Gunther KrichbaumCDU/CSU - 20 Jahre EU-Osterweiterung
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der 1. Mai 2004 – und damit 20 Jahre Osterweiterung – ist ein Datum, das wir in Kürze feiern, und es hängt aufs Engste mit unserer eigenen Geschichte zusammen; denn ohne all diese Länder hätte es weder eine deutsche Wiedervereinigung gegeben noch den Fall der Berliner Mauer oder den des Eisernen Vorhangs. Es war Helmut Kohl, der einst sagte: Die ersten Steine der Berliner Mauer wurden durch Ungarn herausgebrochen. – Ich würde ergänzen wollen, dass mindestens ein genauso großer Stein durch Polen herausgebrochen wurde; denn es war eine freie Gewerkschaft – die Solidarność –, es war eine kongeniale Konstellation der Gestirne, dass ein polnischer Papst im Vatikan saß, und es war vor allem ein freiheitsliebendes Volk wie die Polen, die ihrerseits den Push gegeben hatten, für mehr Demokratie, für mehr Rechtsstaatlichkeit einzutreten. Wir dürfen uns erinnern, dass es zeitweise den Bürgern der DDR verboten war, nach Polen zu reisen; sie hätten sich ja mit dem „Virus der Freiheit“ anstecken können. All das hat am Ende den Diktatoren in Osteuropa nicht geholfen. Deswegen freuen wir uns, dass wir dieses Datum jetzt als Jubiläum begehen dürfen.
Wir müssen allerdings auch zur Kenntnis nehmen, dass es nicht eine europäische Gründungsgeschichte gibt, nicht eine europäische Integration. Während wir – Deutschland, Frankreich, die Gründungsstaaten der Europäischen Gemeinschaft – sehr viel stärker über den Friedensgedanken in die Europäische Union gekommen sind, sind die Länder, an die wir heute besonders denken, über den Freiheitsgedanken in diese Europäische Union gekommen. Das müssen wir manchmal mehr in Rechnung stellen: die Sensibilität, die dadurch in diesen Ländern vorherrscht.
Das lenkt ganz besonders auch den Blick auf die künftigen Beitrittsstaaten und die, mit denen wir jetzt in Verhandlung treten. Ich glaube nicht, dass es richtig wäre, wenn wir die Beitritte der Zukunft so bewerkstelligen wollen wie die der Vergangenheit. Wir brauchen ein abgestuftes Beitrittsverfahren. Wir reden hier nicht über Länder wie Österreich oder andere, die im Zuge der Osterweiterung dazukamen. Wir reden hier über Länder, deren Abstand zu den rechtlichen Regelungen, auch zu den Werten der Europäischen Union, einfach noch ein viel größerer ist, als wir es aus der Vergangenheit kennen. Deswegen halte ich es persönlich für richtig, wenn wir die Messlatte nicht wie beim Hochsprung bei 2,10 Meter auflegen und man sich dann nur den Kopf anhaut, wenn man versucht, herüberzuspringen; sondern wir müssen das Beitrittsverfahren anders strukturieren, eher als eine Treppe, und hinter jede Stufe einen Mehrwert für die Bürgerinnen und Bürger hängen.
Das heißt beispielsweise, wenn ein Land zu 100 Prozent mit der Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union konform geht, dann lasst uns dieses Land bereits als assoziiertes Mitglied bezeichnen, mit Beobachterstatus im Europäischen Rat und im Europäischen Parlament. Das kostet uns keinen Cent und keinen Euro, wäre aber ein deutliches Signal in Richtung China und Russland, aber auch mit Blick auf Bosnien-Herzegowina, und, weil es erwähnt wurde, natürlich auch in Richtung Türkei und arabischer Raum. Diese geopolitischen Signale müssen wir heute geben, dringender denn je.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Es ist aber auch wichtig, dass wir als Europäische Union unsere Hausaufgaben machen Die Europäische Union muss aufnahmefähig sein. Das sind wir in diesem Zustand nicht. Wir müssen beispielsweise die Mehrheitsprinzipien verändern und mit Mehrheitsentscheidungen in Zukunft Prozesse auf den Weg bringen, damit es schneller geht. Wir müssen es auch Ländern mehr als in der Vergangenheit zugestehen, über den Prozess der sogenannten verstärkten Zusammenarbeit voranzugehen und andere Länder mitzuziehen. Das halte ich für wesentlich, auch für die Zukunft.
Ein letzter Satz sei in Richtung der jungen Generation gerichtet, die heute auch zahlreich auf den Tribünen vertreten ist. Wenn Sie Klassenfahrten machen, bitte denken Sie nicht nur – so schön die Länder und die Städte sind – an London, Paris, Madrid und Co! Fahren Sie auch mal bitte nach Bukarest, nach Sofia, in genau die Städte der Länder, an die wir heute denken, auch wenn Bulgarien und Rumänien erst drei Jahre später zur Europäische Union kamen! Europa lebt vom Zusammenleben. Wir haben heute glücklicherweise viele Städtepartnerschaften mit Frankreich. Aber genau diese Aussöhnung muss Pate stehen für ganz andere Regionen in Europa, wo diese Aussöhnung noch dringend notwendig ist, damit wir von einem vereinten Europa sprechen können.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Als Nächster hat das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Robin Wagener.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7610371 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 166 |
Tagesordnungspunkt | 20 Jahre EU-Osterweiterung |