12.04.2024 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 164 / Zusatzpunkt 22

Linda TeutebergFDP - Bekämpfung von Antisemitismus

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste! Die Situation und der Anlass dieser Debatte erlauben es nicht, alte Floskeln zu wiederholen – eine Art Selbsthypnose –, sondern sie erfordern von uns eine ebenso klare wie beschämende Lagefeststellung: Antisemitismus hat Platz – in unserem Land und international. Antisemitismus nimmt sich Platz, und er betritt immer unverfrorener den öffentlichen Raum.

Nach dem 7. Oktober 2023, der schlimmsten antisemitischen Barbarei seit der Shoah, müssen wir feststellen: Wir leben in einem Land, in dem weder junge Männer mit Kippa über die Straße laufen noch junge Frauen auf Hebräisch telefonieren können, in dem Synagogen, Rabbiner und israelische Botschaften wie militärische Sperrbezirke geschützt werden müssen. Dass wir mit dieser Situation international nicht allein sind, macht es nicht besser; das macht es umso besorgniserregender, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Deshalb sehen wir uns als Freie Demokraten und auch als Ampelkoalition selbstverständlich verpflichtet, an einem gemeinsamen Antrag, einer gemeinsamen Stellungnahme zu diesem Thema zu arbeiten.

Einige besonders wichtige Punkte sind uns dabei, dass wir etwa die Antisemitismusdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance unseren Entscheidungen, jedenfalls in der Zuständigkeit des Bundes, der Bundesregierung, zugrunde legen und den bereits erfolgten Beschluss des Deutschen Bundestages zur BDS-Bewegung bekräftigen und umsetzen.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Es schockiert immer wieder: Wie geschichtsvergessen kann man sein, wenn man verdrängt, dass Gewalt und Demütigung, dass Entrechtung und Markierung mit Boykott begannen. Auch dass gestern in einer großen Berliner Buchhandlung Bücher über Antisemitismus und die eines prominenten Autors systematisch zerrissen wurden, zeigt die dramatische Geschichtsvergessenheit einiger Aktivisten.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Albrecht Glaser [AfD])

Hier zeigt sich: Bei Antisemitismus geht es auch um eine panische Angst vor der Kraft des geistigen Arguments. Das zeigt auch, wie sehr es hier um eine viel größere Auseinandersetzung geht. Denn ein verbindendes Element bei Antisemitismus aus verschiedenen politischen Lagern und kulturellen Ursprüngen ist der Hass auf und die Verachtung des Westens als ideengeschichtlicher Ort und als Wertegemeinschaft. Der Erfolg liberaler Gemeinwesen wird als Imperialismus diffamiert. Dabei beruht er auf Werten, die uns wichtig sind: auf der Würde und Freiheit jedes Einzelnen,

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

dem Recht zur Persönlichkeitsentfaltung und vielem mehr. Die Grundrechte der Wissenschafts-, Religions-, Presse- und Redefreiheit führen in der Regel auch zu erfolgreicheren Gesellschaften, in denen es mehr Innovation, mehr Wohlstand, mehr persönliche Freiheit gibt. Das ist die eigentliche Auseinandersetzung, um die es hier auch geht.

Deshalb: Es macht sprachlos, wenn beispielsweise im Hamburger Bahnhof eine Performance abgebrochen wird, bei der Texte von Hannah Arendt gelesen werden. Solche Ereignisse machen einerseits sprachlos; das ist menschlich verständlich. Sie dürfen uns aber nicht sprachlos machen; sondern sie fordern uns zum Widerspruch auf und nicht zum routinemäßigen Klatschen wie bei der Berlinale, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der AfD)

Das zeigt noch mal: Es gibt in der Auseinandersetzung mit Antisemitismus kein Recht auf Geschichtsvergessenheit, keines auf Naivität und keines auf Konfliktscheu.

Wenn wir demnächst 75 Jahre Grundgesetz gedenken – und das Grundgesetz ist zutiefst inspiriert von der Erschütterung nach den Verbrechen, die von Deutschen ausgingen, dem Zivilisationsbruch der Shoah –, dann gilt es auch über konkrete Maßnahmen – da sind wir offen – zu sprechen.

Aber wichtiger als rechtspolitische Verschärfung ist, glaube ich, tatsächlich, dass wir das Richtige aussprechen, dass wir die Dinge, die leider nicht mehr so selbstverständlich sind, klären. Denn die Lehrerin in Neukölln, der Polizist auf der Straße oder der Leiter einer Hochschule stehen vor Entscheidungen darüber, wie sie sich verhalten. Die Entscheidung der Lehrerin, ob sie etwas zur Anzeige bringt, oder des Universitätspräsidenten, ob er dafür sorgt, dass das Hausrecht ausgeübt wird, wird getroffen, bevor staatliche Behörden eingreifen. Das heißt, dass wir als Politik – deshalb ist der gemeinsame Antrag so wichtig – das klare Signal senden müssen, diesen Menschen den Rücken zu stärken.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich zitiere, weil er schwierige Dinge anspricht, den Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, Martin Hikel. Er sagte:

„Wir pumpen unglaublich viel Geld in das Empowerment von Menschen, die von Diskriminierung betroffen sind. Aber Ungleichwertigkeitsgedanken innerhalb von Minderheiten blenden wir zu oft aus, zum Beispiel Ungleichwertigkeitsvorstellungen von Mann und Frau im orthodoxen Islamverständnis.“

– Ich ergänze: Wir könnten das auch auf antisemitische Vorfälle beziehen. –

„Das zu kritisieren, wird zu oft mit dem Vorwurf des Rassismus abgewehrt. Und das lernen Kinder und Jugendliche derzeit in vielen Projekten.“

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Deshalb müssen wir als Politik zeigen: Wir stärken den Lehrerinnen und Lehrern, den Polizistinnen und Polizisten, den Hochschulleitungen und allen, die das Grundgesetz täglich auf der Straße, auf dem Pausenhof durchsetzen müssen, den Rücken.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das muss das Thema und das Anliegen eines solchen gemeinsamen Antrages sein.

Ich bin mir ganz sicher, dass die Union, die Partei von Konrad Adenauer und Helmut Kohl, genau diese gute Absicht auch verfolgt: dass die Fraktionen der Mitte dieses Hauses die westlichen Werte, für die der Umgang mit Jüdinnen und Juden in einer liberalen Gesellschaft der Prüfstein ist, und die Wehrhaftigkeit unserer Demokratie gemeinsam entschlossen verteidigen und sich auch gemeinsam für eine mentale Zeitenwende, die gestern zu Recht in der Aktuellen Stunde gefordert wurde, einsetzen.

Für diese Gespräche stehen wir bereit. Wir wollen keine Gräben reißen, sondern wir wollen Brücken bauen. Wir werden diese Brücken noch dringend brauchen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Als Nächste hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion Gitta Connemann.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7609800
Wahlperiode 20
Sitzung 164
Tagesordnungspunkt Bekämpfung von Antisemitismus
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