiert ist, und ich verzeihe Ihnen, dass Sie nicht in der Lage waren, die Zukunft vorherzusehen. Aber Sie müssen doch mindestens in der Lage sein, die Vergangenheit zur Kenntnis zu nehmen. Und die Versorgungsicherheit war gewährleistet, weil wir gehandelt haben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Nina Warken [CDU/CSU]: Schön, wenn Sie so gut schlafen können!)

Außerdem ist es immer spannend, bei Atomkraft mit absoluter Versorgungssicherheit zu kommen, wenn exakt in dem Jahr, auf das Sie Ihren Fokus richten, in Frankreich die Hälfte der Atomkraftwerke gar nicht gelaufen ist, weil die Voraussetzungen dafür nicht da waren.

(Nina Warken [CDU/CSU]: Na ja, umso schlimmer! – Zuruf des Abg. Bernhard Herrmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir kommen zum zweiten Punkt. Da steht was von „günstigeren Strompreisen“. Das stimmt einfach nicht, haben wir durchgerechnet. Es wurde schon gesagt: Erneuerbare sind günstiger,

(Dr. Rainer Kraft [AfD]: Wo denn? Am Spotmarkt vielleicht!)

und die drei Atomkraftwerke hätten auf den Strompreis keinen nennenswerten Einfluss gehabt.

Da steht was von „Erhalt von Industriearbeitsplätzen“: Es bleibt Ihr Geheimnis, wie das zusammenhängt.

(Nina Warken [CDU/CSU]: Hauptsache, Sie glauben das selber!)

Und dann geht es noch um „effektiven Klimaschutz“. Greenpeace hat erst kürzlich eine Studie mit dem Ergebnis rausgehauen,

(Lachen des Abg. Dr. Rainer Kraft [AfD] – Gegenruf des Abg. Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da lacht die AfD!)

dass wir seit dem Atomausstieg bei der Stromerzeugung 25 Prozent, also ein Viertel, weniger CO2 ausstoßen. Das ist so ziemlich genau das Gegenteil von dem, was Sie behaupten – nämlich die Wahrheit.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Steffen Bilger [CDU/CSU])

Ich lese weiter vor:

„Diese Möglichkeit hat die Bundesregierung aus ideologischen Gründen bewusst nicht genutzt.“

Es ist schon einigermaßen frech, der Bundesregierung, wenn man selber zwei Seiten Antrag ohne ein stichhaltiges Argument vorlegt, mit Ideologie zu kommen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Weiter geht es:

„… die Abschaltung der letzten drei deutschen Kernkraftwerke ist zudem völlig intransparent umgesetzt worden.“

Ich weiß, was Sie damit meinen. Aber es ist schon besonders spaßig, wenn seit 2002 klar ist, dass wir aussteigen, also seit 21 Jahren, die Union dann nach 21 Jahren überrascht ist, dass man tatsächlich aussteigt, was die Union auch noch mit beschlossen hatte. Darauf muss man kommen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Wo leben Sie denn? In anderen Rahmenbedingungen!)

Ich lese weiter:

„Mit einem Weiterbetrieb der drei letzten deutschen Kernkraftwerke wäre es möglich gewesen, einen erheblichen Teil des Energiebedarfs in Deutschland zu decken …“

(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Erheblich“!)

Auch das ist atemberaubend, weil Sie ja selber schreiben, dass die letzten drei Atomkraftwerke nur 4,3 Gigawatt installierte Leistung angeboten haben,

(Beifall der Abg. Dr. Nina Scheer [SPD])

was ein kleiner Bruchteil von dem ist, was unser Riesenindustrieland so braucht. Also, da widersprechen Sie sich in Ihrem eigenen Antrag.

(Steffen Bilger [CDU/CSU]: 6 Prozent ist nicht wenig!)

Ich lese weiter:

„Folge der Nichtverlängerung inmitten der Energiekrise ist, dass der fehlende Strom durch fossile Energieträger und verstärkte Energieimporte gedeckt werden musste und die industrielle Leistung erheblich sank.“

Erstens: „fossile Energieträger“. Wir haben heute so wenig Kohleverstromung wie seit 1959 nicht mehr.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Kurzfristig haben wir die wieder ans Netz gebracht. Das hätten Sie, hätte Sie jemand gewählt, auch machen müssen; denn die Atomkraftwerke allein hätten es nicht gerissen.

(Dr. Rainer Kraft [AfD]: Die haben Sie abgeschaltet!)

Deswegen: Kurzfristig gingen fossile Energieträger ans Netz. Aber weil wir Erneuerbare ausbauen, viel schneller als Sie: unterm Strich weniger Emissionen jetzt.

„Verstärkte Energieimporte“: Da erzeugen Sie Missverständnisse. Wir importieren ja gern, wenn der Strom im Ausland günstiger ist, und wir importieren vor allem erneuerbaren Strom.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Also versuchen Sie hier, einfach mit falschen Behauptungen Hass, Panik oder sonst was zu schüren.

Und dann sank noch die „industrielle Leistung“: Das ist leider richtig, hat aber nichts mit Atomkraftwerken zu tun.

Ich lese weiter:

„Wir setzen auf den beschleunigten Ausbau“

– also, „wir“ meint jetzt die CDU; das muss ich dazusagen, weil es leider auf tragische Weise witzig ist –

„der Erneuerbaren Energien, auf Energieeffizienz, Wasserstoff und auf CCS / CCU sowie perspektivisch auf Fusionsenergie.“

Dass Sie hier schreiben, dass Sie für den beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien stehen, ist wichtig; denn das wussten wir alle noch nicht, weil Sie das ja gar nicht gemacht haben.

(Heiterkeit der Abg. Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Bernhard Herrmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die Planungs- und Genehmigungszeiten haben wir deutlich reduziert. Deswegen frage ich mich, was das hier zu suchen hat. Wir haben ein Energieeffizienzgesetz vorgelegt, beschlossen; dem haben Sie nicht zugestimmt. Wasserstoff hat man in CDU/CSU-Regierungsjahren vergeblich gesucht.

(Steffen Bilger [CDU/CSU]: Schwachsinn! Wir haben die Nationale Wasserstoffstrategie gemacht! Unglaublich! Peinliche Vorführung!)

Wir haben das Kernnetz beschlossen; das haben wir gemacht. Und CCS/CCU hat jetzt wirklich nichts mit Energieerzeugung zu tun; das ist hier thematisch verfehlt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Bevor mir die Zeit davonläuft: Ich bin jetzt nicht ganz durchgekommen, aber das war ja nur der Analyseteil. Diese etwas längliche Analyse kommt auf vier kärgliche Forderungen, und die sind dann doch noch mal interessant. Sie fordern eben nicht – das ist das Allerspannendste an dem Antrag –, in die Atomkraft wieder einzusteigen.

(Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Doch!)

Die erste Forderung ist: Sie wollen ein „Rückbau-Moratorium“ – das ist wörtlich –, „bis eine neu gewählte Bundesregierung die Chance hat, im Lichte der dann gegebenen Lage über eine Wiederinbetriebnahme abschließend zu entscheiden“.

(Bernhard Herrmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Immer ein Türchen offenhalten!)

Was soll denn das? Soll die Welt stillstehen, bis irgendwann jemand mal wieder CDU/CSU wählt?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Ja, Sie steigen ja nicht ein, obwohl die FDP will! Sie steigen ja nicht ein!)

Sollen wir auch Reserven für Schreibmaschinen vorhalten, falls Sie auf die Idee kommen, dass wir die mal wieder brauchen?

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das ist doch Quatsch.

Sie in der Union haben sich noch nicht einmal geeinigt, ob Sie die jetzt dauerhaft oder nur ein bisschen laufen lassen. Also, das ist doch kein Antrag!

(Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Lesen Sie doch mal ganz vor! Dann wird das auch eine sinnvolle Rede hier!)

Dann kommt da noch die Fusionsenergie um die Ecke. Da steht:

„Fusionskraftwerke haben nicht mehr das Risiko der Kettenreaktion und kein Problem mit lang strahlendem Atommüll.“

Das stimmt. Aber Fusionskraftwerke haben auch den Nachteil, dass sie nicht funktionieren.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das ist genau das, was Ihre Energiepolitik auszeichnet.

(Steffen Bilger [CDU/CSU]: Wir fühlen uns in schlechten Händen bei Ihnen!)

Sie reden hier über Dinge, die entweder veraltet oder noch nicht da sind, während wir es in die Fläche, ins Land bringen

(Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Das machen wir auch! Wir brauchen alle Energieformen!)

und den Strom in die Steckdosen, in die Betriebe bringen, –

Kommen Sie bitte zum Schluss.

– der unseren Leuten hilft.

Haben Sie vielen Dank!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Steffen Bilger [CDU/CSU]: Peinlich! Peinlich! Peinlich! – Gegenruf des Abg. Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat alles gestimmt, was er gesagt hat!)

Für die Gruppe Die Linke erhält das Wort Ralph Lenkert.

(Beifall bei der Linken)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7609510
Wahlperiode 20
Sitzung 162
Tagesordnungspunkt Nutzung der Kernenergie in der Energiekrise
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