25.04.2024 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 166 / Tagesordnungspunkt 7

Derya Türk-NachbaurSPD - Sanktionen gegen das iranische Regime, Ein Jahr Iran-Revolution

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit gestern wissen wir es nun. Die bittere Wahrheit ist: Der bekannte Rapper Toomaj Salehi – wir haben es heute mehrfach schon gehört –, ein Star in Iran, soll sterben, weil er es gewagt hat, in seinen Songs Systemkritik zu üben. Meine Kollegin Ye-One Rhie, die seine politische Patenschaft übernommen hat, wird gleich sicher mehr über ihn und über diesen lächerlichen Schauprozess erzählen, bei dem ihm „Korruption auf Erden“ vorgeworfen wird. Viele meiner demokratischen Kolleginnen und Kollegen haben solche Patenschaften übernommen, und dafür sind wir wirklich sehr dankbar.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Anikó Glogowski-Merten [FDP])

Toomaj Salehi ist eine Symbolfigur der Protestbewegung Irans geworden. Sein Name, sein Gesicht und sein Schicksal stehen für viele Tausend Verfolgte, für viele Tausend Inhaftierte, für viele Tausend zum Tode Verurteilten in diesem Terrorstaat, der nicht davor zurückschreckt, seine eigenen Bürger/-innen zu unterdrücken, zu foltern oder zu töten. Was ist das für ein Regime, in dem Songtexte und der Ruf nach Freiheit als sogenannte „Korruption auf Erden“ mit dem Tod bestraft wird, während der Abwurf von Raketen auf Israel als heroische Tat gefeiert wird? Was ist das für ein System, in dem Hass mit Gold und Ehre und die Sehnsucht nach Freiheit mit dem Leben bezahlt wird? Was ist das für ein Staat, dessen Fundament aus Einschüchterung, Überwachung und Repressionen besteht?

Dass der UN-Menschenrechtsrat auf Deutschlands und Islands Betreiben hin bereits kurz nach der Protestwelle nach Jina Mahsa Aminis Ermordung im November 2022 eine Fact Finding Mission eingesetzt hat, war richtig. Der Bericht, der vor einigen Wochen veröffentlicht worden ist, bestätigt das, was wir hier bereits wussten. Nun sind Beweise herangetragen, der Bericht ist veröffentlicht worden. Zum ersten Mal seit Bestehen der Islamischen Republik ist der Terror der Machthaber gegen die Bevölkerung dokumentiert worden. Und zum ersten Mal wird der Ausdruck „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ in einem offiziellen Bericht über die Situation im Iran verwendet. Das ist ein historischer Wendepunkt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Nun steht es schwarz auf weiß: Das Regime führt weit verbreitete und anhaltende Menschenrechtsverletzungen gegen sein eigenes Volk durch, es verstößt gegen internationale Gesetze und hat speziell Frauen ins Visier genommen. Frauen, so sagt der Bericht, wurde aus nächster Nähe gezielt ins Gesicht und in die Genitalien geschossen. Nicht nur dies sind Beweise für Verbrechen des Staates gegen die eigene Zivilbevölkerung. ln dem Bericht wird von Mord, Inhaftierung, Folter, Vergewaltigung und anderen Formen sexueller Gewalt, Verfolgung, erzwungenem Verschwindenlassen und anderen unmenschlichen Handlungen und weit verbreiteten und systematischen Angriffen gegen die eigene Bevölkerung gesprochen. Auch steht drin, dass neun Hinrichtungen von Personen, die während der Proteste verhaftet wurden, ohne faires Verfahren und ohne ordentliche Prozessgarantien stattfanden. Was für eine Überraschung!

Warum also sollte ein Regime, das seine eigenen Bürger/-innen terrorisiert, davor zurückschrecken, andere Länder zu terrorisieren? All das macht ein Staat, der als Mitglied der Vereinten Nationen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte anerkennt und den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte ratifiziert hat. Man kann es kaum glauben. Die iranische Verfassung enthält sogar einen umfassenden Grundrechtskatalog. Dass das nicht mehr als nur Lippenbekenntnisse sind, wissen wir nicht erst seit dem 16. September 2022.

Wir haben zu lange weggeschaut. Auch wir haben zugelassen, dass jahrzehntelang Folter und Missbrauch, Willkür und Korruption dieses Land geprägt haben. Nicht nur wir, alle Mitgliedstaaten Europas müssen sich positionieren. Sich positionieren, heißt in diesem Fall auch sanktionieren. Gut, dass auf europäischer Ebene weitere Verschärfungen der Sanktionen beschlossen wurden, auch auf unser Betreiben hin.

Nach dem Angriff Teherans auf Israel vor wenigen Tagen, bei dem mehr als 300 Geschosse von verschiedenen Seiten auf Israel abgefeuert wurden, war diese Ausweitung des Sanktionspakets mehr als überfällig. Was ich leider nicht nachvollziehen kann, ist, dass sich die europäischen Außenminister nicht darauf einigen konnten, die islamischen Revolutionsgarden als terroristische Organisation einzustufen. Gemeinsam mit den Revolutionsgarden möchte ich persönlich die Abgeordneten, die für die Hinrichtung von Protestierenden gestimmt haben, die Richter und die Henker auf diesen Terrorlisten sehen. Ich möchte diese sogenannte Sittenpolizei, die junge Frauen auf offener Straße bis zur Bewusstlosigkeit prügelt, auf diesen Terrorlisten sehen.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Das ist das, was Europa tun kann.

Schauen wir auf das, was wir tun können: Ja, das IZH schließen. Die Vorbereitung des Vereinsverbots dieser islamistischen Vereinigung, des Islamischen Zentrums Hamburg, als verlängerter Arm Irans in Deutschland, läuft auf Hochtouren. Sie haben es mitbekommen.

(Beatrix von Storch [AfD]: Haben wir 2017 schon beantragt! Vor sieben Jahren! Alles nicht überraschend! – Gegenruf der Abg. Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Knopf im Ohr!)

Es gab Großrazzien in den letzten Wochen und Monaten, Ermittlungen gegen das IZH und fünf weitere Vereinigungen. Zum Glück wissen wir: Die Tage des IZH sind gezählt. Tatsächlich hat man sie viel zu lang gewähren lassen, und ich bin sehr froh, dass Nancy Faeser jetzt durchgreift.

Was wir noch tun können, ist, die iranischstämmigen Mitbürger/-innen, die sich bei uns in Deutschland an den Protesten gegen das Mullah-Regime beteiligen, besser zu schützen. Ja, es braucht einen Regime Change im Iran, damit die vielfältige iranische Gesellschaft in Frieden und Freiheit leben kann, damit es Frieden und Freiheit auch im Nahen Osten gibt.

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Gern. – Den Regime Change können nur die Iraner/-innen herbeiführen. Bis dahin ist es unsere Aufgabe, die demokratischen Kräfte und die aktive Zivilgesellschaft zu schützen und zu stützen. Das bedeutet auch, Abschiebungen in den Iran auszusetzen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Die nächste Rednerin ist Clara Bünger für die Gruppe Die Linke.

(Beifall bei der Linken – Peter Beyer [CDU/CSU]: Klatschen können sie ja!)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7610409
Wahlperiode 20
Sitzung 166
Tagesordnungspunkt Sanktionen gegen das iranische Regime, Ein Jahr Iran-Revolution
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