Thomas HackerFDP - 20 Jahre EU-Osterweiterung
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bilder haben sich eingeprägt fürs Leben: Glückliche Menschen tanzen auf der Berliner Mauer. In den baltischen Ländern bilden sich kilometerlange Menschenschlangen und singen. Massendemonstrationen in Prag, Budapest oder Bratislava werden nicht niedergeschlagen; diesmal bleiben die sowjetischen Panzer in den Kasernen. Glasnost und Perestroika verändern Europa.
Das Aufbegehren gegen die sowjetische Diktatur: In den friedlichen, singenden oder samtenen Revolutionen erkämpften sich mutige Europäerinnen und Europäer ihre Freiheit.
(Zuruf des Abg. Norbert Kleinwächter [AfD])
Der Zerfall der kommunistischen Gewaltherrschaft erfolgte nicht überall friedlich. In Rumänien ließ Ceaușescu wahllos auf die Demonstranten schießen. Der Zerfall Jugoslawiens hatte furchtbare Bruderkriege zur Folge, bis schließlich die NATO eingriff. Spannungen bleiben bis heute. Und doch: Der Fall des Eisernen Vorhangs schuf ein neues Europa, ein geeintes und freies Europa.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die Gründerväter und -mütter der Europäischen Union nutzten nach dem Zweiten Weltkrieg die Chance, das Fundament zu legen für Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Selbstbestimmung und Wohlstand. Die Menschen in Mittel- und Osteuropa sehnten sich nach den gleichen Werten und bekamen sie viele Jahre nicht.
Die Aufteilung Europas durch den Molotow-Ribbentrop-Pakt von 1939 und die Konferenz von Jalta 1945 wirkte nach. In den Staaten des Warschauer Pakts erstickten die Regime jeden Versuch der Freiheit und Selbstbestimmung im Keim. Aber 1989 wurde Undenkbares Realität: Der wirtschaftliche und moralische Zerfall der Regime war nicht mehr aufzuhalten. Die Freiheit hatte gesiegt, die Demokratie.
Jetzt machten sich die Länder auf, Teil der westlichen Staatengemeinschaft zu werden: in der Sicherheitspolitik, in der Wirtschaftspolitik. Der Beitritt zur Europäischen Union von Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, der Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern 2004, vor 20 Jahren, und von Bulgarien, Rumänien und Kroatien wenige Jahre später war die logische Konsequenz. Geschichte hat sich vollendet.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Der Beitritt der Staaten war nicht frei von Sorgen, von Vorurteilen der bisherigen Mitglieder. Es gab Übergangsfristen; volle Freizügigkeit ließ noch auf sich warten. Aber: Die EU wurde nicht von billigen Arbeitskräften, Handwerksbetrieben oder Preisdumping überschwemmt. Das Wohlstandsversprechen für die Neumitglieder war kein Märchen. Wirtschaftliche Zusammenarbeit bringt Wachstum, und Wachstum bringt Arbeitsplätze und Wohlstand.
(Zuruf des Abg. Norbert Kleinwächter [AfD])
Die Länder haben sich erfolgreich in den EU-Binnenmarkt integriert. Ihr Bruttoinlandsprodukt ist deutlich gestiegen, die Arbeitslosenquote gesunken. Sie sind zum Ziel ausländischer Direktinvestitionen geworden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute können wir mit Stolz sagen: Die Erweiterung der EU um die Länder Mittel- und Osteuropas ist ein Erfolg, ein grandioser Erfolg.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine stehen wir wieder vor einer neuen Realität. Wie nach 1989 ist die Strahlkraft der EU in ihrer Nachbarschaft nicht erloschen. Die sechs Staaten des Westbalkans, die Republik Moldau, Georgien und die Ukraine sehen ihre Zukunft in der EU. Neue geostrategische Notwendigkeiten bringen eine neue Dynamik, öffnen neue Beitrittsperspektiven. Gleichzeitig muss sich die EU selbst auf die nächsten Erweiterungen vorbereiten. Allen Beitrittsaspiranten muss aber auch klar sein: Die EU ist mehr als ein Wirtschaftsverein, sie ist ein Wertebündnis. Zum Fundament der EU gehören die Freiheitsrechte und die Kopenhagener Kriterien, die Achtung der Rechtsstaatlichkeit, die Wahrung von Menschenrechten, der Schutz von Minderheiten. Reformen im Vorfeld des Beitritts müssen unumkehrbar sein.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor 20 Jahren wurde die Europäische Union ein Stück größer, ein Stück besser, ein Stück vollkommener. Vollkommen wird Europa erst sein, wenn die Länder des westlichen Balkans, wenn die Ukraine, Moldau und perspektivisch Georgien gleichberechtigte Teile des gemeinsamen Europas sind – in Freiheit, in Frieden.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Als Nächster hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion Ralph Brinkhaus.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7610375 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 166 |
Tagesordnungspunkt | 20 Jahre EU-Osterweiterung |