Johannes ArltSPD - Nationaler Veteranentag, Versorgung der Veteranen
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kameradinnen und Kameraden und liebe Veteranen auf den Tribünen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Minister! Liebe Frau Wehrbeauftragte! Meine Damen und Herren! Vor wenigen Tagen erhielt ich eine Nachricht per Facebook. In ihr stand Folgendes:
„Ich habe Abikameraden getroffen, die es nach Kosovo-Einsätzen kaum mehr geschafft haben, sich im Leben zurechtzufinden. Ich fand es erschreckend. Fast noch mehr erschreckt hat mich (aber) die Tatsache, wie wenig Menschen davon wissen.“
Wie viel wissen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, eigentlich über Veteranen? Stolpern Sie über die Worte „Veteran“ oder „Veteranenpolitik“? Oder haben Sie gar Assoziationen mit alten, liebevoll gepflegten Autos? Das Wort „Veteran“ wird in unserer Gesellschaft wenig genutzt. Damit muss Schluss sein. Wir brauchen mehr Sichtbarkeit! Und wir brauchen mehr Anerkennung für unsere Soldatinnen und Soldaten und Veteraninnen und Veteranen. Darum brauchen wir einen Veteranentag in Deutschland.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD)
Soldaten sind nach dem Auftrag des Grundgesetzes für Landes- und Bündnisverteidigung zuständig. Seit 30 Jahren entsenden wir unsere Soldaten aber auch in Auslandseinsätze, und sie leisten auch in dieser Stunde hochprofessionell ihren Dienst. Sie sind oft um Erfahrungen reicher und persönlich gestärkt zurückgekommen. Sie hatten dort Erlebnisse, die sie an und über die persönlichen Grenzen gebracht haben. Die meisten werden ihr Leben lang an diese Zeit von Kameradschaft und sinnstiftender Tätigkeit zurückdenken. Manche Soldaten aber wurden verwundet. Einige, zum Glück recht wenige, wurden getötet oder sind sogar gefallen. Wir denken am heutigen Tag an 116 getötete, aber insbesondere auch an 37 gefallene Soldaten.
Doch was passierte den Soldaten, die nach ihrem Einsatz zurückkehrten? Wir haben unsere Soldaten als Gesellschaft nicht gefragt, was sie im Einsatz erlebt haben. Wir waren bequem. Uns ist nicht aufgefallen, dass es vielen von ihnen eben nicht gut geht. Auch ihren Familien geht es nicht gut. Soldaten sind psychisch und physisch verwundet worden, und ihr Leben wurde nach der Rückkehr nie wieder in normale Bahnen gelenkt. Und ja: Heute gedenken wir auch der Kameraden, die aufgrund ihrer seelischen Verwundungen ihrem Leben ein Ende gesetzt haben, im Schnitt einer pro Woche.
Zur Anerkennung und zum Respekt gehört auch Hinschauen, dazu gehört auch Empathie. Und auch deswegen brauchen wir einen Veteranentag in Deutschland!
Ich möchte Sie mitnehmen und Sie die Stimme eines Veteranen hören lassen, der schildert, was PTBS auslösen kann. Er war mein Ausbilder. Wir haben in Mali den Container geteilt, und nun ist er wie viele andere Kameradinnen und Kameraden schwer erkrankt. André Hassan Khan, bei der Luftwaffe auch „HK“ genannt, hat ein Buch über seine Erlebnisse geschrieben. Ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin:
„Im Leben zuvor hatte ich es als Berufssoldat auf 1 500 Einsatztage in 27 Auslandseinsätzen gebracht. Meistens Afghanistan, aber auch Mali, Usbekistan oder Sarajevo. Ich gehörte zu den Pionieren im Bereich der ferngelenkten Luftfahrzeuge der Bundeswehr und versorgte als Sensorbediener die Truppe mit wichtigen Informationen aus der Vogelperspektive. Ich war derjenige, der nahezu in Echtzeit die Erstbewertung der Bilder vornahm, die von der Maschine geliefert wurden. … Meine Arbeit … verlangte viel von mir ab, erfüllte mich aber auch.
Bis zu jenem Ereignis, das meine Welt ins Wanken brachte. Die Taliban griffen eine Militärbasis der Afghanischen Armee an und metzelten bis zu 256 Menschen nieder. Fast alle waren unbewaffnet. In der deutschen Presse wurde darüber berichtet, doch schon bald geriet diese Tragödie in Vergessenheit. … Für mich war dieses Ereignis keine Meldung unter vielen. Für mich begann an diesem Tag der Kampf gegen einen heimtückischen Feind, dessen Existenz ich lange ignorierte und dessen Namen ich erst viel später erfuhr: PTBS.“
Ein Erlebnis eines deutschen Veteranen, das exemplarisch für Tausende Geschichten steht.
Heute ist einer dieser Tage, auf den viele Menschen in diesem Land lange gewartet haben, für den sie lange gekämpft haben und den sie auch fast aufgegeben haben, ein Tag der Hoffnung. Insgesamt 10 Millionen Deutsche sind Veteranen – nach der Definition unseres Verteidigungsministeriums. Kaum einer weiß aber davon. Und nach unserem Verständnis gehören auch die Kameradinnen und Kameraden der Polizei dazu, die in Auslandseinsätzen Dienst geleistet haben. Um dafür Bewusstsein zu schaffen, brauchen wir den Veteranentag!
Meine Damen und Herren, heute schlagen wir ein neues Kapitel auf. Dieser Antrag ist der Beginn einer neuen Veteranenpolitik für Deutschland. Wir führen einen nationalen Veteranentag am 15. Juni ein und werden die Versorgung für Veteraninnen und Veteranen und ihre Familien umfassend verbessern. Wir tun dies gemeinsam, und wir tun das mit Stolz auf die Tradition der Parlamentsarmee. Daher kommt unsere Initiative aus der Mitte des Parlaments und ist ein gemeinsames Projekt der Regierungsfraktionen der Ampel mit der CDU/CSU. Ich möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich beim Bundeskanzler und beim Bundesverteidigungsminister bedanken und bei der Bundestagspräsidentin für ihre Unterstützung und den Rückenwind bei dieser Initiative.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Doch wie soll der Veteranentag aussehen? Er soll offen und sichtbar sein. Er ist für alle zugänglich. Er strahlt Lebensfreude und Gemeinschaft aus. Kein Nieselregen und keine grauen Handschuhe.
Wir wären heute nicht an diesem Punkt angelangt und ich selbst könnte heute als Soldat und Einsatzveteran nicht an diesem Pult stehen ohne das unermüdliche Engagement vor allen Dingen der jungen und wachsenden und sehr digitalen Veteranenbewegung, des BundeswehrVerbandes, des Reservistenverbandes, die uns Politiker immer wieder daran erinnert haben, dass es in unserer Erinnerungskultur eine Leerstelle gibt, die geschlossen werden muss. Sie haben das manchmal leise getan und oft auch laut. Ganz besonders hervorzuheben ist dabei das Invictus Team; denn die Invictus Games 2023 – eine Olympiade für Veteraninnen und Veteranen – haben es in Deutschland erstmals möglich gemacht, dass viele Menschen in den „Tagesthemen“ mit den Themen Einsatzschädigung, PTBS und Veteranen konfrontiert wurden.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Meine Damen und Herren, liebe Veteranen, der Antrag hat zwei Säulen: Neben der gesellschaftlichen Wertschätzung legen wir gemeinsam ein ambitioniertes Arbeitsprogramm zur Verbesserung der Absicherung von Veteraninnen und Veteranen auf. Wir waren nicht untätig, im Gegenteil: Deutschland hat in den Jahren der Einsätze im NATO-weiten Vergleich eine gute Versorgung einsatzgeschädigter Soldaten aufgebaut. Diese wird mit dem 2025 in Kraft tretenden Soldatenentschädigungsgesetz noch verbessert. Und doch gibt es weitere Dinge zu tun. Wir möchten nicht nur wertschätzen, sondern auch in der konkreten Situation von Veteranen Verbesserungen erreichen, die Versorgung der Familien stärken und mehr Empathie und Problembewusstsein in der Fallbearbeitung verankern.
Ein Beispiel für das, was wir besser machen können, ist eine Bürgeranfrage einer Ehefrau von vor wenigen Wochen. Ihr schwer traumatisierter Ehemann wollte ein zweiwöchiges Praktikum bei einer Firma machen, um eine Wiedereingliederung zu testen. Es gab ein Angebot vonseiten der Firma und das Datum für den Beginn des Praktikums, aber die Bundeswehr erteilte keinen Bescheid, der so dringend benötigt wurde. Der Mann hat ein riesiges Problem, mit Behörden zu kommunizieren, und große Angst. Ich habe mich eingeschaltet und von einem hohen Vorgesetzten gehört, dass es 15 bis 17 Beteiligte an dem Genehmigungsverfahren dieses Praktikums gibt. Er konnte mir auf Nachfrage nicht benennen, wer letztendlich über diesen Praktikumsantrag entscheiden kann. Das zeigt, dass wir einen Mentalitätswechsel im Umgang mit Veteranen brauchen und auch eine andere Verwaltungskultur. Wir brauchen mehr Entscheidungsfreude, mehr Spielraum, mehr Beinfreiheit der Sachbearbeiter, damit diese im Sinne der Betroffenen entscheiden können, zum Beispiel auch im Umgang mit Radarstrahlengeschädigten.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Lassen Sie mich einige Punkte noch einmal hervorheben: Wir schließen eine Lücke im Einsatz-Weiterverwendungsgesetz. In Zukunft können auch ehemalige Berufssoldaten, die zwischenzeitlich die Bundeswehr auf eigenen Wunsch verlassen haben, bei einer einsatzbedingten Erkrankung Schutz und Hilfe erhalten. Des Weiteren möchten wir ermöglichen, dass eine leichte Ansprechbarkeit für Geschädigte bundesweit verfügbar ist. Soldaten sollen in Zukunft auch dann Versorgung erfahren, wenn aufgrund von mangelnder und fehlender Dokumentation einsatzbedingter Schädigungen der Nachweis nicht gerichtsfest erbracht werden kann.
(Beifall der Abg. Marianne Schieder [SPD] und Frank Müller-Rosentritt [FDP])
Wir wollen eine maximale Verfahrensdauer von der Antragstellung bis zum ersten Bescheid von sechs Monaten einführen, und das, ohne dass sich die Position der Antragsteller verschlechtert. Auch die Einrichtung einer speziellen Rehaklinik werden wir prüfen.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich danke der Arbeitsgruppe Veteranenpolitik, also Kerstin Vieregge, Merle Spellerberg, Christian Sauter, Kristian Klinck und Falko Droßmann, die diesen sehr aufregenden Prozess mit begleitet haben. Es liegt viel Arbeit vor uns, Arbeit, die wir jetzt gemeinsam als Regierungsfraktionen mit der Union angehen und abarbeiten werden. Veteranenpolitik – die Versorgung unserer geschädigten Soldatinnen und Soldaten – darf nicht davon abhängen, wer die Regierung führt. Darum machen wir das zusammen.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Sehr geehrte Veteranen, liebe Kolleginnen und Kollegen, heute ist ein Tag großer Freude über das Erreichte, über diesen riesigen Schritt in Richtung von mehr gesellschaftlicher Wertschätzung. Morgen aber geht es wieder an die Arbeit. Allen Kameraden rufe ich zu: Semper talis und danke für euren Einsatz.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Die nächste Rednerin ist Kerstin Vieregge für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7610428 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 166 |
Tagesordnungspunkt | Nationaler Veteranentag, Versorgung der Veteranen |