25.04.2024 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 166 / Tagesordnungspunkt 7

Ye-One RhieSPD - Sanktionen gegen das iranische Regime, Ein Jahr Iran-Revolution

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die iranische Revolution ist eine Geschichte von Stärke und Schwäche – von der Schwäche eines Regimes, das sich vor seinen eigenen Bürgerinnen und Bürgern fürchtet, so sehr, dass es zu Gewalt und Terror greift, und von der Stärke der Iraner/-innen, die gegen ihre jahrzehntelange Unterdrückung protestieren und wissen, dass sie im Zweifel dafür mit dem Leben bezahlen, von der Stärke, für die Freiheit aller die eigene Freiheit aufzugeben.

Diese Stärke hat viele Gesichter. Eines davon ist Toomaj Salehi. Toomaj ist 33. Er ist Musiker, eine laute Stimme für Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Die Iraner/-innen lieben ihn. Er ist ein Löwe, der Sohn der Nation. Er ist einer von ihnen, der Worte findet für den gemeinsamen Wunsch nach Freiheit, nach einem Land, in dem Menschen keine Angst haben, nach Hoffnung. Dafür soll Toomaj Salehi sterben.

Toomaj wusste, was ihm droht, als er nach dem Tod von Jina Mahsa Amini auf die Straße ging. Er wusste es und protestierte trotzdem. Er rappte weiter kritische Texte. Das ist Stärke, wie wir sie uns kaum vorstellen können.

Im Oktober 2022 wurde er festgenommen, körperlich und seelisch gefoltert. Das Regime wollte zeigen, dass man jede Stärke brechen kann – vergeblich. Toomaj blieb im Gefängnis ohne medizinische Versorgung, lange ohne selbst gewählten Anwalt. Über 250 Tage saß er in Isolationshaft, ohne Kontakt zur Außenwelt, eine unvorstellbare Folter.

Vorgeworfen wurden ihm „Korruption auf Erden“ und „Krieg gegen Gott“, beides Anklagepunkte, die alles und nichts heißen und die mit dem Tode bestraft werden können. Dass einer dieser Punkte fallen gelassen wurde, ist ein kleiner Erfolg. Auch das Urteil im letzten Jahr, sechs Jahre Haft, war ein kleiner Funken Hoffnung. Dieser eine Satz, liebe Kolleginnen und Kollegen, zeigt doch die ganze Absurdität dieses Prozesses. Sechs Jahre Haft für einen unschuldigen Menschen! Wie kann das Hoffnung sein? Es ist Hoffnung in einem Regime, das Willkür statt Rechtsstaatlichkeit übt.

Und Willkür ist das, was Toomaj weiter passierte. Vor einigen Monaten wurde er auf Kaution freigelassen, ohne weitere Begründung. Kaum war er frei, machte er ein Video. Er sprach über seine Zeit im Gefängnis, über die Folter, über seine Verletzungen am Auge, an der Hand, am Bein. Seine Ärzte sagten ihm: Ohne Behandlung wird es bleibende Schäden geben. – Bevor er operiert werden konnte, nahm ihn das Regime erneut fest – wegen des Videos, wegen der „Ermutigung zu Gewalttaten“ und der „Veröffentlichung von Lügen in Medien“. Beide Anklagepunkte wurden fallen gelassen. Selbst dem Regime waren sie anscheinend zu schwach. Übrig blieb der ursprüngliche Vorwurf „Korruption auf Erden“, für den er, wie gesagt, im vergangenen Jahr bereits verurteilt wurde, für den er sechs Jahre Haft bekommen hat. Gestern entschied das Gericht bei derselben Aktenlage auf Hinrichtung. Toomaj Salehi soll sterben, weil er einem schwachen Regime immer wieder seine eigene Stärke zeigt.

Als Toomajs politische Patin will und kann ich das nicht einfach so hinnehmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin froh, dass ich mit dieser Einstellung nicht allein bin. Fraktionsübergreifend haben Hunderte Bundestagsabgeordnete politische Patenschaften im Iran übernommen, weil wir etwas tun wollen, weil wir die Stärke der Menschen im Iran sehen und weil wir uns ärgern, wie schwach die EU gegenüber diesem Regime auftritt. Denn schwach ist, wenn man Terror sieht, Terror erkennt, aber keinen Mut hat, diesen so zu benennen.

(Beifall der Abg. Luiza Licina-Bode [SPD])

Schwach ist, wenn man sich erpressen lässt, wenn man verspricht, keine schärferen Sanktionen mitzutragen, wenn man mutmaßliche Terroristen freilässt, wenn man Gelder freigibt, die eingefroren waren, um eigene Staatsbürger/-innen aus dem Iran freizubekommen. Diese Schwäche sieht das Regime im Iran. Es sieht, dass seine „Geiseldiplomatie“ wirkt. Diese Schwäche führt nicht dazu, dass sogenannte Doppelstaatler/-innen sicherer sind – ganz im Gegenteil.

Glaubt wirklich irgendjemand, dass das Regime das freigegebene Geld – rund 6 Milliarden Dollar im vergangenen Sommer – für seine Bürger/-innen ausgibt, für Bildung, für Infrastruktur? Nein! Dieses Geld finanziert den Terror im eigenen Land, den Terror im Nahen Osten, den Terror der Hisbollah, den Terror der Hamas. Es finanziert Waffen, die gegen die Ukraine, die gegen Israel eingesetzt werden. Deshalb ist es gut, dass die Bundesregierung mehr Stärke zeigt als einige unserer Partner. Wir zeigen Stärke, auch wenn es wehtut.

Viele von uns im Parlament kennen Mariam Claren, die das politische Patenschaftsprogramm mitaufgebaut hat, die immer wieder über den sichtbaren und unsichtbaren Terror des Regimes im Iran aufklärt, und das, während ihre eigene Mutter Nahid Taghavi im Evin-Gefängnis sitzt – als deutsche Staatsbürgerin, unschuldig, mit angeschlagener Gesundheit. Natürlich kämpft Mariam um die Freiheit ihrer Mutter. Aber sie weiß wie kaum eine andere, dass die Freiheit Nahids nichts wert ist, wenn dafür bei anderen Verbrechen weggesehen werden muss.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die iranische Revolution ist eine Geschichte von unfassbarer Stärke und grausamer Schwäche. Vor diesem Hintergrund ist es nur richtig, dass wir uns selbst die Frage stellen: Was macht uns stark oder schwach? Macht es uns wirklich schwach, wenn wir Terror klar benennen, wenn wir mehr und härtere Sanktionen verhängen, wenn wir uns auf die richtige Seite stellen – gegen das Regime, für die Menschen –, nur weil wir damit vielleicht allein dastehen? Sind wir wirklich politisch stark, wenn wir nur das fordern, was wir sicher durchsetzen können? Ist Stärke nicht vielmehr, mit einer klaren Haltung voranzugehen, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen, starken Menschen Hoffnung zu geben, starken Menschen wie Toomaj, wie Mariam und Nahid, wie Zaman und Narges, wie so vielen Menschen im Iran, deren Namen und Gesichter wir nicht kennen?

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Linken)

Nächster Redner ist der fraktionslose Abgeordnete Robert Farle.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7610419
Wahlperiode 20
Sitzung 166
Tagesordnungspunkt Sanktionen gegen das iranische Regime, Ein Jahr Iran-Revolution
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