Eva Högl - Jahresbericht 2023 der Wehrbeauftragten
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Sehr geehrter Herr Bundesminister Pistorius! Ich grüße auch die Soldaten oben auf der Tribüne.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Heute ist ein richtig guter Tag für unsere Veteraninnen und Veteranen, für unsere Bundeswehr. Denn es ist grandios, dass hier heute Mittag ein nationaler Veteranentag beschlossen wurde.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Die Debatte war wirklich bewegend, und das war eine wichtige Entscheidung. Ich freue mich schon heute auf den 15. Juni im nächsten Jahr, den wir groß begehen werden.
Meine Damen und Herren, sehr geehrte Abgeordnete, unsere Soldatinnen und Soldaten sind spitze. Sie leisten jeden Tag ihren Dienst und erfüllen professionell, engagiert, pflichtbewusst und kreativ ihren Auftrag. Auf unsere Bundeswehr ist Verlass. Wir können sehr stolz auf unsere Bundeswehr und sehr dankbar für sie sein.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Im Jahr 2023 war unsere Bundeswehr wieder enorm gefordert:
Erstens durch die Unterstützung der Ukraine. Die Abgabe von Material reißt auch große Lücken in den Bestand unserer Bundeswehr. Und eine wirklich grandiose Leistung ist, dass im vergangenen Jahr 10 000 ukrainische Kräfte von unseren Soldatinnen und Soldaten ausgebildet wurden. Das war herausragend.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Zweitens sind unsere Soldatinnen und Soldaten natürlich in der Landes- und Bündnisverteidigung gefordert. Sie zeigen massive Präsenz an der NATO-Ostflanke. Und 2023 hatte die Bundeswehr die Führung der schnellen Eingreiftruppe der NATO, VJTF, inne.
Und als Drittes möchte ich, nicht zu vergessen, das internationale Krisenmanagement nennen. Auch da ist die Bundeswehr weiterhin sehr gefordert. Wir erinnern uns an die Evakuierungsoperation im Sudan, das Ende des Mali-Einsatzes. Dazu gehört auch der Krieg im Nahen Osten – er dauert an – und die Lage in Israel.
Wir haben im Amt der Wehrbeauftragten im vergangenen Jahr 3 859 Vorgänge bearbeitet, davon waren 2 423 individuelle Eingaben von Soldatinnen und Soldaten. Und wir haben 944 sogenannte meldepflichtige Ereignisse verfolgt. Die Zahlen sind wie im Vorjahr.
Ich habe 90 Truppenbesuche gemacht. Ein wichtiger Teil meiner Aufgabe sind die Gespräche vor Ort in den Kasernen mit den Soldatinnen und Soldaten. Ich war 123 Tage vor Ort bei der Truppe, im Inland und im Ausland: in Mali, Anfang des Jahres in Litauen, in Frankreich, in Großbritannien, in den USA, und ich habe die „Gorch Fock“ in Portugal besucht.
An dieser Stelle möchte ich ganz herzlich meinen Kolleginnen und Kollegen im Amt der Wehrbeauftragten danken – einige sitzen dort –,
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
die mich bei der Erstellung des Jahresberichtes, bei der Vorbereitung der Truppenbesuche unterstützen und diese begleiten und die die Eingaben bearbeiten. Jeden Tag kümmern sie sich engagiert mit viel Herzblut und Sorgfalt um die Angelegenheiten unserer Soldatinnen und Soldaten.
Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, 2023 ging es darum, unter Hochdruck die Einsatzbereitschaft unserer Bundeswehr herzustellen und die Rahmenbedingungen zu verbessern: Material, Personal, Infrastruktur. Ich nenne das im Jahresbericht die „Dauerbrenner“. Ich sage schon jetzt: Es ist viel passiert, es ist viel auf den Weg gebracht worden, aber es ist weiterhin noch viel zu tun.
Ganz kurz ein Blick auf das Material. Man muss es so zusammenfassen – das ist die Lage –: Die Bundeswehr hat immer noch von allem zu wenig: Munition, Ersatzteile, Funkgeräte, Panzer, Schiffe, Flugzeuge.
(Beatrix von Storch [AfD]: Unterhosen!)
Aber, meine Damen und Herren, es geht voran. Im Deutschen Bundestag wurden im vergangenen Jahr 55 25-Millionen-Euro-Vorlagen im Wert von 47,7 Milliarden Euro beschlossen. Das ist richtig viel Geld. Die Truppe braucht dieses moderne Gerät. Deswegen sage ich: Es geht voran, und es ist richtig gut.
Ende des letzten Jahres waren zwei Drittel des Sondervermögens gebunden, jetzt sind es sogar schon 99,9 Prozent. Das Sondervermögen ist gebunden. Das muss jetzt bei der Truppe ankommen, und, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, das muss fortgesetzt und beschleunigt werden.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Sie kennen das schon von mir; aber ich sage es noch einmal, weil es so toll ist: Die persönliche Ausstattung, die moderne Kampfbekleidung und die Schutzausrüstung – diese 2,4 Milliarden Euro kommen im wahrsten Sinne des Wortes bei der Truppe an. Ich treffe sehr zufriedene Soldatinnen und Soldaten bei meinen Truppenbesuchen. Das war eine wichtige Entscheidung.
Stichwort „Infrastruktur“. Die Infrastruktur ist immer noch desolat. Die Verfahren sind zu kompliziert. Es dauert zu lange, es gibt zu wenig Personal. Wir haben im Verteidigungsausschuss am Mittwochmorgen intensiv darüber diskutiert. Wir haben einen Investitionsbedarf von ungefähr 50 Milliarden Euro. Alle Bauverwaltungen schaffen pro Jahr 1,3 Milliarden Euro. Das dauert zu lange, das muss beschleunigt werden.
Das Positive ist – ich bin dem Ministerium dafür auch sehr dankbar –: Es gibt jetzt einen Aktionsplan Infrastruktur, es gibt Kraftanstrengungen, diese Lage zu verbessern und im Zusammenschluss mit den Bundesländern, die für das Bauen zuständig sind, voranzukommen, damit wir endlich moderne, saubere und ordentliche Kasernen haben. Das haben unsere Soldatinnen und Soldaten verdient.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)
Ein sehr ernstes Thema ist das Thema Personal. Wir hatten Ende des Jahres 181 514 Soldatinnen und Soldaten. Davon waren 24 380 Frauen. Das sind 13,43 Prozent. Ich fange mit dem Positiven an: Es ist gut, dass das Thema Personal bei der Bundeswehr ganz oben auf der politischen Agenda steht. Es wird ernst genommen, und es wird intensiv darüber diskutiert, wie wir es schaffen können, mehr Personal zu gewinnen und das Personal zu binden. Ich bin auch sehr angetan von der Task Force Personal, die 60 Maßnahmen vorgeschlagen hat, die jetzt in der Truppe umgesetzt werden, sodass wir beim Thema Personalgewinnung vorankommen.
Denn das ist dringend notwendig. Unsere Truppe altert und schrumpft. Es gibt zu wenige Bewerbungen, zu wenige Einstellungen. Die Abbruchquote ist zu hoch. 20 000 Stellen sind seit Jahren – das haben schon meine Vorgänger immer aufgeschrieben – unbesetzt. 20 000 unbesetzte Dienstposten entspricht 17,6 Prozent. Und die Truppe wird älter; wir sind jetzt bei einem Durchschnittsalter von 33,8 Jahren. Und, meine Damen und Herren Abgeordnete, wir haben immer noch zu wenig Frauen bei der Bundeswehr und zu wenig Frauen in Führungspositionen.
(Beatrix von Storch [AfD]: Und zu wenig divers!)
Es besteht also Handlungsbedarf beim Thema Personal. Das ist angekommen, und ich bin optimistisch, dass es auch da vorangeht.
Ich komme zu einem weiteren ernsten Thema; aber da ist viel geschehen, und das möchte ich auch hervorheben. Das ist das Thema „Rechtsextremismus in der Bundeswehr“. Das ist eine Daueraufgabe; denn es ist auch eine Daueraufgabe in unserer Gesellschaft. Aber die Zahl der Vorfälle ist nicht gestiegen. Wir haben 204 meldepflichtige Ereignisse gehabt. Ich will ausdrücklich positiv hervorheben, dass Sie einen neuen Entlassungstatbestand beschlossen haben. Der wird helfen, Rechtsextremismus in der Truppe wirksam zu bekämpfen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Ein weiteres Thema – das habe ich Ihnen schon öfter vorgetragen, und das ist ein Thema, wo wirklich Handlungsbedarf besteht, weil wir wieder einen Anstieg auf hohem Niveau hatten – betrifft sexuelle Übergriffe; Übergriffe, Angriffe, Verstöße gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Wir hatten 385 meldepflichtige Ereignisse und 49 Eingaben. Das ist zu viel; jeder einzelne Fall ist zu viel. Aber auch da – Sie sehen, ich suche immer auch gute Beispiele und Dinge, die vorangehen – möchte ich ausdrücklich die neue Allgemeine Regelung zum „Umgang mit Sexualität und sexualisiertem Fehlverhalten“ hervorheben. Sie wird den Disziplinarvorgesetzten Handlungssicherheit geben. Und ich merke schon jetzt: Sie ist Gegenstand von politischer Bildung. Sie wird jetzt in der Truppe umgesetzt. Ich verspreche mir, dass wir da ein ganzes Stück vorankommen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Das waren die drei Dauerbrenner. Zwei Ereignisse möchte ich nur als Stichwort hervorheben, die das Jahr 2023 geprägt haben.
Ich beginne mit dem sehr Positiven, nämlich den Invictus Games. Ich glaube, alle von uns wissen, wie wunderbar das im Herbst in Düsseldorf war. Endlich sind auch die Veteranen in den Blick gerückt. Wir haben über Verwundung und Verletzung diskutiert. Deswegen passt das so wunderbar, dass heute der Veteranentag beschlossen wurde. Die Invictus Games waren spitze, und ich freue mich schon auf weitere Veranstaltungen dieser Art.
Das zweite prägende Ereignis war das Ende des Mali-Einsatzes – eine Zäsur im internationalen Krisenmanagement. Wir sind sehr dankbar, dass alle wieder da sind. Das war ein gefährlicher Einsatz über zehn Jahre. Und auch hier ist es wichtig, dass wir diesen Einsatz evaluieren, daraus Lehren ziehen für künftige Einsätze und auch über die Strategie und die Ziele diskutieren.
Wie ein roter Faden zieht sich – ich habe es im Jahresbericht hervorgehoben – das Thema Belastung durch das Jahr: Fehlendes Material, unbesetzte Dienstposten und marode Infrastruktur stressen die Truppe. Deswegen habe ich Ihnen heute vier Forderungen mitgebracht:
Erstens. Aufgaben reduzieren, auch mal eine Aufgabenkritik machen, einen Einsatz beenden oder sagen, was nicht mehr geht. Zweitens. Die Truppe ächzt unter Bürokratie; Bürokratie muss abgebaut werden.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Es werden immer noch Exceltabellen von A nach B gefaxt. Das muss aufhören. Drittens. Wir brauchen eine Beschleunigung bei der Digitalisierung. Und viertens. Wir müssen die Familien unserer Soldatinnen und Soldaten unterstützen; denn auch die tragen diese Belastung mit.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)
Frau Präsidentin, ich bin sofort fertig. Ich komme in die Schlusskurve. – Mein Fazit des Jahres 2023 ist: Es wurde viel verbessert. Sie haben viel auf den Weg gebracht. Wir sind noch nicht am Ziel. Das Ziel ist eine vollständig einsatzbereite Bundeswehr. Da ist noch einiges zu tun. Das beschreibt der Jahresbericht, und ich hoffe, dass er wieder ein Impuls ist für weitere Verbesserungen, für Beschleunigung, für Initiativen, für Anstrengungen. Ich freue mich auf gute Diskussionen und Entscheidungen hier im Bundestag.
Jetzt habe ich noch drei Dankeschöns: Zunächst möchte ich Ihnen, meine Damen und Herren Abgeordnete, ganz herzlich danken für Ihr Vertrauen und den guten Austausch, den wir haben. Ich danke auch ganz herzlich dem Bundesministerium der Verteidigung für wichtige Reformen und auch hier für einen guten Austausch. Und natürlich danke ich nicht zuletzt von ganzem Herzen unseren Soldatinnen und Soldaten für ihren Dienst.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Bevor ich die Aussprache eröffne, will ich mich den Dankesworten anschließen. Ich bedanke mich bei der Wehrbeauftragten und ihrem gesamten Team für die Vorlage des Wehrberichts 2023, aber vor allem natürlich für all die Arbeit, die dahintersteht, und alle Anstöße, die wir als Parlament bekommen. Herzlichen Dank dafür!
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der Linken)
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort für die Bundesregierung dem Bundesminister Boris Pistorius.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 166 |
Tagesordnungspunkt | Jahresbericht 2023 der Wehrbeauftragten |