11.04.2024 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 163 / Tagesordnungspunkt 10

Martin PlumCDU/CSU - Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes

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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es eben schon gehört: Anfang der 2000er-Jahre forderten rund 16 000 Anleger von der Deutschen Telekom Schadensersatz wegen falscher Kapitalmarktinformationen in Höhe von insgesamt rund 80 Millionen Euro. Sie fluteten damals mit etwa 12 000 Klagen eine einzige Kammer des Landgerichts Frankfurt. Der Gesetzgeber reagierte darauf im Jahr 2005 mit dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz. Kapitalmarktrechtliche Verfahren sollten dadurch effizienter erledigt und die Justiz entlastet werden.

Rund 20 Jahre später muss man nüchtern feststellen, dass das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz diese Erwartungen nicht erfüllt hat. Das Telekom-Musterverfahren – die „Mutter aller Musterverfahren“ – hat rund 20 Jahre gedauert; wir haben es eben gehört. Es endete nach diesen 20 Jahren auch nicht durch einen gerichtlichen Musterentscheid, sondern durch einen Vergleich; sonst hätte es noch länger gedauert. Und es ist auch kein Einzelfall: Kapitalanlegermusterverfahren dauern in der Regel 5, 10, 15 Jahre oder gar noch länger.

Vor diesem Hintergrund ist es zunächst einmal kühn, dass der Gesetzentwurf davon ausgeht, das Musterverfahren habe sich in der Praxis grundsätzlich als Instrument zur Bewältigung kapitalmarktrechtlicher Massenverfahren bewährt. Man kann – man muss! – an dieser Stelle ein dickes Fragezeichen setzen. Allein das bevorstehende ersatzlose Auslaufen des Gesetzes rechtfertigt seine Verlängerung, aber auch das nicht dauerhaft, sondern allenfalls befristet und mit erneuter Evaluierung.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Reformbedarf selbst liegt klar auf der Hand, und er ist sogar verfassungsrechtlich geboten. Die Rechtsschutzgarantie des Artikel 19 Absatz 4 GG garantiert effektiven Rechtsschutz binnen angemessener Zeit. Davon kann in vielen Kapitalanlegermusterverfahren keine Rede sein. Um Artikel 19 Absatz 4 Grundgesetz zu genügen, bräuchte es eine grundlegende und strukturelle Reform. Der Regierungsentwurf – mit Verlaub, Herr Minister – beschränkt sich dagegen auf rechtspolitisches Klein-Klein.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie haben die einzelnen Maßnahmen eben aufgelistet. Ich will sie noch einmal durchgehen und dabei die Gelegenheit nutzen, um einiges klarzustellen.

Erstens soll das Vorverfahren beim Landgericht verkürzt werden. Dazu werden Fristen etwa von sechs auf drei Monate verkürzt, oder es wird das Wort „unverzüglich“ klarstellend ergänzt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir reden hier über Verfahren, die Jahre oder Jahrzehnte dauern. Glaubt denn hier irgendjemand im Raum, dass eine Fristverkürzung um wenige Monate dazu führt, dass diese Verfahren spürbar beschleunigt werden? Ich tue es nicht. Und machen wir uns hier mal ehrlich: Man braucht kein Jurist, man braucht kein Fachanwalt für Kapitalmarktrecht zu sein, um zu dieser Erkenntnis zu gelangen. Es reicht ein wenig gesunder Menschenverstand, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Zweitens soll das Oberlandesgericht im Musterverfahren gestärkt werden. Es soll künftig die Feststellungsziele selbst formulieren können. Das ist ein berechtigtes Anliegen, allein es ist im Regierungsentwurf schlecht umgesetzt. Der weist hier nämlich deutliche Schwächen auf. Es ist schon unklar, auf welcher Grundlage das Oberlandesgericht diese Entscheidung überhaupt treffen soll, und dem Oberlandesgericht wird dann auch noch eine sehr kurze Frist gesetzt, die gerade in komplexen Fällen nicht ausreichend ist.

Drittens soll die Anzahl der Verfahrensbeteiligten reduziert werden. Hier wird im Gesetzentwurf schon von einem Trugschluss ausgegangen: Kapitalanlegermusterverfahren dauern nicht wegen der vielen Verfahrensbeteiligten überlange; sie dauern wegen der vielen komplexen Tatsachen und Rechtsfragen so lange. Wer hier Abhilfe schaffen will, der darf nicht nur das Prozessrecht anpacken, sondern der muss vor allem das materielle Recht anpacken, und das tun Sie in diesem Gesetzentwurf an keiner Stelle.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Darüber hinaus führt Ihre Lösung hier auch zu mehr statt weniger Verfahren. Künftig sollen nämlich eben nicht mehr alle Parallelverfahren bis zum Abschluss des Kapitalanlegermusterverfahrens ausgesetzt und anschließend an den gerichtlichen Musterentscheid gebunden werden. Das sorgt absehbar für mehr Individualverfahren, das schürt absehbar die Gefahr divergierender Entscheidungen, und das führt absehbar zu einer Mehrbelastung statt zu einer dringend nötigen Entlastung der Justiz.

Viertens sollen die Musterverfahren beschleunigt digitalisiert werden. Die erstinstanzlichen Prozessakten sollen ein Jahr früher elektronisch geführt werden müssen. Das ist zum einen zeitlich wenig ambitioniert. Zum anderen ist das Wort „erstinstanzlich“ bemerkenswert, das Sie, Herr Minister Buschmann, eben verschwiegen haben – aus gutem Grund. Im Referentenentwurf war das nämlich noch nicht enthalten. Da war vorgesehen, dass alle Akten, egal welche Instanz, vorzeitig digitalisiert werden. Was ist das denn, Herr Minister? Eine Rolle rückwärts bei der Digitalisierung der Justiz, bevor es überhaupt richtig losgeht? Das passt doch gar nicht zu Ihrem Digitalisierungsmantra. Aber wir erleben ja so oft, dass das mehr Fassade als Fundament ist, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Letztlich offenbart dieser Gesetzentwurf auch wieder eines: Sie von der Ampel haben immer noch keine Antwort auf eines der drängendsten Probleme der deutschen Zivilgerichtsbarkeit, nämlich immer mehr und immer neue Massenverfahren. Seit Wochen, Monaten, ja inzwischen Jahren warten Richter, warten Rechtsanwälte, warten Rechtssuchende hier auf eine Antwort. Etwas Überzeugendes fällt Ihnen nicht ein. Das Leitentscheidungsverfahren beim Bundesgerichtshof hat sich nach der Sachverständigenanhörung im Dezember endgültig als eine Luftnummer entpuppt. Seitdem sind weitere vier Monate vergangen,

(Axel Müller [CDU/CSU]: Nichts passiert!)

und still ruht der See. Kurzum: Sie bleiben sich als Ampel mal wieder treu – Rechtspolitik an den Realitäten, Rechtspolitik an den Prioritäten vorbei.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Zum Glück muss es diesmal schneller gehen. Sie haben nur bis zur Sommerpause Zeit. Ende August läuft das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz aus. Bis dahin müssen Sie liefern, und hoffentlich liefern Sie etwas Besseres ab als diesen Regierungsentwurf.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Plum. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Luiza Licina-Bode, SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der Abg. Tina Winklmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7609687
Wahlperiode 20
Sitzung 163
Tagesordnungspunkt Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes
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